Tageblatt: In diesem Jahr finden die Verleihung der ICMA und das Galakonzert der Preisträger erstmals in Luxemburg statt. Wie kam es eigentlich zur Gründung dieses Preises und was unterscheidet ihn von anderen?
Der Präsident der Jury
Remy Franck (*1952, Luxemburg) veröffentlichte erste Artikel über Musik im Jahr 1968. Er arbeitete international als Rundfunk- und Filmproduzent sowie in führenden Positionen bei den Jeunesses Musicales. Er hielt Vorträge in mehreren Ländern und produzierte CDs für mehrere internationale Labels. Als Erzähler machte er Aufnahmen mit Werken von Tschaikowsky, Prokofiew, Debussy, Chappell und Pierné. 1991 gründete er die Musikzeitschrift Pizzicato (www.pizzicato.lu). Seit 2009 ist er Jury-Präsident der International Classical Music Awards.
Remy Franck: Die ICMA-Preise gibt es seit 2011. Vorher war unsere Jury schon unter dem Namen Cannes Classical Awards und Midem Classical Awards tätig. Mit 19 Mitgliedern aus 16 Ländern sind die ICMA, im Gegensatz zu anderen Preisen der Musikwelt, international aufgestellt und vor allem unabhängig von der Musikindustrie, die beispielweise beim deutschen Opus oder den Grammy Awards selber kräftig mitmischt.
Wie genau werden die Preisträger denn ermittelt und auf welche Kriterien berufen Sie sich dabei?
Wir haben zwei Arten von Preisen. Die sogenannten Special Awards wie Lifetime Achievement Award, Artist of the Year, Young Artist of the Year usw., und die Preise für Tonträger. Wir stimmen in der Jury demokratisch über Nominierungen ab. Jeder Juror kann Künstler für die Spezialpreise nominieren oder Tonträger für die Audio- und Videopreise. Bei Letzteren gibt es drei Abstimmungsrunden. Kriterium ist zuallererst die musikalische Qualität, aber auch Repertoirewert und Präsentation spielen eine Rolle. Wir suchen nicht nach sehr guten, sondern nach wirklich herausragenden Produktionen.
Wie setzt sich denn die Jury zusammen?
Die Jury besteht aus Musikmagazinen, gedruckt oder online, und Radiosendern. Luxemburg ist durch Radio 100,7 und das Magazin Pizzicato vertreten. Weitere Mitglieder sind Andante (Türkei), Crescendo (Belgien), Das Orchester (Deutschland), Deutsche Welle (Deutschland), IMZ (Österreich), MDR Klassik (Deutschland), Musica (Italien), Musikalisches Leben (Russland), Musik & Theater (Schweiz), Opera (UK), Papageno (Ungarn), Polskie Radio Chopin (Polen), Radio Romania Muzical (Rumänien), ResMusica (Frankreich), Rondo Classic (Finnland), Scherzo (Spanien) und Unison (Kroatien). Ich selber bin seit 2009 Präsident der Jury, also schon seit der Zeit der Midem Classical Awards. Neben mir gibt es einen Generalsekretär, Nicola Cattò aus Italien, und drei Board-Mitglieder, die sich um die laufenden Geschäfte kümmern.
Wie wichtig ist der Preis denn auf internationaler Ebene?
Die ICMA-Preise sind weltweit anerkannt, eben wegen ihrer Unabhängigkeit. Künstler sagen uns, dass ihnen ein Preis von den ICMA sehr viel bedeutet.
Gibt es Preisgelder?
Nein. Die Preisträger erhalten bei der Gala eine Trophäe und ein Diplom und werden in unseren Medien medial begleitet.
Wie sieht es denn momentan im Bereich der Tonträgerindustrie aus? Besitzen Tonträger noch den gleichen Stellenwert wie zu Zeiten Karajans oder Bernsteins, wo man als Musikfreund jeder Neuaufnahme entgegengefiebert hat?
Die Tonträgerindustrie ist immer noch sehr wichtig. Die Zahl der Labels hat stark zugenommen und es gibt heute mehr Veröffentlichungen denn je. Die physische CD spielt in einigen Ländern, wie in Deutschland und in Japan, noch eine wichtige Rolle, ansonsten werden Streaming und Downloads immer wichtiger. Problematisch ist, dass die unabhängigen Labels nur von den spezialisierten Medien wahrgenommen werden und die sogenannten Major Labels in der generalisierten Presse dominieren, fälschlicherweise, denn die Majors spielen eigentlich nur noch eine untergeordnete Rolle. Uns bei den ICMA geht es vor allem darum, bei den kleineren Labels nach wertvollen Veröffentlichungen zu suchen. Unsere Gewinnerliste 2022 enthält viele bekannte, aber noch mehr weniger bekannte, aber musikalisch herausragende Namen von insgesamt 17 Labels.
Und wie schwierig beziehungsweise wie einfach war es, solch ein Event wie diese Preisverleihung in Luxemburg zu organisieren?
Luxemburg hat mit der Philharmonie den geeigneten Ort, eine ICMA-Gala durchzuführen. Mit dem Philharmonischen Orchester verfügen wir über ein Orchester, das sich würdig in die Reihe der Formationen früherer Galas stellen kann, sei es das Gewandhausorchester, das Nationale Polnische Radio-Symphonieorchester, das Orchestra Verdi aus Mailand oder das Euskadi-Orchester aus San Sebastián. Mich freut es, dass das OPL auch Preisträger ist, da es in der Kategorie Zeitgenössische Musik einen Preis für eine Aufnahme mit Werken von Francisco Coll gewonnen hat. Sehr erfreut bin ich auch, dass wir den Luxemburger Dirigenten Pierre Cao mit einem Special Achievement Award ehren können. Und es steht auch ein anderer Luxemburger auf der Bühne, denn das Werk des diesjährigen Preisträgers des Composer Award, Sebastian Androne, wird von Ivan Boumans dirigiert, der den gleichen Preis im Jahr 2020 gewonnen hat.
Worauf darf sich das Publikum denn an diesem Abend besonders freuen?
Auf Vielfalt! Zwei Orchester, OPL und das Orchestre de l’Opéra Royal de Versailles, sechs Dirigenten, 13 Solisten: Das Programm der ICMA-Gala in der Luxemburger Philharmonie ist das längste und vielfältigste, das die International Classical Music Awards je organisiert haben. Es ist, wie Frank Dupree, einer der Gewinner und auftretenden Künstler, sagte, ein „Fest der Musik“. Das Programm spannt den Bogen von der Renaissance bis zur zeitgenössischen Musik und umfasst Instrumentalmusik, geistliche Vokalmusik, Opernarien, Konzerte und Symphonik. So was hat das Luxemburger Publikum noch nicht erlebt.
Das Programm
Ludwig van Beethoven: Leonore, Ouvertüre Nr. 3
Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Adam Fischer
Camille Saint-Saëns: Introduktion und Rondo capriccioso op. 28
Julian Kainrath, Geige; Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Adam Fischer
Gioacchino Rossini: Domine Deus (Petite Messe solennelle)
Edgardo Rocha, Tenor; Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Giulio Prandi
Sebastian Androne-Nakanishi: Lan Huahua – Die dunkelblaue Blume
Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Ivan Boumans
Erich Wolfgang Korngold: Violinkonzert – 3. Allegro assai vivace
Gennaro Cardaropoli, Geige; Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Adam Fischer
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1 (Allegro con brio)
Michael Korstick, Klavier; Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Adam Fischer
Nikolai Kapustin: Klavierkonzert Nr. 4 (Finale)
Frank Dupree, Klavier, Meinhard Obi Jenne, Schlagzeug; Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Adam Fischer
Thomas Tallis: In Nomine
Piet Swerts: Blinkende Flöten (Drei Gadgets)
Boreas-Quartett Bremen; Jin-Ju Baek, Luise Manske, Julia Fritz, Elisabeth Champollion, Blockflöte
Antonio Vivaldi: Alma oppressa (La fida ninfa)
Alessandro Scarlatti: Dormi, o fulmine di guerra (La Giuditta)
Antonio Vivaldi: Le quattro stagioni (L’Estate; Presto: Tempo impetuoso d’estate)
Adèle Charvet, Mezzosopranistin, Filippo Mineccia, Countertenor; Orchestre de l’Opéra Royal de Versailles, Stefan Plewniak
Improvisation + Goran Fröst: Klezmertanz Nr. 2
Martin Fröst, Klarinette und Leitung; Orchestre Philharmonique du Luxembourg
Antonin Dvorak: Karneval. Ouvertüre
Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Jakub Hrusa
Francisco Coll: Aqua Cinerea
Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Francisco Coll
Johannes Brahms: Violinkonzert (Allegro giocoso ma non troppo vivace – Poco più presto)
Frank Peter Zimmermann, Geige; Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Adam Fischer
Die Preisträger
Lifetime achievement award
Adam Fischer
Artist of the year
Martin Fröst
Young artist of the year
Gennaro Cardaropoli
Discovery award
Julian Kainrath
Composer award
Sebastian Androne
Label of the year
Château de Versailles Spectacles
Orchestra award
Francisco Coll
Special achievement award
Pierre Cao
Special achievement award
Michael Korstick
Early music
Basevi Codex – Music at the Court of Margaret of Austria
Dorothee Mields, soprano, Boreas-Quartett Bremen
Audite
Choral music
Gioachino Rossini: Petite Messe Solennelle
Sandrine Piau, José Maria Lo Monaco, Edgardo Rocha, Christian Senn, Francesco Corti, Cristiano Gaudio, Daniel Perer; Coro Ghislieri – Giulio Prandi
Arcana
Opera
Vincenzo Bellini: Il Pirata
Javier Camarena, Marina Rebeka, Franco Vassallo, Antonio Di Matteo, Gustavo De Gennaro, Sonia Fortunato; Orchestra e Coro del Teatro Massimo Bellini di Catania – Fabrizio Maria Carminati
Prima Classic
Solo instrument
Leos Janacek: On an Overgrown Path – Piano Sonata 1.X.1905 – In the Mists
Lars Vogt, piano
Ondine
Chamber music
Ludwig van Beethoven: Violin Sonatas Nos. 8-10
Frank Peter Zimmermann – Martin Helmchen
BIS
Concertos
Beethoven – Berg – Bartók
Frank Peter Zimmermann; Berliner Philharmoniker – Alan Gilbert, Daniel Harding, Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker Recordings
Symphonic music
Anton Bruckner: Symphony No. 4 (3 versions)
Bamberger Symphoniker – Jakub Hrusa
Accentus Music
Contemporary music
Recording of the year
Francisco Coll
Violin Concerto – Hidd’n Blue – Mural – 4 Iberian Miniatures – Aqua Cinerea
Patricia Kopatchinskaja – Orchestre Philharmonique du Luxembourg
Gustavo Gimeno
Pentatone
Assorted programs
Nikolai Kapustin
Piano Concerto No. 4 – Concerto for violin, piano & strings – Chamber Symphony Op. 105
Frank Dupree, Rosanne Philippens, Meinhard Obi Jenne; Württembergisches Kammerorchester Heilbronn – Case Scaglione, Frank Dupree
Capriccio
Historical recordings
The Complete Wilhelm Furtwängler on Records
Various composers
Berliner Philharmoniker, London Philharmonic Orchestra, Lucerne Festival Orchestra, Philharmonia Orchestra, Wiener Philharmoniker – Wilhelm Furtwängler
Warner Classics
Video performance
Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt
Jonas Kaufmann, Marlies Petersen, Andrzej Filonczyk, Jennifer Johnston, Mirjam Mesak, Corinna Scheuerle, Manuel Günther, Dean Power; Chor der Bayerischen Staatsoper; Bayerisches Staatsorchester – Kirill Petrenko
Regie: Simon Stone
Bayerische Staatsoper Recordings
Video documentaries
A World Without Beethoven?
Sarah Willis, Martin Roddewig
C-Major
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