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Alain spannt den BogenDie Violinistin Isabelle Faust über ihr letztes Konzert mit dem OPL

Alain spannt den Bogen / Die Violinistin Isabelle Faust über ihr letztes Konzert mit dem OPL
Bei Bernard Haiting durfte Isabelle Faust nicht mit den Musikern reden – bei Gustavo Gimeno hingegen schon Foto: Felix Broede

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Tageblatt: Zusammen mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg spielten Sie vor kurzem das selten aufgeführte Violinkonzert von Benjamin Britten, das ja 1938, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, komponiert wurde. Nun befinden wir uns tragischerweise wieder mitten in einem Krieg in Europa. Wirkt sich dieses Wissen, dieses Gefühl auf die Interpretation des Werkes aus?

Im Unterbewusstsein spielt das ganz sicher eine Rolle. Ich bin letztens aufgewacht und habe mir gedacht, das kann doch nicht möglich sein, dass Putin so weit geht. Das Stück passt demnach sehr. Wir hätten es sonst wahrscheinlich mit der Idee gespielt, nicht zu vergessen, was damals, 1938 in Deutschland, passiert ist. Besonders als deutsche Künstlerin habe ich die Aufgabe, die Erinnerungen an die damaligen Gräueltaten aufrechtzuerhalten und nicht zu vergessen. Brittens Violinkonzert ist sowieso ein Stück, das von sich aus unter die Haut geht und das einen auch dann berührt, wenn man die tragischen Umstände nicht kennt.

Es ist aber ein Werk, das nicht zum Standardrepertoire gehört.

Ja, es ist leider ein etwas verkanntes Stück, das nicht viel gespielt wird. Auch die Musiker vom OPL konnten sich nicht erinnern, dass es hier schon einmal zur Aufführung kam. Doch Brittens Konzert gehört unbedingt in jedes Geigenrepertoire. Obwohl Britten ja in erster Linie ein Opernkomponist war. Umso erstaunlicher ist es, dass er ein solch starkes Werk quasi aus dem Stegreif komponieren konnte, um es so konzertant zu schreiben, dass es für den Violinisten auch spielbar ist.

Worin liegt denn die Schwierigkeit, für die Violine zu komponieren?

Ich denke, wenn man für Violine schreibt, muss man sich extrem gut mit dem Instrument auskennen. Man muss einfach wissen, was technisch und spielerisch möglich ist. Und das ist für einen Komponisten, der das Instrument nicht beherrscht, natürlich sehr schwierig. Das war zu Bachs und Mozarts Zeiten natürlich überhaupt kein Problem. Die haben ja fast alle Instrumente selbst gespielt. Ab dem Brahms-Konzert hat sich das dann verlagert. Brahms hat sich beim Komponieren ja sehr auf das Urteil von Joseph Joachim gestützt. Britten hat sich in seinem Konzert nicht an anderen Werken orientiert, sondern wirklich was ganz Eigenes komponiert. Und auch er hat sich sehr intensiv mit Antonio Brosa, der die Uraufführung gespielt hat, darüber auseinandergesetzt.

Sie sind ja ein gern gesehener Gast in der Philharmonie und spielen auch regelmäßig mit dem OPL zusammen. Wie würden Sie das Orchester denn beschreiben?

Ich finde, das OPL ist ein fantastisches Orchester. Wir haben ja vor einigen Jahren schon das Beethoven-Konzert zusammen gespielt. Damals war Gustavo Gimeno noch relativ neu hier. Aber heute merke ich schon die Fortschritte, die das Orchester seither gemacht hat und wie es nach und nach einen spezifischen Klang und seine besondere Spielweise entwickelt. Überhaupt haben mich die Selbstverständlichkeit und die Professionalität ungemein beeindruckt, mit der die Musiker an das für sie ja unbekannte Britten-Konzert herangehen. Sie reagieren ungemein schnell und nehmen alle Ideen sofort in sich auf. Darüber hinaus erlebe ich das OPL als ein ungemein offenes und vor allem frisches Orchester, das spürbar gern mit seinem Dirigenten zusammenarbeitet. Wir brauchten kaum Anlaufzeit und konnten uns bei den Proben sofort auf das Wesentliche konzentrieren. Was ein gutes Orchester auszeichnet. Nämlich über den Notentext hinaus zu musizieren. Gustavo Gimeno ist darüber hinaus ein sehr aufmerksamer und ungemein präzis arbeitender Dirigent. Ein Künstler mit einer wirklich großen Persönlichkeit. Und dann gibt es natürlich noch diesen hervorragenden Saal, dessen Akustik sich das OPL wirklich zu eigen gemacht hat.

Sie haben mir einmal erzählt, dass der große Bernard Haitink Ihnen quasi verboten hatte, mit den Orchestermusikern zu reden und ihnen die Musik zu erklären.

„Sprich nicht mit den Musikern.“ (lacht) Ja, ich erinnere mich. Damals spielten wir das Berg-Konzert und ich versuchte, mit dem Orchester über die Musik zu sprechen. Haitink war kein Mann großer Worte, er machte Musik. Gott sei Dank darf ich bei Gustavo Gimeno reden. (lacht) Ich spreche sehr gerne mit den Musikern und ich bin sehr froh und glücklich darüber, dass ich das hier darf. Ich finde es nämlich sehr wichtig, dass die Musiker mitbekommen, dass ich auf das Orchester höre und gerne direkt mit ihm kommuniziere. Dass ich auf sie reagiere. Dass jede Note, die sie spielen, für mich zählt. Ich merke, dass dann auch alle viel wacher und interessierter sind. Kommunikation ist für mich essenziell wichtig, denn ich komme nicht, um nur nach vorne zu spielen und um mein Ding zu machen. Augenkontakt ist auch sehr wichtig, besonders bei den Proben, bei denen ich gerne ins Orchester spiele. Beim Konzert geht das natürlich nicht so gut, sonst geht der Klang nach vorne verloren. Ein Stück wie das Berg- oder das Britten-Konzert sind natürlich Stücke, wo der Violinpart und der Orchesterpart sehr eng miteinander verwoben sind und wo ich als Solistin einfach abhängig von den Musikern bin. Gerade solche Stücke liebe ich besonders, da sie die Kommunikation, den Dialog unter uns Musikern fördern und einfach wie groß besetzte Kammermusik sind.

Sie haben im Laufe der Jahre mit vielen Dirigenten gearbeitet. Was macht denn für Sie einen großen Dirigenten aus?

Das ist schwierig zu erklären. Große Dirigenten verströmen immer einen Hauch von Magie und Unerklärlichem. Das beste Beispiel für mich ist Claudio Abbado. Er redete und erklärte so gut wie nie und hielt sich persönlich immer zurück. Fast demütig. Er schuf alles aus der Musik heraus und es war für mich immer ein unwahrscheinliches Erlebnis, mit ihm zusammenzuarbeiten. Die Musik floss quasi durch ihn hindurch. Ein guter Dirigent, der auch noch sehr gut begleitet, ist etwas anderes als ein guter Dirigent, der eine Symphonie dirigiert und somit ganz bei sich bleibt. Es gibt fantastische Dirigenten, die nicht so toll oder gerne begleiten. Gustavo Gimeno beispielsweise ist ein sehr aufmerksamer Begleiter, dem es spürbar Freude macht, Solist und Orchester zusammenzubringen und zu einer Einheit zu verschmelzen. Und er macht das sehr gut. Er entwickelt das Stück entlang dem Spiel des Solisten. Man fühlt sich sehr, sehr wohl bei ihm.

Als Sie noch ganz jung waren, haben Sie in einem Quartett gespielt, danach neben der Konzertarbeit auch ungemein viel Kammermusik gemacht. Warum spielen Sie denn nicht mehr Quartett, was ja die Königsklasse der Kammermusik ist?

(lacht) Da treffen Sie jetzt einen ganz wunden Punkt. Ich sage aber nicht, dass das für den Rest meines Lebens ausgeschlossen ist. Ich arbeite daran …