Joëlle Damé, Vera Dockendorf und Michel Reuter wiederholten dabei einige seit Jahren formulierte Kritikpunkte, die sie, auch dies eine bekannte Größe, an der „Ära Meisch“ festmachten. Dass sich das Verhältnis zwischen jenem Schulpersonal, das administrativ, etwa bei der Planung der schulischen Realität und ihrer Verwaltung, und jenen Lehrern, die praktisch in den Klassen unterrichten, in eine falsche Richtung entwickelt (zu wenige Praktiker), moniert das SEW schon seit Jahren.
Damit einher gehe eine Entmündigung der Lehrer, die solchermaßen bevormundet immer weniger Freude am Beruf haben, so die Gewerkschafter auch am Montag wieder.
Laut Zahlen des Bildungsministeriums werden etwa 60.500 Grundschüler und 51.400 Sekundarschüler zur diesjährigen Rentrée erwartet, die von insgesamt knapp 12.000 Lehrern unterrichtet werden. Dass ständig mehr sog. öffentlich-internationale Schulen diese Aufgabe übernehmen und mittlerweile zahlreiche Schulprogramme von internationalen kommerziellen Anbietern gekauft werden, gefällt dem SEW ebensowenig wie die neuen Möglichkeiten zum Erhalt des Lehrertitels: Inhaber eines Bachelor-Diploms können mit nur einem zusätzlichen Ausbildungsjahr an der Universität zu diplomierten Lehrern werden. Dies reiche nicht, um den pädagogischen Ansprüchen an den Beruf gerecht zu werden, so einer der am Montag formulierten Kritikpunkte der SEW-Verantwortlichen.
„Keine gerechte Schule in ungerechter Gesellschaft“
Zu Beginn ihrer Ausführungen rief Joëlle Damé im Rahmen eines philosophischen Exkurses in Erinnerung, dass die Schule nicht außerhalb der Gesellschaft funktioniere und dass die immer stärker auseinanderklaffende Einkommensschere ihre Auswirkungen in der Schule zeige. Diese könne nicht die größer werdenden gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten kitten, schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen der Eltern wirkten sich auf ihrer Kinder aus. Der „soziale Aufzug Schule“ funktioniere nicht mehr. Dass für sozial schwache Schüler lediglich 20 Prozent mehr Mittel zur Verfügung stünden, reiche einfach nicht aus, so Damé weiter; dies, zumal die Sprachensituation in Luxemburg immer schwieriger werde. Lediglich bei einem Drittel der Schüler im Lande werde zu Hause noch Luxemburgisch gesprochen.
Die vom Ministerium nun – ohne richtige Vorbereitung und entsprechende Analysen – neu geschaffene Möglichkeit einer Alphabetisierung auf Französisch sei dabei nicht die richtige Antwort auf dieses Problem und kein „Game-Changer“ in Sachen Bildungsgerechtigkeit.
Etikettenschwindel sei auch die groß angekündigte flächendeckende Hausaufgabenhilfe, die eigentlich gar keine sei: Es handele sich lediglich um klassische „Surveillance“, die in den Maisons relais durchgeführt werde.
„E-Bichelchen kann nicht mehr“
Die in dem Zusammenhang angekündigte einzige wirkliche Neuerung sei das „E-Bichelchen“ (eine App, die das traditionelle analoge Aufgabenbüchlein ersetzen soll) – das allerdings keine sichtbaren Vorteile gegenüber der klassischen Form biete. Dass nun teure Apparate, meist jene von Eltern oder Großeltern, genutzt werden müssten, dass die Frage des Datenschutzes nicht ausreichend geklärt sei und dass den Schülern ein Teil ihrer Selbstbestimmung genommen werde, gefällt dem SEW dabei keineswegs, ebensowenig wie die Tatsache, dass die Lehrerschaft über solche und andere Neuerungen immer nur informiert, aber nicht im Voraus konsultiert werde.
Dass die Schule neue Wege gehen müsse, sei dabei unbestritten, allerdings gefällt der Lehrergewerkschaft die „Salamitaktik“ des Ministeriums nicht, das Neuerungen nach und nach präsentiere, ohne dass ein Gesamtzusammenhang zu erkennen sei und ohne dass die Lehrerschaft Gelegenheit zur Mitgestaltung bekomme.
Das mittlerweile äußerst vielfältige Angebot an Lehrwegen sei unübersichtlich geworden; besonders bildungsferne Gruppen der Gesellschaft könnten damit überhaupt nichts mehr anfangen. Zudem würden Evaluierungen der vielen Programme und Neuerungen fehlen; ein Beispiel sei die „Summer school“.
Schulpflicht bis 18
Gleiches gelte für die einseitig vom Ministerium angekündigte Schulpflicht bis 18 Jahre. Nach einem Schulabbruch würden die gescheiterten Schüler nun von privaten Instituten übernommen; besser wäre es, präventiv zu arbeiten und so das Scheitern von vornherein zu verhindern, so das SEW. Das Projekt sei, wie so vieles, „übers Knie gebrochen“ worden.
Die Aufteilung in „Basiskurse“ und „Fortgeschrittenenkurse“ im Sekundarunterricht hält ebenfalls der Kritik der Lehrergewerkschaft nicht stand. Die Mittel hierfür würden einfach fehlen. Viele Reformen seien Augenwischerei, da die Rahmenbedingungen nicht klappen würden und sowohl Lehrer als auch Schüler bei zu vielen Angeboten die Übersicht verloren hätten.
Neben zahlreichen weiteren punktuellen Kritikpunkten sieht das Syndikat auch die Berufsausbildung, wie sie zurzeit läuft, durchaus kritisch. Es helfe nicht, Plakate zu drucken, die dazu anregen, einen Handwerksberuf zu ergreifen; die Diplome und die Arbeitsbedingungen müssten aufgewertet werden, um wirklich wieder mehr Schüler hin zum Handwerk zu orientieren. Dass Berufsschüler im Gegensatz zu anderen Sekundarschülern ihr Arbeitsmaterial (Scheren, Messer, Kittel usw.) selbst bezahlen müssten (teils dreistellige Beträge), helfe diesbezüglich nicht, ebensowenig wie die Tatsache, dass zahlreiche Berufsausbildungen in Luxemburg überhaupt nicht angeboten würden.
Schließlich drückte die SEW-Präsidentin ihre Hoffnung aus, dass die anstehende Energiekrise nicht zu erneutem Home-Schooling im Winter führt: „Dies wäre keine Lösung“, so Joëlle Damé.
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