Die Entwicklungsökonomie konzentriert sich auf die Verbesserung der Lebensumstände von Milliarden von Menschen in einkommensschwachen Ländern, doch ist der globale Süden in diesem Themenfeld stark unterrepräsentiert. Unglücklicherweise hat eine kleine Zahl von Institutionen aus den reichen Ländern das Feld in Beschlag genommen. Das hat schwerwiegende Folgen und das Problem scheint sich zu verschlimmern.
Man denke etwa an das Journal of Development Economics, eine führende Publikation für wissenschaftliche Aufsätze in diesem Feld. Weder der Herausgeber der Zeitschrift noch irgendeiner der zehn Mitherausgeber hat seinen Sitz in einem Entwicklungsland. Nur zwei ihrer 69 assoziierten Redakteure haben es und Afrika und Asien sind überhaupt nicht vertreten.
Dann ist da die prestigeträchtige Jährliche Weltbankkonferenz zur Entwicklungsökonomie (ABCDE). Die Veranstaltung des Jahres 2019 feierte den 75. Jahrestag der Konferenz von Bretton Woods, auf der die Weltbank und der Internationale Währungsfonds gegründet wurden. Doch keiner der 77 Teilnehmer kam von einer Einrichtung in einem Entwicklungsland. Und unsere Analyse der drei Jahrzehnte umspannenden Geschichte der ABCDE zeigt, dass nur 7% der Verfasser von Konferenzbeiträgen aus Einrichtungen in Entwicklungsländern stammten.
Ausgrenzende Konsequenzen
Das seit langem bestehende Problem der Unterrepräsentierung wird durch den wachsenden Einsatz randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) zur Überprüfung der Effizienz konkreter Interventionen zur Armutsbekämpfung in einkommensschwachen Ländern verstärkt. Obwohl die RCT-Bewegung enormes Lob verdient, weil sie die Notwendigkeit evidenzbasierter Stringenz in der Entwicklungsökonomie herausgestellt hat, hatte sie ausgrenzende Konsequenzen.
Kraft ihrer wohlverdienten wissenschaftlichen Reputation arbeiten viele RCT-orientierte Ökonomen inzwischen an den prestigeträchtigsten Universitäten und Forschungseinrichtungen der Welt und in den Redaktionsausschüssen führender wirtschaftswissenschaftlicher Fachzeitschriften. Diese wichtige Rolle als „Torhüter“ verschafft ihnen eine themensetzende Macht. Vor zwei Jahrzehnten gab es in der Entwicklungsökonomie praktisch keine RCT-basierten Forschungsaufsätze; im Jahr 2020 entfielen darauf laut unserer Analyse rund 40% der Artikel in den führenden Zeitschriften.
Und auch die RCT-Bewegung selbst ist durch Ausgrenzung gekennzeichnet. Beim Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL), dem einflussreichsten globalen Zentrum für entwicklungsbezogene RCT-Forschung, haben etwa 5% der fast 225 angeschlossenen Professoren ihren Sitz in Entwicklungsländern und Einrichtungen aus Ostasien sind gar nicht vertreten. Zudem ist die Durchführung von RCTs kostspielig, was bedeutet, dass die Forschung im Bereich der Armutsbekämpfung und die Finanzmittel dafür sich zunehmend an den reichsten Universitäten konzentrieren (J-PAL ist am MIT angesiedelt).
Tatsächlich können die Kosten der Durchführung von RCTs pro wissenschaftlichem Aufsatz in die Millionen gehen. Dies macht es für Wissenschaftler in Entwicklungsländern schwierig, ohne Kotau vor den wissenschaftlichen Orthodoxien der reichen Forschungseinrichtungen ihre eigenen Länder zu studieren. Wenn diese Forscher keine RCT-gestützten Studien durchführen können, haben sie kaum Chancen, in führenden Fachzeitschriften zu veröffentlichen, und laufen Gefahr, als zweitklassig abgestempelt zu werden. Selbst bei großzügiger Auslegung der Autorenschaft legt unsere Analyse nahe, dass 2020 nicht einmal 10% der RCT-gestützten Arbeiten in den sechs führenden wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften auf Einrichtungen in Entwicklungsländern entfielen.
Inhärentes Machtungleichgewicht
Subtilere Kosten sind mit der Privatisierung der Forschung verbunden. Es besteht ein inhärentes Machtungleichgewicht zwischen den relativ schwachen Regierungen der Entwicklungsländer und von ihrer Reputation und Finanzausstattung her mächtigen Wissenschaftlern, und es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem, was die politischen Entscheidungsträger in den einkommensschwachen Ländern für wichtig halten, und dem, was Wissenschaftler der Veröffentlichung in führenden Fachzeitschriften für wert erachten. Dies privilegiert mit Sicherheit Forschungsarbeiten, die den Wissenschaftlern mit Sitz in den reichen Ländern hohe private, den Entscheidungsträgern in den Entwicklungsländern jedoch magere öffentliche Renditen eintragen.
Es stimmt, dass Wissenschaftler aus Entwicklungsländern an diesen Eliteeinrichtungen wichtige Beiträge zur Entwicklungsökonomie leisten. Doch spielen die Anreize und Prioritäten der institutionellen Kulturen, in denen sie verortet sind, eine starke Rolle.
Der letzte Kostenfaktor bezieht sich auf die Art von Wissen, die ignoriert wird. Mehrere höchst erfolgreiche Volkswirtschaften – darunter Südkorea, Taiwan, China, Vietnam, Mauritius und Botswana – haben ihr Schicksal gedreht und ihre großen Bevölkerungen aus der Armut befreit, ohne sich auf RCTs zu stützen. Doch sind Wissenschaftler aus diesen Ländern normalerweise weder in den Reaktionsausschüssen der wichtigen Zeitschriften vertreten noch in hervorgehobener Weise an Konferenzen und Seminaren der Entwicklungsökonomen beteiligt. Besonders vielsagend ist diese Unterlassung im Falle Chinas, das einen historisch beispiellosen wirtschaftlichen Wandel erlebt hat. Es ist, als hätten die Entwicklungserfolge dieser Länder keine Lehren zu bieten.
Ein Monopol des globalen Nordens bei der Wissenserstellung zu unterbinden, erfordert zunächst einmal, anzuerkennen, dass der globale Süden diese Dominanz genauso stark weggeschenkt hat, wie die Eliteeinrichtungen des globalen Nordens sie sich angeeignet haben. Viele Entwicklungsländer haben ihre Universitäten und Systeme zur Wissensproduktion durch mangelnde Finanzausstattung und politische Einmischung stark geschwächt, wobei Letzteres in den Sozialwissenschaften besonders schädlich ist. Sofern sie hier nicht Abhilfe schaffen, werden sie weiterhin unter den Folgen des globalen Ungleichgewichts leiden.
Die besten Schutzmechanismen
Wir sollten zudem dem Nobelpreisvortrag von Kazuo Ishiguro aus dem Jahr 2017 Aufmerksamkeit schenken. Dieser drängte auf eine Verbreiterung „unserer gemeinsamen literarischen Welt, um viel mehr Stimmen von außerhalb unserer Komfortzonen der Elitekultur der ersten Welt mit aufzunehmen“. Dies bedeute, „energischer [zu suchen], um die Juwelen bis heute unbekannter literarischer Kulturen zu finden, egal ob diese Schriftsteller in weit entfernten Ländern oder innerhalb unserer eigenen Gemeinschaften leben“, und sich zugleich „sorgfältigst zu bemühen, keine allzu engen oder konservativen Definitionen davon anzulegen, was gute Literatur darstellt“.
Ersetzt man „Literatur“ durch „Entwicklungsökonomie“, so liefert Ishiguros Aufforderung ein konstruktives Programm für Korrekturmaßnahmen für Intellektuelle im globalen Norden. Sie legt zudem nahe, dass Diversität und eine breitere Repräsentation die besten Schutzmechanismen vor einer aus der Vereinnahmung durch Eliten herrührenden intellektuellen Engstirnigkeit sind.
* Arvind Subramanian ist ehemaliger Leiter des wirtschaftlichen Beraterstabs der indischen Regierung und der Verfasser von „Eclipse: Living in the Shadow of China’s Economic Dominance“. Devesh Kapur ist Professor für Südasienstudien an der Paul H. Nitze School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University und Mitverfasser von „The World Bank: Its First Half Century“.
Aus dem Englischen von Jan Doolan.
Copyright: Project Syndicate, 2021
www.project-syndicate.org
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können