Luxemburg, Europa – ja fast die ganze Welt wurde von einer beispiellosen Welle der Solidarität erfasst. Die Sorgen um die Bürger in der Ukraine ist groß, die Anteilnahme ungebrochen. 50 Familien haben sich in Luxemburg inzwischen bereit erklärt, Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet bei sich aufzunehmen. Mehr als 3.000 Menschen haben allein am Samstag in der Hauptstadt ein starkes Zeichen für den Frieden in Europa gesetzt, während dutzende Privatinitiativen im Großherzogtum rasch und unkompliziert zu helfen versuchen.
Aus dem Ausland erreichen uns ähnliche Mitteilungen: Wir hören von Bürgern, die Lebensmittel und Material organisieren, sich gar im Kampf gegen die russische Invasion verpflichten wollen. Von Sportlern, wie dem Biathleten Erik Lesser, die ihre Popularität bei russischen Fans nutzen, um die News-Sperre in Russland zu umgehen und das russische Volk über die tatsächlichen Vorkommnisse in der Ukraine aufzuklären. Von Musikern, Schauspielern und anderen Prominenten, die ihre Plattformen für Bekundungen und Spendenaufrufe nutzen.
Man sieht: Es geht doch! Die Europäer zeigen gerade, dass man sich in Krisenzeiten auf sie verlassen, dass man auf sie zählen kann. Hunderttausende gehen europaweit auf die Straße, für den Frieden, für die Solidarität mit den Ukrainern und gegen die Angriffspolitik des russischen Machthabers. Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend, vielerorts stellen sich Politiker und Bürger auf die Ankunft hilfsbedürftiger Menschen ein – auch in Luxemburg. So schlecht die Nachrichten aus dem Kriegsgebiet auch sind, so sehr dürfte die beispiellose Solidaritätswelle den Glauben an das Gute im Menschen zumindest ansatzweise wiederherstellen.
So beeindruckend und begrüßenswert die jüngsten Entwicklungen auch sind, hinterlässt die ungebrochene Hilfsbereitschaft einen winzigen, aber bitteren Nachgeschmack. Denn es muss auch in diesen Zeiten die Frage erlaubt sein: Warum nicht gleich so? Warum nicht immer so? Man erinnere sich nur an die jüngste Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und die massive Flüchtlingswelle, die daraufhin nach Europa geschwappt ist. Warnungen aus den Niederungen der rechten Social-Media-Ecke waren zu erwarten. Leider waren es nicht nur die üblichen Demagogen und Populisten, die nach dem Fall Kabuls Ängste zu schüren versuchten, sondern auch gemäßigte Vertreter aus der Mitte der Gesellschaft.
Wie in der Ukraine waren es auch in Afghanistan Mütter und Väter, Schwestern und Brüder, Ärzte, Apotheker, Juristen, Installateure, Techniker, Verkäuferinnen und Verkäufer, die Tod und Leid zu entrinnen versuchten. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie eine dunklere Hautfarbe haben und einem Kulturkreis entstammen, der uns etwas fremder erscheint als das ostslawische Volk. Ein Kulturkreis, der durch religiöse Fanatiker zugegebenermaßen etwas vorbelastet ist und auch in Gleichstellungsfragen von unseren Vorstellungen abweicht. Was auch erklärt, weshalb sich in erster Linie die Männer auf den Weg machten, um im Ausland eine neue Existenz aufzubauen.
Leider hat sich in unserer Gesellschaft ein Trend der Extreme durchgesetzt. In sämtlichen Lebenslagen. Es gibt nur noch Schwarz oder Weiß. Der goldene Mittelweg? Den gibt’s nicht (mehr). Wenn wir mit Menschen fühlen, dann leiden wir richtig mit ihnen. Wenn wir Mitbürger unterstützen, dann voll und ganz – oder gar nicht. Das gilt auch für Boykott. Was wiederum zu skurrilen Situationen führt, z.B. dass Vorlesungen über einen der größten Schriftsteller und Denker aller Zeiten (Dostojewski) voreilig eingestellt werden, der wegen des Ungehorsams gegenüber der russischen Führung zum Tode verurteilt wurde. Oder dass russische Filmemacher von Festivals ausgeschlossen werden, die bereits mit offener Kritik an Moskau aufgefallen sind und die nötige Reichweite hätten, ihren Mitbürgern die Augen zu öffnen.
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