Von außen wirken die grauen Gebäude in der Industriezone Kehlen unscheinbar. Würde das Schild „Filmland“ nicht an der Längsseite des ersten großen Kastens prangen, käme man nicht auf die Idee, dass hier vollständig ausgestattete Filmstudios einander flankierten. Im Inneren einer dieser kinematografischen Produktionsstätten breitet sich dann aber umso wuchtiger die verträumte Kulisse Roms aus, mitsamt seiner Kuppeln und Kirchtürmen. Vor dieser aufgebaut stehen die Räumlichkeiten der Wohnung, in der die Schriftsteller Ingeborg Bachmann und Max Frisch zusammenleben – und in der sich schließlich auch das Ende ihrer Liebesbeziehung ankündigen wird.
„Bachmann & Frisch“ heißt das internationale Filmprojekt, das von den Produktionsfirmen Amour Fou (Luxemburg-Österreich), tellfilm (Schweiz) und Heimatfilm (Deutschland) gemeinsam produziert wird und in allen vier Ländern Förderungen erhält. Hierzulande stellt der Film Fund Luxembourg die entsprechenden Subventionen bereit. Das Gesamtbudget belaufe sich auf fast neun Millionen, erzählt die luxemburgische Filmproduzentin Bady Minck während des Pressebesuchs am Filmset. Die Dreharbeiten fingen Mitte April an und sollen noch bis Juni andauern. Dank des Geldes können sie in insgesamt sechs Ländern stattfinden: Luxemburg, Österreich, Schweiz, Deutschland, Italien und Jordanien. Die Szenen, die in Paris spielen, werden in Luxemburg aufgenommen. Das Drehort-Hopping spiegelt das Wanderleben der berühmten Dichterin Ingeborg Bachmann, die es nie lange an einem Ort hielt und ihre Rastlosigkeit mit ausgiebigen Reisen zu stillen versuchte. „Bachmann war eine Nomadin“, sagt Minck. „Sie lebte wie wir heute leben, dabei gab es damals noch Passkontrollen und jedes Land hatte eine andere Währung.“
Drehbuch aus der Feder der Regisseurin
Kein leichtes Unterfangen also, das bewegte Leben der hochbegabten Österreicherin mit der Kameralinse einzufangen und es auf der Leinwand angemessen zu würdigen. Der langsame Aufstieg der Schriftstellerin, ihre zahlreichen Liebschaften und die unglückliche Ehe mit dem Schweizer Autor Frisch wie auch ihre Drogensucht, die am Ende ihren Tod bedeutete, bieten interessanten Filmstoff – stellen aufgrund der Komplexität von Bachmanns Persönlichkeit aber auch mögliche Fallgruben dar.
Damit „Bachmann & Frisch“ auch zu einem Erfolg wird, entschieden die Produzenten ganz zu Anfang, das Projekt in die Hände der renommierten Regisseurin Margarethe von Trotta zu legen. Mit „Die bleierne Zeit“ gewann von Trotta als erste Frau 1981 bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen. Seitdem verfilmte sie immer wieder Lebensgeschichten von Frauen, die als Aktivistinnen, Universalgelehrtinnen und/oder Philosophinnen in die Geschichte eingingen. So schmücken die Namen Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen und Hannah Arendt ihre Filmografie. Als Koproduktion von Amour Fou gewann der Film „Hannah Arendt“ (2012) sage und schreibe 33 Preise. „Wir waren sehr schnell bei der Idee, Margarethe von Trotta zu fragen, ob sie diesen Film realisieren möchte“, sagt das zweite Amour-Fou-Gründungsmitglied Alexander Dumreicher-Ivanceanu. „Sie war ganz interessiert, kannte ja auch Ingeborg Bachmann persönlich, wie sich dann herausgestellt hat.“ Wie auch schon bei ihren anderen Filmen schrieb von Trotta das Drehbuch zu „Bachmann & Frisch“ selbst, sie recherchierte dafür ein ganzes Jahr lang in diversen Bibliotheken und Archiven.
Ein ungleiches Schriftstellerpaar
Bei dem Pressebesuch sollen die Journalisten auch die Gelegenheit bekommen, der Regisseurin bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Umso spannender scheint dies, weil die zwei Luxemburger Cast-Mitglieder am Set präsent sind. Ingeborg Bachmann verkörpert nämlich niemand anderes als die mittlerweile international bekannte Vicky Krieps, und Marc Limpach sieht man in der Rolle des Schriftstellers Tankred Dorst. Im Film besucht er mit seiner damaligen Partnerin Marianne Oellers (Luna Wedler) das Ehepaar Bachmann und Frisch (Ronald Zehrfeld). Bei dem ersten gemeinsamen Abendessen in der Wohnung – diese Schlüsselszene wird zum Zeitpunkt des Pressebesuchs gedreht – wirft Frisch ein Auge auf die 23-jährige Oellers. Hier zeichnet sich schon der am Horizont aufziehende Beziehungssturm ab, bei dem das Paar schließlich Schiffbruch erleiden wird. Frisch, der der gerade erst Angekommenen Rom zeigen soll, verliebt sich alsbald in die junge, ihn weniger herausfordernde Frau und verlässt Bachmann wegen ihr.
Lange dürfen sich die Journalisten jedoch nicht am Filmset aufhalten: Sie werden nach nur knapp zwei Minuten von der Regisseurin aus dem Studio verbannt. Den Mitwirkenden können sie sich so erst bei den Gruppeninterviews annähern. In der Zwischenzeit – der Termin fordert von den Pressevertretern etwas Geduld – geht die Filmemacherin Bady Minck auf die Frage ein, warum der Film überhaupt um das Ehepaar Bachmann und Frisch kreist. Warum fokussiert er sich nicht auf die Geliebten Bachmann und Paul Celan? Oder handelt ausschließlich von der preisgekrönten Nachkriegslyrikerin? Zu Beginn hätten sie schon die Idee gehabt, nur Bachmann ins Zentrum zu rücken, bemerkt Minck. „Aber dann hätten wir natürlich kein Geld von der Schweiz bekommen“, schiebt sie lachend nach. „Es war klar, dass es nicht billig wird, wenn in so vielen Ländern gedreht wird.“ Das habe sie dazu veranlasst, eine zweite Figur mit ins Spiel zu bringen. „Das ist nun mal Produzentenlatein“, meint sie und macht eine abwinkende Handbewegung.
Dass die Wahl auf Max Frisch und nicht auf Paul Celan fiel, hatte letzten Endes mit der visuellen Darstellbarkeit der jeweiligen Beziehung zu tun. Bachmann und Celan verband „eine wunderschöne Lovestory“, betont Minck. Jedoch sei diese besonders in Briefform gelebt worden. „Er wohnte in Paris, sie war im deutschsprachigen Raum unterwegs.“ Sie habe ihn zwar in der französischen Hauptstadt besucht, jedoch hätten sich „die schönen Episoden“ ihres Zusammenseins während und mittels ihres schriftlichen Austauschs abgespielt. Bachmanns Beziehung zu Frisch stellte dazu ein Kontrastprogramm dar. „Mit Frisch gab es richtig Zoff“, sagt die Produzentin. „Frisch hat nicht gezögert – er hat mit Gegenständen um sich geworfen und geschrien“. Das sei visuell interessant gewesen. Als gediegener, bürgerlich scheinender Mann gab Frisch Bachmann natürlich zudem eine Stabilität, die sie aufgrund der Unbeständigkeit ihres eigenen Lebens suchte. „Die beiden waren sehr verschieden“, sagt Minck. Er war ein Macho, sie eine feministisch denkende Frau. Eine explosive Mischung, deren Darstellung sich für das Medium Film eignet.
Ingeborg Bachmann als Ikone
Während ihres Interviews geht von Trotta genauer darauf ein, was sie am Filmprojekt reizt. „Bachmann ist eine Ikone, vielleicht keine politische Ikone, aber für alle die, die sich mit Literatur und mit Politik beschäftigt haben, ist sie eine absolute Ikone – ich würde sagen, eine der wichtigsten Dichterinnen nicht nur Deutschlands des 20. Jahrhunderts“, sagt sie. „Was mich daran interessiert hat, ist, dass sie mit einer anderen Ikone, nämlich Max Frisch, vier Jahre zusammen war. Dieses Zusammensein von zwei Schriftstellern – wie schafft man das?“ Sie vergleicht die Künstlerehe von Bachmann und Frisch mit ihrer eigenen, schwierigen und auch mittlerweile geschiedenen Ehe mit dem Regisseur Volker Schlöndorff. „Eine kleine Parallelität habe ich darin entdeckt und wollte eigentlich einmal nachprüfen: Wie ist es bei den beiden?“ Daneben spart Trotta auch nicht mit Lob für die Hauptdarstellerin Vicky Krieps: „Für mich ist sie die absolute Traumbesetzung.“ Bachmann sei sehr vielseitig gewesen, manchmal habe sie sehr verletzlich ausgesehen und manchmal sei sie „die Intellektuelle“ gewesen. Vicky Krieps sei eine solche Spitzenschauspielerin, dass sie diesen Wechsel darstellen könne.
Die 38-jährige Schauspielerin wirkt beim Interview dann selbst etwas gedankenverloren. Auf die Frage, wie sie sich ihre Rolle aneigne, erwidert sie nach einer Pause: „Ich habe tatsächlich keinen Prozess oder Arbeitsweg, den gibt es nicht. Das ist alles sehr unbewusst – und mir selbst sehr mysteriös, wie es geht, wo es anfängt, wo es aufhört, was davon ich bin, was davon vielleicht sogar von außen durch mich durch arbeitet.“ Die Frage, welchen Roman von Ingeborg Bachmann sie am stärksten beeindruckt habe, kann Krieps nicht beantworten. Als sie nach der Gruppe 47* befragt wird, sagt sie: „Es ist gerade ganz komisch für mich. […] Es ist so, als wäre ich im Kreißsaal und wir reden jetzt drüber, auf welche Schule das Kind geht.“ Sie finde es gerade sehr schwer, ein Gespräch über etwas zu führen, das für sie noch völlig im Dunkeln liege. Dass sie sich schwer damit tut, konkret auf die angesprochenen Themen einzugehen, weil sich das Team erst am Anfang des Drehs befindet, macht die Luxemburgerin mehrmals deutlich.
Luxemburger Talente am Filmset
Für Marc Limpach liegt der Hauptanreiz, beim Projekt mitzumachen, seinerseits in dem Zusammenwirken mit der Regisseurin. „Da gibt es einfach nur einen Namen, den man nennen muss: Margarethe von Trotta.“ Deswegen sei es auch so wunderbar, dass so eine Produktionsfirma wie Amour Fou die Möglichkeit besitze, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die gemeinsame Arbeit mit der Hauptdarstellerin empfindet er ebenfalls als sehr gut. „Wir kennen uns ja jetzt schon länger, sie ist ein ganz lieber Mensch – es ist immer ganz schön, sich wiederzusehen.“ Begeisterung bringt Limpach auch für das eigentliche Thema des Films auf: „Max Frisch, Bachmann … Die Literatur aus der Zeit ist natürlich höchst spannend.“
Am Filmprojekt „Bachmann & Frisch“ beteiligen sich derweil noch andere Luxemburger Talente. So steuert Komponist André Mergenthaler den Filmsoundtrack bei, Helder da Silva arbeitet als Chefelektriker am Set und Uli Simon kümmert sich um die Kostüme. Dass Bachmann ihren eigenen Stil gehabt habe, der immer „einen kleinen Twist“ hatte, unterstreicht die Kostümbildnerin. „Sie [war] ihrer Zeit immer ein klein bisschen voraus.“ Mit ihren schwarzen Boots oder übergroßen Ketten verzichtete die Dichterin auf gesellschaftskonforme Perfektion, wenn es um ihre äußere Erscheinung ging. Ihre Garderobe können Filmbegeisterte dann im Frühjahr 2023 mit eigenen Augen bestaunen, denn spätestens dann soll „Bachmann & Frisch“ in die Kinos kommen.
* Die Gruppe 47 war eine heterogene Schriftstellergruppierung ohne feste Strukturen. Ihre Mitglieder trafen sich bei Tagungen, zu deren Anlass auch der „Preis der Gruppe 47“ vergeben wurde. Bachmann gewann die literarische Auszeichnung gleich zweimal, nämlich in den Jahren 1952 und 1953.
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