Es ist ausnahmsweise nicht das Wetter. Diese Kaltfront, die sich gerade über Europa einnistet, könnte bleiben, selbst wenn das nächste Hoch endlich den Frühling bringt. Denn diese Kälte ist nicht meteorologisch, sondern sozial. Es braut sich etwas zusammen, knapp sechs Wochen vor der Wahl zum Europaparlament.
In Deutschland hat das Präsidium der FDP vergangene Woche einen Plan veröffentlicht, den viele als Angriff auf die eigene Ampel-Koalition verstehen: „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“. Darin enthalten: eine Absage an das europäische Lieferkettengesetz, die Abschaffung der Rente mit 63 und härtere Sanktionen beim Bürgergeld. In Italien hat Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein ähnliches Bürgergeld für Arbeitslose vor einigen Monaten ganz abgeschafft – nun steigt laut italienischer Statistikbehörde Istat die Zahl der Menschen in Armut, vor allem im strukturschwachen Süden des Landes. In Frankreich wagt sich Premier Gabriel Attal gerade an eine Reform der Arbeitslosenversicherung – kaum ein Jahr nach Macrons Rentenreform eine weitere Debatte, die den sozialen Frieden im Land erschüttern könnte.
Was all diesen politischen Bemühungen gemein ist: Sie spielen die Wirtschaft gegen das Soziale aus. Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, muss Sozialhilfe gekürzt werden, so funktioniert die neoliberale Logik. Im Falle der deutschen FDP und Macrons Renaissance kann man die neue alte soziale Kälte auch als Versuch des Stimmenfischens am rechten Rand deuten. Die Mär vom dauerarbeitslosen Sozialschmarotzer ist tief verankert in vielen Bevölkerungen und ein beliebtes Ressentiment vor allem rechter Politik. Auch wenn die realen Problemfälle rar gesät sind – damit lässt sich mobilisieren.
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