NeuseelandEin Jahr nach dem Anschlag: Zwischen Trauma und Hoffnung

Neuseeland / Ein Jahr nach dem Anschlag: Zwischen Trauma und Hoffnung
Ein Schild in der Al-Noor-Moschee in der neuseeländischen Stadt Christchurch weist auf die Überwachungskameras hin. Bei einem rassistischen Anschlag auf zwei Moscheen wurden am 15. März vergangenen Jahres 51 Muslime ermordet. Foto: dpa/Christoph Sator

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Vor einem Jahr schockierte ein Terrorangriff auf zwei Moscheen in Christchurch die Welt. Ausgerechnet im friedlichen Neuseeland erschoss ein Attentäter 51 betende Menschen. Den Jahrestag begeht das Land mit gemischten Gefühlen.

Ein Jahr nach dem Angriff auf die Al-Noor-Moschee in Christchurch sind die offensichtlichen Spuren der Tragödie verschwunden. Der Blut durchtränkte Teppich wurde entfernt, neuer Teppich verlegt. Doch für Überlebende wie Feroze Ditta ist es nach wie vor schwierig, durch die Eingangstüren der Moschee zu treten.

Am 15. März vor einem Jahr hatte er den gleichen Gang noch völlig unbekümmert unternommen. Doch heute ist ein Großteil seiner Freunde, mit denen er damals die Moschee zum Freitagsgebet besuchte, tot. „Als ich nach diesem Tag zum ersten Mal zurückkam, war es schwer“, sagte Ditta, der selbst von zwei Kugeln in die Wade getroffen wurde, dem Guardian. „Ich habe viel Mut gebraucht, um aufzustehen und durch diese Türen zu gehen.“

Eine „sichere Stadt“ in einem „sicheren Land“

Laut einer Analyse des neuseeländischen Mediums Stuff hinterließen die 51 Opfer, die bei dem Terroranschlag ums Leben kamen, 34 Ehepartner, 92 Kinder und mehr als 100 Geschwister. Mariam Gul, die in Pakistan lebt, hat ihren Bruder und ihre beiden Eltern in der zweiten Moschee verloren, die der Attentäter, ein rechtsextremer Australier, angriff: „Zuerst war ich sehr traurig – ich habe geweint“, sagte sie. Mut habe ihr nur gemacht, dass laut ihrer Religion jemand, der auf solch eine Weise sterbe, ins Paradies komme. Deswegen hofft sie, dass ihre Familie nun „an einem guten Ort“ ist. Ambreen Naeem, die in Neuseeland lebt, aber ebenfalls aus Pakistan stammt, hat bei der Terrorattacke ihren Mann und ihren ältesten Sohn verloren. „Es ist ein großer Verlust“, sagte sie. Sie versuche aber, so stark wie möglich zu sein und ihren anderen Söhnen in ein normales Leben zurückzuhelfen.

Christchurchs Bürgermeisterin Lianne Dalziel sagte nach dem Anschlag, viele Menschen in ihrer Stadt konnten kaum fassen, dass eine solche Schießerei in ihrer Stadt stattgefunden habe. „Die Auswirkungen der Tragödie waren enorm, vor allem, weil niemand jemals gedacht hätte, dass dies hier passieren würde“, sagte sie. „Wir wurden aus diesem Grund ausgewählt, um national und international Schockwellen auszulösen, weil wir eine sichere Stadt in einem sicheren Land sind.“

51 Bäume für 51 Opfer

Wenn sich das Massaker am Sonntag nun zum ersten Mal jährt, will Christchurch in einem Park in der Nähe der Al-Noor-Moschee einen nationalen Gedenkgottesdienst für die Opfer abhalten. Eine Entscheidung über ein offizielles Mahnmal ist bisher nicht gefallen. 51 Bäume – jeweils ein Baum für jedes Opfer – sprießen jedoch am Pony Point im Südosten der Stadt. Sie sollen ein Zeichen für die Zukunft setzen. „Wenn Sie einen Samen der Güte und des Mitgefühls säen, wächst er zu 51 Bäumen der Hoffnung und Liebe“, steht dort auf einer kleinen Tafel.

Obwohl all die Gesten gut gemeint sind, fürchten viele in der muslimischen Gemeinschaft die erneute Aufmerksamkeit. „Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich nach dem Angriff auf die Moschee mental besser als jetzt“, sagte der Syrer Hisham al Zarzour beispielsweise dem Guardian. Direkt nach der Tragödie litt das gesamte Land mit den betroffenen Menschen mit. Premierministerin Jacinda Ardern besuchte die Moschee und die Verletzten und rief mit Sätzen wie „Sie sind wir“ zu Einheit und Zusammengehörigkeit auf. Wenige Tage nach der Schießerei zog sie zudem Lehren aus dem Attentat und verkündete, dass Neuseeland halbautomatische Waffen verbieten würde.

Keine Angst mehr vor dem Tod

Obwohl die große Anteilnahme der Bevölkerung und die Reaktion der Regierung den Angehörigen und Überlebenden half, konnten sie die seelischen Wunden nicht völlig heilen. Mustafa Boztas, der am 15. März ebenfalls von einer Kugel ins Bein getroffen wurde, half letztendlich eine Pilgerfahrt mit anderen Überlebenden und Familienangehörigen in die für Muslime heilige Stadt Mekka in Saudi-Arabien.

„Ich habe um körperliches und geistiges Wohlbefinden gebeten“, berichtete er dem lokalen Medium Stuff. Inzwischen bete er fünfmal am Tag und konzentriere sich auf sein Leben. Dieses religiöses Wiedererwachen half ihm schließlich, das Trauma zu überwinden. Heute gehe er wieder auf die Straße und ins Fitnessstudio und wenn er an den Tod denke, habe er keine Angst mehr. „Ich war ja bereits dort“, sagte der Student.