Emmanuel Macron legt ein enormes Tempo vor, ob bei Reformen in der Heimat oder in der Weltpolitik. Doch ein Jahr nach seiner Wahl ist von Jubelstimmung nichts zu spüren.
Emmanuel Macron im Weißen Haus, Emmanuel Macron im Europaparlament, und demnächst bei Wladimir Putin in Russland: Der seit einem Jahr amtierende französische Staatspräsident ist scheinbar überall. Der 40-Jährige demonstriert der Welt, dass die Atommacht Frankreich wieder da ist und in Krisen wie dem Syrien-Krieg mitreden will. Macron, der mächtigste Mann Europas? Auf jeden Fall einer, dem man auch jenseits des Atlantiks zutraut, seinen wechselhaften US-Kollegen Donald Trump zu beeinflussen.
Am Montag jährt sich Macrons spektakulärer Wahlsieg. Frankreich ist seitdem ein Land im Laufschritt, es vergeht quasi keine Woche ohne neue Reformetappe. Der sozialliberale Präsident hatte einen «tiefgreifenden Umbau» seines Landes versprochen, und den treibt er nun entschlossen voran. Dabei lässt er kaum einen Aspekt des französischen Wirtschafts- und Sozialsystems unangetastet: vom Arbeitsrecht über das Steuersystem bis zur Berufsausbildung.
Während das Ausland den neuen Schwung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone lobt, ist Frankreich selbst gespalten. Die Hälfte der Franzosen hält Macrons Politik nach einer Umfrage für ungerecht. Eisenbahner streiken seit einem Monat regelmäßig gegen die Reform der Staatsbahn, Studenten blockieren einige Universitäten, Rentner murren über erhöhte Abgaben. Kurzum: Von Jubelstimmung kann keine Rede sein, auch wenn Macron bei den Beliebtheitswerten zuletzt wieder etwas Boden gutgemacht hat.
Macron sei nicht der Präsident der Reichen, sondern der sehr Reichen, stichelte sein sozialistischer Amtsvorgänger François Hollande kürzlich. Ihn derart abzustempeln greife zu kurz, meint Eileen Keller vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Doch es bleibe die große Herausforderung für Macron, die Franzosen stärker hinter seinem Projekt zu einen. In der Tat standen im ersten Jahr vor allem Reformen im Fokus, die der Wirtschaft und Investoren zugutekommen – sozialere Punkte seines Programms kommen erst später zum Tragen.
Auch an diesem Samstag wollen Kritiker in Paris mit einem ironischen «Macron-Fest» gegen die Politik des Staatspräsidenten demonstrieren. Bislang ist es den Gewerkschaften und linken Parteien allerdings nicht gelungen, bei ihrer Mobilisierung eine kritische Masse zu erreichen, die dem Präsidenten und seiner erdrückenden Parlamentsmehrheit gefährlich werden könnte. Der Staatschef profitiert auch davon, dass es der Wirtschaft besser geht und die Arbeitslosigkeit etwas gesunken ist, auf zuletzt 8,8 Prozent.
Aus dem Nichts
Der schnell sprechende Macron, der als jüngster Präsident aller Zeiten in den Elysée-Palast einzog, beharrt auf seinem Reformkurs. «Ich mache, was ich sage», lautet sein Motto. Kritik lässt er abperlen. Sein Amtsstil wird in Paris oft in die Nähe von General Charles de Gaulle gerückt, der 1958 einen mächtigen Präsidenten in der Verfassung verankerte. Die von Macron ernannte Regierung bleibt weitgehend blass, alles ist auf den Staatschef ausgerichtet.
Der frühere Wirtschaftsminister unter Hollande war quasi aus dem Nichts angetreten, ohne klassische Partei, ohne klare Positionierung im gewohnten Links-rechts-Schema. Das Außenseiter-Image seiner Wahl kultiviert der Absolvent der Elite-Hochschule ENA sorgsam. Der Jungstar setzte sich im Endduell einer äußerst aufgeheizten Wahl gegen die Rechtspopulistin und EU-Feindin Marine Le Pen durch. Auch viele traditionelle Links-Wähler stimmten damals (wenn auch zähneknirschend) für den smarten Ex-Investmentbanker.
Der größte EU-Partner Deutschland hatte bei Macrons Wahlsieg spürbar aufgeatmet. Ein Jahr später kommen Claire Demesmay und Julie Hamann von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik allerdings zu dem Schluss, das deutsche Verhältnis zu Frankreich wirke zurzeit «schizophren». Macron wird einerseits als Chance und Glücksfall gesehen – doch zugleich stoßen seine ehrgeizigen EU-Reformpläne wie ein eigener Haushalt der Eurozone auf große Vorbehalte.
Macron und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen nun im Juni einen Fahrplan für die Reform der krisengeschüttelten EU präsentieren. Das sorgt für erheblichen Druck: «Die Option, nicht zu liefern, gibt es nicht», meint ein Beteiligter. Ein anderer deutsch-französischer Höhepunkt steht unmittelbar bevor: Am 10. Mai wird der französische Hoffnungsträger in Aachen den Karlspreis für seine Verdienste um die Europäische Gemeinschaft in turbulenten Zeiten erhalten.
«Er hat bereits viel gemacht und viel erreicht», resümierte Bundestagspräsident und Frankreich-Kenner Wolfgang Schäuble (CDU) unlängst in einem Interview. «Er hat einen Wechsel des politischen und wirtschaftlichen Klimas ausgelöst.»
Ist das nicht alles zu viel? Wirtschaftsreformen im Kampf gegen die immer noch hohe Arbeitslosigkeit, gemeinsamer Raketeneinsatz mit den Westalliierten gegen Ziele in Syrien, Europa-Reform und eine potenzielle Vermittlerrolle im Nahen und Mittleren Osten? Der frühere konservative Premierminister Dominique de Villepin warnt bereits vor einer militärischen und diplomatischen Überhitzung. Auf den Gängen des Elysée-Palasts sind Berater schon seit Längerem mit tiefen Augenringen unterwegs, denn abends wird es oft spät. Der Chef gibt ein hohes Tempo vor: «Ich habe einen Ehemann, der nachts arbeitet», vertraute «Première Dame» Brigitte Macron unlängst der Zeitung Le Monde an.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können