Von unserem Korrespondenten Thomas Roser
Laut Ungarns Meinungsforschern scheint der Ausgang der Parlamentswahl am morgigen Sonntag ausgemacht:Die Umfragen sehen die rechtspopulistische Fidesz-Partei von Premier Viktor Orban vorn. Doch Péter Krekó, Direktor des Instituts Political Capital, sieht Unsicherheitsfaktoren.
Tagblatt: Was sind Ihre Erwartungen bei der Parlamentswahl?
Péter Krekó: Das Einzige, was wir vorhersagen können, ist die Unvorhersehbarkeit des Wahlausgangs. Und das ist etwas Neues, denn lange schien die Wahl für Fidesz eine gelaufene Sache zu sein. Es sind die ungewissesten Wahlen seit Jahren. Fidesz kann seine Parlamentsmehrheit behaupten, aber auch verlieren. Die Chance für eine erneute Zweidrittelmehrheit wie 2010 und 2014 sind hingegen gering.
Aber in den Umfragen liegt Fidesz bei den bereits entschiedenen Wählern doch klar vorn.
Die von dem gemeinsamen Oppositionskandidat gewonnene Bürgermeisterwahl in Hodmezövasarhely hat kürzlich vor allem gezeigt, dass die Umfragen die Stimmung in Ungarn nur sehr unzulänglich erfassen – und die Unterstützung für Fidesz überschätzen. Die Stadt war immer fest in Fidesz-Hand, selbst die Opposition war vom Erfolg überrascht.
Aber lässt sich der Ausgang einer Bürgermeisterwahl in der Provinz denn auf Landesebene übertragen?
Das ist genau die Frage – und schwer zu sagen. Die Korruption war dort genauso ein großes Thema wie jetzt vor der Parlamentswahl. Die Stadt galt als Fidesz-Hochburg – und dennoch wurde Fidesz dort besiegt. Auch diese Ausgangslage lässt sich auf das Land übertragen. Doch eine Sache war dort völlig anders. In Hodmezövasarhely trat ein gemeinsamer Oppositionskandidat gegen den Fidesz-Kandidaten an. Und das ist nun in den Direktwahlkreisen nicht der Fall.
Was sind denn die Tücken des ungarischen Wahlsystems, die die Prognosen erschweren?
106 der 199 Parlamentssitze werden über Direktmandate vergeben – 2014 gewann Fidesz noch fast alle davon. Das System ist vorteilhaft für die größte Partei. Wenn ein Fidesz-Kandidat beispielsweise 40 Prozent erhält, aber keiner seiner Herausforderer auf über 30 Prozent kommt, hat er zwar keine Stimmenmehrheit, aber ist gewählt.
Der Opposition ist es kaum geglückt, sich in den Wahlkreisen auf die gemeinsame Unterstützung des aussichtsreichsten Kandidaten zu verständigen. Was bleiben die Unsicherheitsfaktoren für Fidesz?
Vor allem die Wahlbeteiligung und der Effekt der Korruptionsenthüllungen in den letzten Wochen. Fidesz hat sehr disziplinierte Stammwähler, aber hat das eigene Wählerpotenzial von 2 bis 2,2 Millionen Wähler weitgehend ausgereizt. Das Ziel der Fidesz-Kampagne ist darum die Mobilisierung der eigenen Wähler, aber auch die Entmutigung möglicher Oppositionswähler. Doch Fidesz scheint die Lektion von Hodmezövasarhely nicht gelernt zu haben, führt den Wahlkampf genauso weiter wie bisher.
Die sehr hysterische und aggressive Fake-News-Kampagne gegen Soros (der amerikanische Investor ungarischer Herkunft George Soros, Anm.), die EU und der Untergang des Abendlands durch die Immigranten scheint mir mehr die Oppositionswähler als die Fidesz-Wähler zu mobilisieren.
Sie erwarten also keinen Fidesz-Durchmarsch?
Ich glaube, dass ein Sieg von Orban angesichts der fragmentierten Opposition immer noch das wahrscheinlichste Szenario ist. Aber Fidesz könnte durchaus auch der Machtverlust drohen. 2014 gewann Fidesz mit 45 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit. 40 Prozent dürften nun für eine absolute Mehrheit genügen. Mit 35 Prozent könnte Fidesz die Mehrheit auch noch behaupten, aber auch verlieren. Das Ergebnis ist einfach nur sehr schwer vorauszusagen.
Im Fall eines erneuten FideszTriumphs: Mit was ist Ihrer Meinung nach zu rechnen?
Wenn Fidesz erneut einen Sieg einfährt, aber Verluste erleidet, wird die Konsequenz keineswegs eine Kursänderung sein. Nein, die Schlussfolgerung von Fidesz dürfte sein, dass die teuflischen Oppositionskräfte, George Soros, Bürgerrechtsgruppen und die Reste der unabhängigen Medien noch stärker bekämpft werden müssen als bisher. Auf dem illiberalen Kurs gibt es für Fidesz kein Zurück. Je stärker die Partei die Gefahr spürt, die Macht verlieren zu können, desto gefährlicher wird sie.
Die drei größten Parteien
Fidesz: Für den rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban vor der Abstimmung an diesem Sonntag gilt nur ein großes Thema: die Migration – oft in Verbindung mit angeblichen Machenschaften des US-Milliardärs George Soros.
Jobbik: Die rechtsradikale Jobbik ist Ungarns stärkste Oppositionspartei. Während Fidesz zunehmend nach rechts abgerückt ist, hat Jobbik einen moderateren Kurs eingelegt. Von antisemitischen Aussagen will sich die Parteispitze um den Vorsitzenden Gábor Vona deutlicher distanzieren. Der Stimmenanteil zur Wahl liegt laut Umfragen bei 21 Prozent.
MSZP: Die ungarische sozialistische Partei (MSZP) ist Kritikern zufolge nach rechts gerückt und verfolgt eine stark wirtschaftsliberale Politik. Der Hoffnungsträger heißt Gergely Karacsony. Er ist Co-Parteichef der linksliberalen Kleinpartei «Parbeszed» (Dialog) und zugleich MSZP-Spitzenkandidat. Letzten Umfragen zufolge erreichen die Sozialdemokraten einen Stimmenanteil von 19 Prozent.
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