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UmweltDie Natur als Rechtsperson: Wie sich Luxemburg am Vorbild Ecuador inspirieren kann

Umwelt / Die Natur als Rechtsperson: Wie sich Luxemburg am Vorbild Ecuador inspirieren kann
Die Natur kann sich nur geringfügig wehren Foto: André Feller

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Konventionelle Umwelt- und Naturschutzgesetze in Luxemburg sind eigentlich dazu da, um zu regulieren, wie wir Menschen mit der Natur umgehen. Sie definieren den Grad an Umweltverschmutzung und Zerstörung von Lebensräumen, die wir legal in Kauf nehmen. Für eine gesunde Beziehung zur Natur und einen wahrhaften Umweltschutz reiche dies nicht aus. Vielmehr müsse man der Natur eigene Rechte zuerkennen und sie als Rechtsperson in der Verfassung definieren, sagen der Luxemburger Rechtsanwalt Jean-Jacques Schonckert und seine Partnerin Isabelle Faber, Systemaufstellerin, im Tageblatt-Gespräch.

Die derzeit gültigen Gesetze in Sachen Natur- und Umweltschutz gehen dem Juristen Jean-Jacques Schonckert nicht weit genug. Seiner Auffassung nach sind die bestehenden Gesetzestexte zwar besser als überhaupt keine Vorschriften. Strafrechtliche Folgen seien aber abgesehen von einigen wenigen administrativen Strafen bei Umweltverstößen eher eine Seltenheit.

Zu Beginn unseres Gesprächs zitiert der Jurist das fiktive Beispiel eines Landwirts, der Gülle in einen Bach leert. Eine Privatperson könne in einem solchen Fall nur wenig ausrichten. Es bleibe lediglich die Möglichkeit, die Polizei oder das Umweltamt zu benachrichtigen, die ihrerseits den Vorfall an die Justiz melden. Ob Anklage erhoben werde, würden die zuständigen Instanzen, etwa der Staatsanwalt, entscheiden, sagt Schonckert.

In Ecuador, Bolivien und Uganda ist die Natur seit geraumer Zeit als eigenständige Rechtsperson definiert. Im obengenannten Beispiel könne eine Privatperson im Namen der Natur eine Anklage erheben, sagt Schonckert. In erster Linie geht es dem Juristen dabei nicht ums Bestrafen. Vielmehr gelte es in dieser Rechtsphilosophie, das Verantwortungsbewusstsein der Menschen im Umgang mit der Natur zu steigern und zu fördern.

Isabelle Faber mischt sich ins Gespräch ein und übermittelt eine wichtige Botschaft: „Der Mensch muss sich bewusst werden, dass er mit der Natur eine Einheit bildet.“ Gehe es der Natur schlecht, gehe es auch dem Menschen schlecht. „Immerhin besteht der Mensch ungefähr zu 70 Prozent aus Wasser und ernährt sich aus der Natur“, unterstreicht Faber.

Wie es ausschaue, wenn das System aus dem Gleichgewicht gerät, davon hätte sich in den letzten Monaten jeder ein Bild machen können, so unsere beiden Gesprächspartner, die als Beispiele den Klimawandel, Feuersbrünste oder Trockenheit nennen.

Als Systemaufstellerin sieht Isabelle Faber in einem Recht für die Natur einen wichtigen Fortschritt. Denn wir alle seien Teil eines Systems, sei es einer Familie, eines Unternehmens, eines Vereins, der Gesellschaft oder eben der Natur. Wenn sich die Menschen dieser Zugehörigkeit und des Zusammenspiels aller Systeme bewusster würden, würden sie die Natur mit anderen Augen sehen, so Fabers Auffassung.

Rezente Aktionen wie die Besetzung des Waldstückes „Bobësch“ zwischen Niederkerschen und Sanem könnten für Faber und Schonckert ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung sein, damit sich das System bewege, um sich zu erneuern und dann wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Dies könnte gegebenenfalls einen normativen Prozess ankurbeln oder beschleunigen, betonen die beiden Befürworter der Rechte für die Natur.

Vorreiter Ecuador

2008 nahm die Republik Ecuador die Natur als Rechtssubjekt in ihre Verfassung auf und erkannte dabei den indianischen Ausdruck „Pacha Mama“, zu Deutsch Mutter Erde, an. In Artikel 71 der Verfassung heißt es: „Pacha Mama, in der sich das Leben verwirklicht und realisiert, hat das Recht, in ihrer gesamten Existenz respektiert zu werden. Jede Person, jede Gemeinschaft, jedes Volk oder jede Nationalität kann die zuständige öffentliche Autorität dazu auffordern, die Rechte der Natur umzusetzen.“

Angewandt wurden diese Gesetze erstmals 2011. Damals war der Fluss Vilcabamba durch einen geplanten Straßenbau bedroht. Die Bürger erhoben Klage, mit der Begründung, der Fluss müsse als natürliche Ressource geschützt werden. Eine Beeinträchtigung des Flusses durch den Straßenbau beträfe ebenso das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt. Sowohl der Fluss als auch die Bürger hatten Erfolg vor Gericht. In der Zwischenzeit hat das ecuadorianische Verfassungsgericht andere umweltschädliche Großprojekte gestoppt. Weitere Staaten folgten dem Beispiel Ecuadors. Bolivien, Kolumbien, Neuseeland und Brasilien etwa erkannten einzelnen Flüssen, Ökosystemen und Naturparks eigene Rechte zu.

Aktuelle Vorschriften besser als keine

Zurück nach Luxemburg. Wie in allen Ländern Europas verfügt auch das Großherzogtum über Natur- und Umweltschutzgesetze. Diese seien zwar besser als überhaupt keine Vorschriften, so Jean-Jacques Schonckert und Isabelle Faber. Doch obwohl Luxemburg und andere europäische Länder überreguliert seien, reichten diese Gesetze für einen effizienten Umwelt- und Naturschutz bei weitem nicht aus.

Dies hänge unter anderem mit dem Kaskadenprinzip im Luxemburger Rechtssystem zusammen. Schonckert greift nochmals das anfangs erwähnte fiktive Beispiel vom Landwirt auf. Angenommen, die Stadt oder das Wassersyndikat müsse aufgrund dieser Verunreinigung die Trinkwasserversorgung einstellen. Dem Bürger, in diesem Falle dem Kunden eines Lieferanten, bleibe nur die Möglichkeit einer Klage wegen Vertragsbruchs, also des Ausbleibens der Wasserversorgung. Im Anschluss müsse das Trinkwassersyndikat den Landwirt vor Gericht zerren und auf Schadensersatz klagen. Dabei bleibe aber nach wie vor der wahre Naturschutz auf der Strecke. Denn die Natur wird in unserem Rechtssystem nur als „Sache“ angesehen, so Schonckert. Eine direkte Klage gegen den Landwirt sei demnach nicht möglich.

Ob ein Naturrecht im Luxemburger Rechtssystem nicht noch mehr Chaos anrichten würde, verneint der Jurist. Im Gegenteil. Laut dem Rechtsanwalt bestünde mit der Schaffung einer neuen Gerichtsinstanz mehr Eingängigkeit als heute. Die aktuelle Gesetzeslage, die zudem unter dem Einfluss europäischer Verordnungen steht, erschwere die Definition der Zuständigkeiten der Gerichtshöfe, wie etwa des Verwaltungsgerichts, Friedensgerichts oder Bezirksgerichts sowie der strafrechtlichen oder zivilen Prozeduren.

Ein spezifischer Gerichtshof für alle Naturschutzangelegenheiten und eine Anerkennung der Natur, sprich Fauna und Flora, Landschaften sowie der abstrakteren Umweltgüter Wasser und Luft als eigene Rechtsperson würde demnach laut Isabelle Faber und Jean-Jacques Schonckert vieles vereinfachen. Nicht nur in der Rechtssprechung, sondern auch im Verantwortungsbewusstsein eines jeden einzelnen im System. Neue juristische Strategien könnten der Umweltzerstörung Einhalt gebieten. Mit der anstehenden Reform der Verfassung wäre es angebracht, über ein Recht für die Natur nachzudenken.

 Der Luxemburger Rechtsanwalt Jean-Jacques Schonckert und seine Partnerin Isabelle Faber
Der Luxemburger Rechtsanwalt Jean-Jacques Schonckert und seine Partnerin Isabelle Faber Foto: André Feller

Auszug aus der Verfassung der Republik Ecuador

Rights of nature

Article 71. Nature, or Pacha Mama, where life is reproduced and occurs, has the right to integral respect for its existence and for the maintenance and regeneration of its life cycles, structure, functions and evolutionary processes.
All persons, communities, peoples and nations can call upon public authorities to enforce the rights of nature. To enforce and interpret these rights, the principles set forth in the Constitution shall be observed, as appropriate.
The State shall give incentives to natural persons and legal entities and to communities to protect nature and to promote respect for all the elements comprising an ecosystem.

Article 72. Nature has the right to be restored. This restoration shall be apart from the obligation of the State and natural persons or legal entities to compensate individuals and communities that depend on affected natural systems.
In those cases of severe or permanent environmental impact, including those caused by the exploitation of nonrenewable natural resources, the State shall establish the most effective mechanisms to achieve the restoration and shall adopt adequate measures to eliminate or mitigate harmful environmental consequences.

Article 73. The State shall apply preventive and restrictive measures on activities that might lead to the extinction of species, the destruction of ecosystems and the permanent alteration of natural cycles.
The introduction of organisms and organic and inorganic material that might definitively alter the nation’s genetic assets is forbidden.

Article 74. Persons, communities, peoples, and nations shall have the right to benefit from the environment and the natural wealth enabling them to enjoy the good way of living. Environmental services shall not be subject to appropriation; their production, delivery, use and development shall be regulated by the State.

HeWhoCannotBeNamed
20. September 2022 - 18.21

Die aufgeworfenen Fragen und Feststellungen sind legitim, man sollte aber nicht vergessen, dass das übergeordnete Prinzip der "Pachamama" ein religiös-mystisches Konzept der andinen Völker ist, das sich nicht auf das westliche Denken übertragen lässt : Pachamama ist nicht einfach ein indigener Ausdruck für "Mutter Erde", sondern ein Wesen, ein "Ganzes", das die Menschen und alle anderen Wesen schützt und nährt, es ist auch der Ort, an dem die Toten hingehen usw. Ist das Konzept der Natur als juristische Person noch konsensfähig wenn man das übergeordnete und religiöse Prinzip der Pachamama dabei entfernt? Oder anders ausgedrückt : kann man Verantwortungsgefühl schaffen OHNE die Natur zu mystifizieren?