Vernichtender hätte der Befund kaum ausfallen können. Ex-Premierminister Boris Johnson hat das britische Parlament mehrfach wissentlich angelogen, urteilte der Untersuchungsreport eines Unterhausausschusses am Donnerstag. Hätte Johnson nicht schon in der letzten Woche aus Protest gegen die Untersuchung sein Mandat niedergelegt, hätte der Privilegienausschuss, eine Art Ehrenrat des Parlaments, eine beispiellose 90-tägige Suspendierung des Abgeordneten für den Wahlkreis Uxbridge empfohlen.
Nun bleibt als Sanktion die Empfehlung, dass Johnson keinen Besuchspass für das Parlamentsgelände, wie er üblicherweise früheren Abgeordneten zusteht, erhalten soll. Johnsons verbliebene Freunde argumentieren jetzt, dass der Rauswurf aus dem Hohen Haus aus dem ehemaligen Premier einen Märtyrer macht, der ihm nach den nächsten Wahlen ein politisches Comeback ermöglicht.
108 Seiten, 14 Monate
Der 108 Seiten starke Untersuchungsbericht ist das Ergebnis einer knapp 14 Monate dauernden Untersuchung des Ehrenrats in die sogenannte Partygate-Affäre. Während der Corona-Epidemie wurden in der Regierungszentrale in der Downing Street Partys gefeiert, die nach den scharfen Lockdown-Vorschriften nicht hätten stattfinden dürfen. Nachdem die Polizei in zwölf Fällen ermittelt hatte, ergingen 126 Strafbescheide an insgesamt 83 Mitarbeiter.
Auch der damalige Premierminister Boris Johnson erhielt ein Bußgeld. Sein Gesetzesbruch, obwohl beispiellos für einen amtierenden Premierminister, brachte Johnson nicht zu Fall. Folgenschwerer war die Bemäntelung: Der Premier hatte vor dem Unterhaus wiederholt versichert, dass es keine Feiern in seinem Amtssitz gegeben habe und dass „alle Regeln jederzeit befolgt“ worden seien.
Dieser Umstand bricht ihm jetzt das Genick, denn im britischen Parlamentarismus gibt es keine schlimmere Sünde, als das Hohe Haus anzulügen. Die gravierende Missachtung des Parlaments, so der Ehrenrat, sei umso schwerwiegender, weil sie „vom Premierminister, dem ranghöchsten Regierungsbeamten, begangen worden ist“. Dafür gebe es bisher noch keinen Präzedenzfall. Auch während der Anhörungen des Ehrenrates habe sich Johnson der Missachtung schuldig gemacht, als er an seinen Lügen festhielt, und „den demokratischen Prozess des Hauses unterminiert“, indem er sich an einer „Kampagne der Beschimpfung und versuchten Einschüchterung des Komitees“ beteiligt habe.
Johnson hatte von einer „Hexenjagd“ und von „politischem Auftragsmord“ gesprochen und die Vorsitzende des Komitees, Harriet Harman, als „ungeheuerlich voreingenommen“ bezeichnet.
„Quatsch“ und „Farce“
Noch an dem Abend, bevor der Untersuchungsreport veröffentlicht wurde, hielt Johnson an seiner Strategie fest, den Ausschuss schlechtreden zu wollen. Einer der höchstrangigen Mitglieder, der Konservative Sir Bernard Jenkin, war beschuldigt worden, während des Lockdowns im Dezember 2020 eine Party aus Anlass des Geburtstags seiner Ehefrau besucht zu haben, was Jenkin bestreitet. Johnson dagegen beschuldigte ihn jetzt der „monströsen Heuchelei“ und forderte seinen Rücktritt. Am Donnerstag nannte er den Report „eine Farce“, die „einen grässlichen Tag für Abgeordnete und die Demokratie markiert“. Er habe das Parlament nicht angelogen: „Das ist Quatsch, das ist eine Lüge.“
Der Abgeordnete Brendan Clark-Smith, einer seiner verbliebenen Gefolgsleute im Unterhaus, zeigte sich „entsetzt über die gehässigen, nachtragenden und übersteigerten Schlussfolgerungen des Reports“. Am Montag, wenn das Unterhaus den Bericht debattiert, will sich Clark-Smith gegen die Sanktionen aussprechen. Wie viele seiner Kollegen sich ihm anschließen, wird demonstrieren, wie groß Johnsons Rückhalt noch ist. Man darf davon ausgehen: nicht sehr groß. In der Fraktion der Konservativen setzt sich die Erkenntnis durch, dass Johnson ein Mann von gestern ist.
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