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„Die Zeit der Volksparteien ist vorbei“

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«déi gréng» haben Blut geleckt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte befindet sich die Partei
seit Oktober 2013 in der Regierungsverantwortung und will es auch in Zukunft bleiben. Laut Co-Parteivorsitzendem Christian Kmiotek soll nach den Parlamentswahlen am 14. Oktober «bei der Koalitionsbildung keiner an uns vorbeikommen».

Tageblatt: Jede Partei hat mittlerweile ökologische Ansätze im Programm. Wieso brauchen wir überhaupt noch eine grüne Partei in Luxemburg?

Christian Kmiotek: Wir sind der dritte Weg zwischen rechts und links. Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) hat kürzlich die CSV kritisiert, weil sie Steuererleichterungen für die Unternehmen will und gleichzeitig wachstumskritisch ist. Ich sehe da eine weitere Möglichkeit: Wir müssen den Ressourcenverbrauch besteuern. Wenn ein Unternehmen viel Wasser, Boden und nicht-nachhaltige Energie verbraucht, dann muss das besteuert werden.

Das heißt, das qualitative und selektive Wachstum, von dem immer die Rede ist, soll über Besteuerung erreicht werden?

Wir wollen nachhaltiges Wachstum, das auf drei Säulen beruht: einer ökonomischen, einer ökologischen und einer sozialen. Wenn ein Unternehmen nach Luxemburg kommt, müssen wir klären, welche Auswirkung dies auf die drei Säulen haben wird. Und das sollte nicht nur bei den Firmen gelten, sondern bei unserer ganzen Politik.

Aber eine Säule kann doch eine andere ausschließen. Nehmen wir zum Beispiel die Elektroautos. Ökologisch mögen sie interessant sein, doch wegen der Kobalt-Produktion sind sie aus Sicht der Menschenrechte problematisch.

Das muss natürlich auch in Betracht gezogen werden. Wir waren immer schon eine Partei, die über die Grenzen schaut. Im Fall der Elektroautos muss also auch der Ressourcenverbrauch besteuert werden. Ein anderes Beispiel: Wir kaufen T-Shirts für einen Euro. Das ist nur möglich, weil woanders Kinder ausgebeutet werden und die Umwelt verschmutzt wird. Auch das muss besteuert werden.

Sie wollen billige T-Shirts höher besteuern?

Ja, absolut. Wir können nicht hier hohe Standards haben und die Unternehmen gehen einfach hin und sie produzieren in einem anderen Land. Das kann nicht die Lösung sein.

Es gab kürzlich einen Streit zwischen Umweltministerin Carole Dieschbourg („déi gréng“) und Etienne Schneider wegen der griechischen Joghurtfabrik Fage und der Steinwollfabrik Knauf Insulation, die sich hierzulande niederlassen wollen. Dieschbourg fand die Implementierung der beiden Fabriken nicht nachhaltig.

Ich habe eine ganz nuancierte Haltung, wenn ich mir Knauf, Fage und Google ansehe. Meiner Meinung nach passen Knauf und Fage nicht in die Rifkin-Strategie. Es werden Ressourcen verbraucht, unter anderem Boden. Man kann nicht einfach behaupten, in einem Land könne sich jeder niederlassen, wo er will. Also grundsätzlich stimmt das, aber wenn es wie bei Knauf und Fage um ein staatliches Grundstück geht, dann gibt es eine Handhabe. Kein Grundstück, keine Fabrik. So einfach ist das. Bei Google sieht das anders aus. Das Unternehmen passt zu unserem jetzigen finanziellen und informatischen Standpunkt. Natürlich wird Google auch Ressourcen-Problematiken mit sich bringen. Das muss aber alles noch ausgewertet werden.

Das klingt ein bisschen, als wollten Sie den Unternehmen Bedingungen stellen.

Die nächste Regierung wird sich aus dem Rifkin-Prozess heraus Kriterien geben müssen. Anhand dieser muss dann entschieden werden, ob sich Unternehmen in Luxemburg ansiedeln sollen oder eben nicht.

Wie sieht es mit der Unternehmenssteuer aus? Sollte sie höher oder niedriger sein?

Die Unternehmenssteuer wurde kürzlich heruntergesetzt. Wir müssen jetzt mal abwarten. Ich finde das aber problematisch, denn wenn ein Land die Steuern heruntersetzt, müssen die anderen nachziehen. Irgendwann bezahlt keiner mehr Steuern. Diese neoliberale Denkart, bei der der Staat zurückgedrängt wird, ist nicht grün. Wir Grüne treten ein für den Staat, weil durch ihn in eine Richtung gesteuert werden kann. Unsere Partei ist ordnungsliberal. Wir wollen einen Rahmen, in dem sich jeder frei entfalten kann.

Es gibt also keine konkreten Pläne bei den Unternehmenssteuern?

Nein.

Der Streit zwischen Dieschbourg und Schneider deutet noch etwas anderes an: Während die Regierung in den ersten vier Jahren eher geschlossen auftrat, sieht sie mittlerweile sehr zersplittert aus. War der Zusammenhalt nur gespielt?

Nein, auf keinen Fall. Es ist eigentlich sogar einfacher, zu dritt zu regieren als zu zweit. Es gibt Kompromisse statt Blockaden und bei Streit zwischen zwei Koalitionspartnern gibt es eine dritte Partei, die vermitteln kann. Es ist aber normal, dass die Parteien nach den Gemeindewahlen nervös werden. Das kann ich nachvollziehen.

Anderes Szenario: Grüne und CSV würden miteinander regieren. Gibt es Schnittmengen zwischen den beiden Parteien?

Ich sage immer gerne, dass wir beide konservativ sind (lacht). Uns geht es aber um das Konservieren der Natur. In der Gesellschaftspolitik sind wir nicht konservativ. Wir haben auf diesem Feld auch ganze Arbeit geleistet. Ich denke da zum Beispiel an die Trennung von Kirche und Staat.

Also lieber eine neue Dreierkoalition als eine Zusammenarbeit mit der CSV?

Nein. Wir sind in einer neuen Situation. Die Wähler haben jetzt viel mehr Optionen. Davor hat die CSV immer regiert und die LSAP und die DP haben sich als Koalitionspartner abgewechselt. Mittlerweile kommen auch wir als Koalitionspartner der CSV infrage und eine weitere Option wäre eine neue Dreierkoalition. Und je mehr Optionen, desto besser für die Demokratie.

Sie wollen also noch nicht klar sagen, was Ihnen lieber wäre?

Sie wissen, dass keiner Koalitionsaussagen macht. Ich werde auch keine machen.

Wieso nicht? Wäre das nicht transparenter für den Wähler?

Dann führen wir einen Lagerwahlkampf und dann könnte man auch gleich fusionieren. Ich sage das jetzt mit Absicht, weil ich der Meinung bin, dass man nicht fusionieren sollte. Die Parteien, die infrage kommen, decken viele Sensibilitäten ab. Es wäre schade, das zu reduzieren. Wir Grüne haben Überschneidungen mit allen.

Sie haben Schneiders Idee angesprochen, im Falle eines CSV-Sieges einen Block der linken Parteien zu bilden. Sie finden seine Idee nicht gut?

Ich fand das komisch. Das war mit keinem abgesprochen. Schneider stand ziemlich blöd da. Die Analyse war auch falsch. Unsere Situation ist nicht vergleichbar mit der französischen. Dort haben sich die Sozialisten und die Republikaner zerlegt und Marine Le Pen war mit ihrem Front national in der zweiten Runde.

Sollen „déi gréng“ irgendwann Volkspartei werden?

Die Zeit der Volksparteien ist vorbei. Es gibt im Ausland eine Zersplitterung der Parteienlandschaft und das ist ein Spiegel der Zersplitterung der Gesellschaft. Früher gab es den Arbeiter und den Beamten. Das gibt es heute so nicht mehr. Die Grenzen werden immer verschwommener. Die Interessen der einzelnen Gruppen sind atomisiert.

Wird es in Zukunft mehr kleinere Parteien geben?

Es gibt doch heute schon kleine Parteien.

Es gibt aber mit der CSV und der LSAP die zwei klassischen Blöcke.

Die LSAP ist nicht größer als die DP. Beide haben 13 Sitze im Parlament. Was bedeutet das auch, Volkspartei? Was zeichnet das aus? Bei der CSV bedeutet es, dass sie das Gegenteil von sich selbst sagt. Sie vereint einen linken und einen rechten Flügel, die Widersprüchliches sagen und trotzdem sprechen sie jedes Mal einen Teil ihres Elektorats an. Das ist marketingtechnisch interessant, mir ist es aber lieber, dass wir keine Volkspartei und dafür aber ehrlich sind.

Wenn wir schon beim Thema CSV sind: Dort gab es kürzlich Streit, weil Astrid Lulling den jüngeren Politikern ihre Kompetenzen absprach. Wie gehen die Grünen mit der Generationenfrage um?

Wir haben bei den Gemeindewahlen mit Interesse festgestellt, dass viele junge Leute, auch bei uns, sehr gute Resultate eingefahren haben. Das zeigt, dass wir in Luxemburg gerade den Moment des Generationenwechsels erreicht haben. Wir sind uns dessen bewusst. Wenn wir die Listen aufstellen, werden wir das berücksichtigen. Auch bei uns in der Partei haben gewisse Leute ihr Alter erreicht. Wir wollen den Generationenwechsel angehen. Für uns ist das besonders wichtig, weil wir viele junge Wähler haben. Wir können uns nicht wie die CSV auf die 60+ verlassen.

Der Differdinger Bürgermeister Roberto Traversini war in letzter Zeit viel im Gespräch. Erst nach den Gemeindewahlen, später dann, als er die Präsidentschaft des Gemeindesyndikats Pro-Sud übernahm. Welche Rolle wird er in Zukunft in der Partei spielen?

Er wird die Rolle übernehmen, die die Wähler ihm geben werden.

Befürchten Sie nicht, dass er Felix Braz im Süden überholen könnte?

Ich sehe da kein Problem, falls das passieren sollte. Ist die Liste besser, dann ist das Resultat besser. Wir haben ein klares Ziel: Es soll bei der Regierungsbildung keiner an uns vorbeikommen.

Realist
22. Februar 2018 - 8.42

Zitat: "Wenn ein Unternehmen viel Wasser, Boden und nicht-nachhaltige Energie verbraucht, dann muss das besteuert werden". Will heissen: Jedweder Betrieb, von der Ein-Mann-Anstreicherfirma bis zum börsenquotierten Weltkonzern, bei dem es sich nicht um einen zu 100% autarken und selbstversorgenden Biobauernhof handelt, soll steuerlich von vornherein abgeschreckt werden, sich in Luxemburg anzusiedeln. Danke für diesen Einblick in grüne Wirtschaftsvisionen, Herr Kmiotek, und gut, dass wir mal drüber geredet haben.