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Alain spannt den BogenDie hohe Kunst der Gestaltung: Hochprozentiges mit dem Emerson String Quartet, Julia Fischer und der Staatskapelle Dresden

Alain spannt den Bogen / Die hohe Kunst der Gestaltung: Hochprozentiges mit dem Emerson String Quartet, Julia Fischer und der Staatskapelle Dresden
Julia Fischer, Violine, David Afkham am Pult und die Staatskapelle Dresden Foto: Jörg Simanowski

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Das legendäre Emerson String Quartet ist auf Abschiedstournee und spielte wohl auch zum letzten Mal in der Philharmonie. Berühmt für seinen nuancenreichen, klaren Klang, sein transparentes Spiel und seine zurückhaltende, objektive Lesart, war das Emerson String Quartet Anfang der 80er Jahre Wegbereiter eines neuen Stils und berechtigte Erben des berühmten Alban-Berg-Quartetts, das sich 2009 aufgelöst hatte.

Obwohl mittlerweile eine neue, junge Generation das Ruder übernommen hat, beeindruckt das Emerson String Quartet immer noch mit ebenso prägnanten wie spannenden und technisch überragenden Interpretationen. In unserem Konzert galt das insbesondere für das Streichquartett Nr. 12 von Dimitri Schostakowitsch und das Streichquartett Nr. 8 op. 59/2 „Rasumowsky“ von Ludwig van Beethoven.

Das 12. Streichquartett beginnt im Cello mit einer Zwölftonreihe, ein Kompositionsstil, der damals – das Werk wurde 1968 komponiert – vom russischen Regime völlig abgelehnt wurde. Daraus lässt der Komponist eine betörende Musik entstehen, düster, zerrissen und trotz der Atonalität ungemein emotional.

Das ESQ begeistert durch eine perfekte Balance zwischen Ausdruck und Struktur. Das Spiel ist zurückgenommen, trotzdem entwickelt es aus der Musik heraus eine ungemeine Kraft, die wohl jeden im Saal tief berührt. Nach der Pause folgt dann das Beethoven-Quartett.

Perfekte Balance

Auch hier wird ein intensives Spiel geboten und die Form in jedem Moment bewahrt. Das ESQ bleibt also seinem objektiv-transparenten Spiel treu und entwickelt daraus eine sehr spannende und trotzdem transparente Interpretation, bei der zwar die Struktur im Mittelpunkt steht, das emotionale Element, wie beispielsweise im langsamen 2. Satz, allerdings nie aus den Augen gelassen wird.

Das einleitende Streichquartett Nr. 29 von Josef Haydn enttäuschte allerdings. Die Intonationsprobleme der Primarius in den ersten beiden Sätzen irritierten auch die Mitspieler, die erst ab dem Scherzo wirklich zusammenfanden, aber insgesamt einen eher blassen Haydn ohne Charme und Witz spielten. Nicht schlimm, Schostakowitsch und Beethoven gelangen dem ESQ dafür absolut meisterlich und hinterließen wohl bei jedem Zuhörer auch einen nachhaltigen Eindruck.

Konzerte mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden sind immer ganz besondere Hörerlebnisse. Vielleicht, weil dieses Orchester noch als eines der wenigen die klassische Spieltradition deutscher Orchester pflegt, wie es auch die Staatskapelle Berlin oder das Gewandhausorchester Leipzig tun.

Gleich zweimal konnte das einheimische Publikum diese „Wunderharfe“, wie Richard Wagner das Orchester einst nannte, hören. Eigentlich sollte Chefdirigent Christian Thielemann diese Konzerte dirigieren, doch er musste diese kleine Tournee wegen Schulterproblemen absagen; für ihn sprangen kurzfristig David Afkham und Tugan Sokhiev ein.

Lieblingsstücke

Julia Fischer spielte an beiden Abenden. Das erste Konzert war ausschließlich Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet. Bereits mit der Hebriden-Ouvertüre spürte man, wie fein und detailfreudig David Afkham zur Sache ging.

Sein Dirigat war quasi eine Liebeserklärung an die Musik. Mit jeder Geste beschwor er die Schönheit und ließ nichts unversucht, um Mendelssohns Werke in bestem Licht erscheinen zu lassen. Der Zuhörer erlebte demnach klassisch geprägte Wiedergaben, die durch den wunderbaren Klang der Staatskapelle Dresden in jeder Hinsicht veredelt wurden.

Julia Fischer ist zweifelsohne eine der weltbesten Geigerinnen. Ihre Auslotung von Mendelssohns Violinkonzert war atemberaubend, vielleicht, weil sie Mendelssohn als einen direkten Nachfolger von Beethoven sah. Sie unterließ zu viel romantischen Atem, spielte durchaus prägnant und offensiv, und das mit kammermusikalischer Bogenführung.

Afkham begleitete hochsensibel und die Orchestermusiker glänzten mit einem ebenso präzisen wie fein gegliederten Spiel. Das war große Kammermusik, spannend, dynamisch und wunderschön. Lang anhaltenden Jubel gab es anschließend für Julia Fischer, die sich mit einer Caprice von Paganini bedankte.

Nach der Pause dann Mendelssohns beliebte 3. Symphonie, die „Schottische“. Auch hier stehen Melodien und Ausdruck an erster Stelle. Afkham lässt die Staatskapelle butterweich aufspielen; die Interpretation gefällt und ist schlüssig. Bei längerer Vorbereitungszeit hätte man sicherlich noch akzentuierter und spannender vorgehen können, aber Einspringer können meistens innerhalb dieser kurzen Probenzeit keine Wunder vollbringen.

Nach diesen drei meiner Lieblingswerke standen am folgenden Abend zwei weitere wunderbare Werke auf dem Programm: Beethovens Violinkonzert mit der Dresdner Capell-Virtuosin 2022 Julia Fischer und die 1. Symphonie von Johannes Brahms.

Am Pult stand an diesem Abend der 45-jährige russische Dirigent Tugan Sokhiev, ehemaliger Chefdirigent des Bolschoi und des Orchestre national du Capitole de Toulouse. Nach dem frei atmenden, ja noblen Dirigat von Afkham erlebte das Publikum heute viel kontrastreichere, allerdings auch sehr kontrollierte Interpretationen der beiden Werke.

Sokhiev bot Julia Fischer einen idealen Klangteppich, wunderbar ausmusiziert mit vielen Details. Das Klangbild war dezent, trotzdem sehr akzentreich. Julia Fischer spielte in den Ecksätzen einen frischen, dynamischen, ja optimistischen Beethoven, schreckte aber nicht davor zurück, am Ende des Kopfsatzes melancholerische Töne anzuschlagen, die dann ein wunderbar gefühlvolles, sehr introvertiertes Larghetto folgen ließen. An beiden Abenden beeindruckte die Solistin mit einer spieltechnisch perfekten Darbietung.

Zum Abschluss dirigierte Tugan Sokhiev eine etwas pathetische 1. Symphonie, was allerdings dem herrlichen Klang der Staatskapelle Dresden sehr entgegenkam. Sokhiev modellierte und formte, wo er nur konnte, arbeitete viel an Details und Mittelstimmen und forderte seine Musiker immer wieder auf, leiser, dezenter zu spielen. Auch in den Tutti-Passagen ließ er das Orchester nicht von der Leine, sodass sein Brahms insgesamt sehr kontrolliert wirkte und nicht die Leichtigkeit von Afkhams Dirigat besaß, dafür Brahms 1. Symphonie aber viel dramatischer, expressiver und opulenter in Szene setzte. Zwei sehr unterschiedliche Dirigate also, und ein Orchester, das jedes Mal sehr flexibel und klangschön agierte. Der jubelnde Applaus war also in jedem Moment berechtigt.