Für viele hat US-Präsident Barack Obama damals den Krieg in Syrien verloren: Trotz seiner Drohung, er würde im Falle eines Einsatzes von Chemiewaffen mit Militärgewalt gegen das Assad-Regime vorgehen, ließ er sich auf einen Deal mit Russland ein. Für die einen war es einer der vielen weitsichtigen Momente von Obama, für die anderen eine machtpolitische Schwächung der USA. Nun droht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron damit, in Syrien zuzuschlagen, sollte es Beweise für den Einsatz von C-Waffen geben.
Nicht mitgekriegt? Sie nicht allein.
Im Wahnsinn der Trumpschen Präsidentschaft ging am 8. Februar eine zentrale Information unter: US-Verteidigungsminister James Mattis gab zu, dass die USA bis heute keine Beweise für den Einsatz von C-Waffen durch das Assad-Regime hätten. Das zeigt, wie groß der Unterschied zwischen dem US-Verteidigungsministerium und dem Weißen Haus mittlerweile ist, das sich seine Wahrheiten oft zusammenbastelt, um Interventionen zu rechtfertigen. Seit 2013 gibt es Zweifel daran, dass Assad C-Waffen verwendet haben soll.
Einfallslos
Man muss kein Macron-Bashing betreiben, um zu erkennen, dass Frankreichs Präsident ähnlich wie seine Vorgänger Realpolitik mit Blick auf den Nahen Osten betreibt. Während er in Libyen einen vergleichsweise großen Einfluss hatte, kann er mit Blick auf Syrien nur im Schatten von den USA und Russland stehen. Gleiches gilt für Großbritannien. Würde Macron seine Drohung rund um die „roten Linien“ ernst meinen, würde er es nicht bei leeren Drohungen belassen. Gleichzeitig ist Macron selbst weitsichtig genug, um zu wissen, dass der Sturz von Assad jetzt nur noch mehr Chaos bedeuten würde.
Wer behauptet so etwas?
Der offizielle UN-Bericht rund um die Giftgasangriffe von Ghuta hat nur bestätigt, dass Sarin eingesetzt wurde. Es wurde jedoch nie nachgewiesen, wer das Giftgas verwendet hat. Experten im Bereich der C-Waffen wie Hans Blix, Scott Ritter, Gareth Porter oder Theodore Postol haben immer wieder darauf hingewiesen, dass aus technischer Sicht vieles dafür spricht, dass die Opposition für den Angriff von Ghuta verantwortlich ist. Etwa mit dem Ziel, eine Militärintervention gegen Assad auszulösen.
Die Einschätzungen
Das besonders Heikle rund um die C-Waffen-Diskussion ist die Tatsache, dass sie sich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung entwickeln kann. Im Falle von Barack Obama führten die Drohungen am Ende gar in eine Sackgasse. Seine Berater sollen ihm von einem Angriff abgeraten haben. Emmanuel Macron scheint nun einen ähnlichen Fehler zu begehen, weil es nicht das erste Mal ist, dass er im Falle der Überschreitung der „roten Linien“ mit einem militärischen Angriff gegen Assad droht.
Keine Strategie
So sehr man die USA und Russland für ihren willkürlichen politischen Umgang mit der Wahrheit rund um den C-Waffen-Einsatz in Syrien kritisieren kann, so chaotisch wirkt die EU mit Blick auf Syrien. Bis heute können sich die Mitgliedstaaten nicht einmal auf eine Position einigen, ob sie nun für oder gegen den Verbleib Assads an der Macht sind. Staaten wie Frankreich und Großbritannien drängen auf einen Regimewechsel, während andere Staaten Realpolitik befürworten und ein Machtvakuum fürchten.
Welche C-Waffen?
Selbst wenn das Assad-Regime jüngst keine C-Waffen eingesetzt hat, sind die Dementis aus Damaskus nicht besonders glaubwürdig. Denn bereits in der Vergangenheit hat Assad regelmäßig verneint, dass Syrien chemische Waffen besitzt. Allerdings nahm all dies 2013 sein Ende, als die Amerikaner Damaskus mit einer Militärintervention drohten (siehe Zeitleiste unten). Deshalb ist es besonders absurd, dass die syrische Regierung auf Macrons Drohung hin nun die Verwendung von C-Waffen als „unmoralisch und inakzeptabel“ bezeichnet. Unterdessen beugt sich das Assad-Regime ein wenig dem internationalen Druck. So sind zum Beispiel in der syrischen Anti-Assad-Hochburg Ost-Ghuta etwa 400.000 eingeschlossene Zivilisten mit Hilfslieferungen versorgt worden.
Es handelt sich um neun Lastwagen der UNO und des syrischen Roten Halbmonds. Es wurden etwa Nahrungsmittel und Medizin an die Menschen geliefert. Dies ist der erste Konvoi seit November, der die notleidenden Zivilisten in der Stadt erreicht hat. Besonders bitter ist die Tatsache, dass die Frage rund um die C-Waffen nichts daran ändert, dass immer noch zahlreiche Zivilisten ihr Leben lassen müssen. Die UNO hat mittlerweile aufgehört, regelmäßig neue Zahlen zu den Opfern zu veröffentlichen. Mehr als 350.000 Menschen sollen bislang im Syrien-Krieg getötet worden sein.
Die Zivilisten
Das besonders Abartige an der Diskussion rund um die C-Waffen ist die Anonymisierung der Opfer: Statt sich mit den Toten der Angriffe zu beschäftigen, wird sich vielmehr auf die Schuldzuschreibung in der öffentlichen Diskussion fokussiert. Der damit zusammenhängende Effekt ist zynisch: Durch die gegenseitige Schuldzuschreibung geraten die Opfer aus dem Fokus des Interesses. Die Skeptiker glauben, dass ohnehin alles von der Opposition gefälscht sei, um Assad zu stürzen. Die Leichtgläubigen gehen davon aus, dass alle Anti-Assad-Kräfte engelsgleiche Wesen seien, die selbst nie zu C-Waffen greifen könnten. Und dann gibt es noch jenes sprunghafte Lager, das sich an den vielen Videos und Bildchen in den sozialen Medien orientiert. Statt rational wird emotional auf punktuelle Propaganda-Häppchen reagiert.
Die Leidtragenden sind die Familien, die Angehörigen, aber auch die Menschen auf der Flucht, denen viele nicht abnehmen, dass sie in einem Land leben, in dem sie je nach Region einfach mal Opfer eines willkürlichen C-Waffen-Angriffs werden können. Am bittersten ist allerdings das damit zusammenhängende Ausbleiben politischer Konsequenzen. Die Spielchen im UN-Sicherheitsrat führen zu rein gar nichts außer zu einer Blockade in Sachen Aufklärung der Kriegsverbrechen, die immer wieder begangen werden.
Unglaubwürdig
Eines der größten Probleme rund um die Diskussion über den Einsatz von C-Waffen rührt daher, dass sie in jüngster Vergangenheit ein Trauma bei vielen Staatenlenkern und Menschen verursacht haben. Denn es war niemand Geringeres als die Obermoral-Aposteln aus den USA, die 2003 mit Lügen rund um Saddam Husseins vermeintliches C-Waffen-Lager im Irak einen der fatalsten Kriege ausgelöst haben. Auch damals wurde jeder, der an der Version der Amerikaner zweifelte, als Spinner, als „unpatriotisch“ oder als gegen Menschenrechte gerichteter Unmensch kritisiert. Am Ende stellte sich heraus, dass die Diskussion über die chemischen Waffen dazu geführt hat, ein Land in seinen Untergang zu stürzen. Hinzu kam, dass die Grundlage für das Entstehen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gelegt wurde. Zudem hat der Krieg bis heute über 100.000 Zivilisten das Leben gekostet. Luxemburg wird dem krisengebeutelten Land 2018 mit 1,5 Millionen Euro unter die Arme greifen. „Die Gesamtsumme wird nur für humanitäre Zwecke verwendet“, betont Jean Asselborn auf Nachfrage des Tageblatt. Luxemburgs Außenminister hat von Montag bis Dienstag an der internationalen Geberkonferenz für den Irak in Kuwait teilgenommen. Luxemburg hilft dem Irak zudem bei der Minenräumung. Bei der Konferenz wurden dem Irak 33 Milliarden Dollar versprochen.
TIMELINE: Syrien und das Giftgas
August 2013: Der größte Giftgasangriff in Syrien wird von der syrischen Opposition vermeldet. 1.400 Menschen sterben. Eine Militärintervention gegen Assad wird geprüft.
September 2013: Um eine Intervention zu verhindern, fädelt Russland einen Plan ein: Syrien willigt ein, sein ganzes C-Waffen-Arsenal zu zerstören, und tritt der C-Waffen-Konvention bei.
April 2014: Trotz der Bemühungen und einiger Erfolge berichten sowohl die Regierung als auch die Opposition von einem Chlorgas-Angriff im Norden des Landes.
Juni 2014: Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) verkündet, dass die letzten chemischen Waffen aus Syrien ins Ausland gebracht wurden. Die Zerstörung beginnt.
August 2015: Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) soll bei einem Angriff in Nordsyrien Senfgas verwendet haben. Die OPCW spricht von „handfesten“ Beweisen.
April 2017: Die Stadt Chan Schaichun wird von Regierungstruppen bombardiert. Alles deutet auf einen Giftgasangriff hin. 72 Menschen sterben. Die Frage der Täterschaft bleibt offen.
Januar 2018: Seit Jahresbeginn gibt es mindestens fünf Vorfälle mit Chlorgas. Duma und Idlib sind die zentralen Orte, an denen die C-Waffen zum Einsatz kommen.
Februar 2018: US-Verteidigungsminister James Mattis warnt die syrische Regierung vor dem Einsatz von C-Waffen. Gerade Sarin könnte von Assad verwendet werden.
Februar 2018: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verhält sich ähnlich wie Barack Obama. Er droht Assad mit einem Angriff, sollte es zum Einsatz von C-Waffen kommen.
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