Headlines

UngarnDie Totengräber von Visegrad – Viktor Orban isoliert sich mit Ausfällen gegen die Nachbarn

Ungarn / Die Totengräber von Visegrad – Viktor Orban isoliert sich mit Ausfällen gegen die Nachbarn
Macht sich nicht viele Freunde: Ungarns Premierminister Viktor Orban (Mitte oben) auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel Mitte Juli in Brüssel Foto: AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit seinen jüngsten Ausfällen hat Ungarns russophiler Premier Viktor Orban nicht nur den Nachbarn Rumänien, sondern auch Tschechien schwer verstimmt. Europas isolierter Störenfried hat kaum mehr Freunde. Seine Sololäufe höhlen das Visegrad-Bündnis mit Polen, der Slowakei und Tschechien zunehmend aus.

Sind die Beziehungen ohnehin ruiniert, poltert es sich völlig ungeniert. Gewohnt hämisch zog Ungarns Premier Viktor Orban bei seinem alljährlichen Ausflug zur „Sommeruniversität“ der ungarischen Minderheit im rumänischen Baile Tusnad (Bad Tuschnad) gegen das Gastland vom Leder. Rumäniens neuer Premier Marcel Ciolacu (PDS), der ihn kurz zuvor privat empfangen hatte, sei bereits der 20. Kollege in Bukarest, den er seit seinem eigenen Amtsantritt kennengelernt habe, lästerte Orban: „Gott segne ihn! Ein neuer Premier, eine neue Chance. So hoffen wir auf Erfolg beim 20. Mal!“

Launig ging der nationalistische Poltergeist bei seinem Auftritt in der Hochburg von Rumäniens ungarischer Minderheit auch auf die diskrete Bitte Bukarests um „Zurückhaltung“ bei Äußerungen über „nicht existierende rumänische Verwaltungseinheiten“ ein. Er habe nie behauptet, dass Siebenbürgen und das Szeklerland rumänische Verwaltungsgebiete seien, verkündete er mit Verweis auf die Budapester Ansprüche auf die nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Regionen unter dem schallenden Gelächter seines Publikums.

Nicht nur in Bukarest, sondern auch in der slowakischen Hauptstadt Bratislava wurden nach Orbans undiplomatischen Breitseiten gegen fast alle Nachbarn der ungarische Botschafter ins Außenministerium einbestellt. Der Grund: Der von Orban verwendete Ausdruck „vom Land abgeschnittene Teile“ für die Nachfolgestaaten der 1918 zerfallenen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn stieß der slowakischen Regierung sauer auf.

Angefressene Reaktionen

Auf noch angefressenere Reaktionen stieß Orbans Rundumschlag in Prag. Beim EU-internen Richtungskampf der von Deutschen und Franzosen geführten „Föderalisten“ gegen die auf nationale Interessen bedachten „Souveränisten“ der vier Staaten der sogenannten Visegrad-Gruppe habe Tschechien „die Seite gewechselt“ und sei die Slowakei „am Flattern“, wütete Orban: „Nur die Polen und Ungarn halten aus.“ Von einer „absurden Stigmatisierung“ sprach hernach verärgert der tschechische Premier Petr Fiala. Sein Land bestimme seine Positionen in EU-Fragen mit Blick auf die eigenen Interessen selbst.

Tatsächlich ist die einstige Einheit der Visegrad-Staaten schon länger am Bröckeln: Nicht zuletzt die Sololäufe des russophilen Rechtsauslegers Orban haben das 1991 gegründete Zweckbündnis der mitteleuropäischen Staaten während des Ukraine-Kriegs kräftig ausgehöhlt.

Mit Polens nationalpopulistischer PiS, die lange als engste Verbündete Orbans beim selbsterklärten Kampf gegen EU-Bevormundung und die angeblich drohende Überfremdung galt, sind nicht nur die bilateralen Beziehungen wegen Orbans serviler Haltung gegenüber Moskau kräftig erkaltet: Laut einer Umfrage des Warschauer Meinungsforschungsinstituts CBOS ist der lange sehr hohe Anteil von Polen, die gegenüber Ungarn eine positive Einstellung haben, wegen des Ukraine-Kriegs innerhalb eines Jahres von 57 auf 36 Prozent geschrumpft.

Risse im Bündnis

Die Risse im bröckelnden Visegrad-Bündnis wurden Ende Juni auch beim Brüsseler EU-Gipfel deutlich. Während sich Tschechien und die Slowakei bereit erklärten, den von der EU-Mehrheit ausgedoktorten Asyl- und Migrationspakt mitzutragen, stieß dieser in Warschau und Budapest auf resolute Ablehnung.

Tschechiens Premier Fiala, der den Visegrad-Vorsitz Anfang Juli turnusgemäß übernahm, will nun erst nach den Parlamentswahlen in Polen und der Slowakei im Herbst das übliche Treffen der Regierungschefs anberaumen. „Niemand will ein Ende der V4-Kooperation“, versicherte er eher pflichtschuldig. Die Zusammenarbeit werde „in vielen Bereichen fortgesetzt“.

Die Visegrad-Kooperation stehe zwar „weniger im Scheinwerferlicht als zuvor“, aber sei noch immer „wichtig“, beteuerte sein slowakischer Amtskollege Ludovit Odor. Doch viele der gemeinsamen Probleme, mit denen sich die Visegrad-Staaten einst konfrontiert sahen, seien inzwischen „gelöst“.

Nur an persönlicher Leibesfülle hat der einstige Visegrad-Wortführer Orban kräftig zugelegt. In der EU ist das politische Gewicht des zunehmend isolierten Orban bereits seit dem Rauswurf seiner Fidesz-Partei aus der christdemokratischen EVP 2021 merklich geschrumpft. Orban hofft zwar auf die baldige Rückkehr von Robert Fico auf die slowakische Regierungsbank. Doch derzeit ist der Totengräber von Visegrad in der Region nur im russophilen Serbien ein gerne gesehener Nachbar – und Gast.