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Die Welt wird größer, Europa wird kleiner

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„Europa“ ist zuerst ein geografischer Begriff. Auf den Weltkarten, die wie so vieles auf unserem Kontinent erfunden wurden, stellt sich Europa überlebensgroß als Zentrum der Welt dar. Diese aufgeblasene Darstellung entspricht immer weniger den Tatsachen.

Ein Beitrag von Robert Goebbels, ehemaliges Regierungsmitglied und früherer Europaabgeordneter

Die Welt ist rund. Sie ist zu 71% mit Wasser bedeckt. Europa ist der kleinste Teil der eurasischen Landmasse. Wobei nicht ersichtlich ist, weshalb Asien am Ural und am Bosporus beginnen sollte. Die europäische Kulturgeschichte hat ihren Ursprung in Vorderasien, im Halbmond vom derzeitigen Irak über Palästina bis hin zur Türkei. Dazu kamen die ständigen Völkerwanderungen aus den Steppen Asiens. Diese „Immigranten“ schufen die Völker und die Sprachen unseres Kontinents.

Ab dem 16. Jahrhundert dominierten zunehmend die Staaten Europas den Rest der Welt. Bessere Seefahrt-Techniken, bessere Waffen, zuerst eingesetzt von den Osmanen beim Fall von Konstantinopel, erschlossen den Europäern immer mehr Handels-Kontore, mit dem „göttlichen“ Segen von fanatischen Missionaren. Selbst kleine Staaten wie Portugal, Holland, Belgien oder Dänemark unterjochten in allen Weltteilen viel größere Kolonien. Deren Ausbeutung, darunter Sklavenhandel, schuf immer mehr Reichtum in Europa. Was wiederum die weltweite Vorherrschaft der Europäer verstärkte.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte die totale Dominanz der Europäer und ihres amerikanischen Ablegers. Allein das „British Empire“ herrschte über einem Viertel der Welt. Doch zwei desaströse Weltkriege sowie die oft blutige Dekolonialisierung haben letztlich zu einer eigentlich gerechteren Welt geführt. Nicht mehr die Europäer, selbst nicht die Amerikaner dominieren wirtschaftlich den Rest der Welt. Noch 1990 steuerten die G-7-Großmächte (USA, Japan, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien) etwa 70% zum globalen Sozialprodukt bei. 2017 „wogen“ die gleichen Länder noch 31,5%. Tendenz fallend. Ein Dutzend aufsteigende Staaten, nicht nur China und Indien, steuern nunmehr 46% zum Reichtum des Planeten bei. Das letzte Drittel verteilt sich auf 150 weniger entwickelte Staaten.

Ist „Frieden“ langweilig?

Die 28 Staaten der Europäischen Union sind zwar zusammengenommen noch immer der weltweit größte Exporteur sowie der kaufkräftigste Markt für den Rest der Welt. Da der Anteil der EU-Europäer (etwa 7%) an der Weltbevölkerung ständig schrumpft, wird auch dies sich ändern. Diese Fakten erklären die politischen Diskussionen um die Europäische Union. Sie entstand als Friedensprojekt zwischen Nationen, die sich über viele Jahrhunderte bekämpften und ihre Kriege in die Welt exportierten.

Dank dem seit über 70 Jahren dauerndem Frieden entwickelte sich die EU zu dem Teil der Welt, wo die Menschenrechte am besten gewahrt sind, wo das soziale Netz am dichtesten ist, wo trotz Problemen der allgemeine Lebensstandard am höchsten ist. Was erklärt, weshalb Millionen Menschen, die den Kriegen und der Armut in ihren Ländern entkommen wollen, oft ihr Leben riskieren, um in die europäische „Hölle“ zu gelangen. Dennoch zeigten die Wahlen für das Europäische Parlament, dass der politische Konsens für ein solidarisches Europa bröckelt. Die Negativ-Propaganda vieler rechts- wie linkspopulistischer Parteien fällt offenbar bei manchen verunsicherten Mitbürgern auf fruchtbaren Boden.

Offiziell sind diese Parteien nicht „gegen Europa“. Sie wollen angeblich bloß ein „anderes Europa“. Wie dieses „andere Europa“ aussehen soll, verliert sich in nebulösem Geschwafel. Rechtsextreme geben vor, ein „Europa der Nationen“ anzustreben. Linksextreme wollen einen „Systemwechsel“, weg von freier Marktwirtschaft und internationalem Handel.
Die EU sind nicht die USA, sind keine Vereinigten Staaten von Europa. Die Union vertritt, mit messbaren Erfolgen, die solidarischen Gesamtinteressen der Völker Europas in der Welt.

Was könnte eine lose Union der Vaterländer besser tun? Allein die Betonung auf „Nationen“, auf „Vaterländer“ verrät die nationalen Egoismen, gerichtet gegen die Nachbarn, die „Anderen“, die „Fremden“. Jenes Europa, das im letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen führte. „Le nationalisme, c’est la guerre“ betonte François Mitterrand vor dem Europäischen Parlament. Er behält recht. Wie z.B. die Bürgerkriege in dem vormaligen Jugoslawien oder nunmehr in der Ukraine beweisen. Dennoch wurden bei den europäischen Wahlen vielfach politische Gruppierungen gestärkt, welche nationalen Eigennutz und Fremdenfeindlichkeit predigen. Oder, wie in Flandern, gar die nationale Solidarität aufkündigen wollen. Zurück ins finsterste Mittelalter, wo über 500 Fürstentümer an ihren Grenzen abkassierten? Wovon nur die Raubritter gut lebten.

Nationale Alleingänge

Die brexitierenden Briten traten Schengen nicht bei. Entsagten sich dem Euro. Doch das Beibehalten nationaler Grenzkontrollen verhinderte weder terroristische Anschläge noch illegale Einwanderung noch Kriminalität. Das britische Pfund ist in Bedrängnis. Es verlor im Brexit-Chaos 15% seines Wertes. Damit wurden die Briten entsprechend ärmer. Die vormals größte Stahlindustrie in Europa, British Steel, musste Konkurs anmelden. Das ist der Preis für nationale Alleingänge. Umso unverständlicher sind linke Positionen gegen den „globalisierten Freihandel“ und für einen „intelligenten Protektionismus“. In der EU hängt jeder dritte Arbeitsplatz vom Export ab. Die niedrige Inflation, die vor allem die Schwachen schützt, der steigende Lebensstandard der Europäer sind das direkte Resultat eines preisdrückenden Austauschs von Waren und Dienstleistungen.

In der „guten, alten Zeit der Selbstversorgung“, wohin Turmes und Dieschbourg uns zurückbringen wollen, konnte Luxemburg sich nicht selbst ernähren. Die Luxemburger wanderten damals zu Zehntausenden aus. Wenn in Frankreich Mélenchon und Le Pen vorgeben, die nationale Souveränität zurückzugewinnen, bedeutete dies wenig Gutes für die Franzosen. Im 20. Jahrhundert wertete das „souveräne“ Frankreich seinen Franken insgesamt 19 Mal ab. Ein leichter Schub an Kompetitivität wurde jedes Mal durch mehr Inflation aufgefressen. Besonders die Minderbemittelten waren immer ärmer dran als zuvor.

Wie geht es weiter mit Europa? Das Europäische Parlament ist tief gespalten. Es gibt dort keine strukturierende Mehrheit mehr. Im Europäischen Rat sitzen krasse Nationalisten wie Orban, Kurz und Salvini. Merkel und Macron sind politisch geschwächt. Die Kommission ist auf Abruf. Juncker und Tusk sind am Packen. All dies verheißt schwierige Zeiten für die EU.
Dies in einer Welt, wo Nationalisten in den USA, in Brasilien, in Indien, in Russland, in Indonesien im Aufwind sind. Wo China seine Seidenstraße baut. Wo Handels- und vor allem Technologie-Kriege drohen. Können die Europäer sich noch aufrappeln? Können sie eine weitere Schrumpfung der Bedeutung Europas im Konzert der Nationen verhindern? Viele Fragezeichen, keine Antworten.