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Vor GipfeltreffenDie EU und der Krieg in Israel: Ein diplomatischer Scherbenhaufen

Vor Gipfeltreffen / Die EU und der Krieg in Israel: Ein diplomatischer Scherbenhaufen
Ein Konvoi mit humanitären Gütern an der Grenze zum Gazastreifen in Rafah Foto: AFP/Eyad Baba

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Vor zwanzig Jahren, unter dem ersten Außenbeauftragten Javier Solana, hat die Europäische Union noch zwischen Israel und den Palästinensern vermittelt. Nun braucht sie selbst Vermittlung: Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel ringen EU-Diplomaten über hochumstrittene Formulierungen zu Israel und dem humanitären Elend in Gaza.

Deutschland und einige andere EU-Staaten wollen das Selbstverteidigungsrecht Israels herausstellen. Spanien und die Mehrheit der Mitgliedsländer fordern dagegen eine humanitäre Waffenpause und die Wiederaufnahme von Verhandlungen über eine Zweistaaten-Lösung. Zwischen beiden Positionen hatte sich in den vergangenen Tagen ein Graben aufgetan; der Gipfel soll ihn nun überbrücken.

In seiner Einladung für das zweitägige Treffen betont EU-Ratspräsident Charles Michel das Recht Israels zur Selbstverteidigung; von einer Waffenruhe ist keine Rede. In Brüssel kursieren aber auch Beschlussentwürfe, in denen Feuerpausen für Hilfslieferungen gefordert werden. Diese könnten kurz sein und es Israel erlauben, den Krieg gegen die Hamas-Terroristen in Gaza weiterzuführen.

Ob sich die 27 EU-Staaten am Ende auf einen Kompromiss einigen können, der beiden Seiten gerecht wird, ist unklar. Doch selbst wenn der Streit beim Gipfel in Brüssel ausgeräumt werden sollte, bleibt nach zwei Wochen Dauerstreit ein diplomatischer Scherbenhaufen.

Selten hat die EU ihre Meinungsverschiedenheiten so offen ausgetragen, noch nie sind die Positionen so hart aufeinander geprallt. Der Riss ging bis in die Brüsseler Spitze: Ratspräsident Michel stellte sich gegen Kommissionschefin Ursula von der Leyen, der Außenbeauftragte Josep Borrell stritt mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock.

Dabei geht es nur vordergründig um Solidarität mit Israel – die niemand infrage stellt – oder humanitäre Hilfe für Palästina, zu der sich nach langem Zögern und einem eigens einberufenen Sonder-Gipfel in der vergangenen Woche auch von der Leyen bekennt. Es geht um die Frage, ob die EU in der Nahost-Politik eine eigenständige und aktive Rolle einnimmt – und um ihre Glaubwürdigkeit weltweit.

Genau diese Glaubwürdigkeit sahen viele EU-Politiker und Diplomaten erschüttert, nachdem sich von der Leyen vorbehaltlos hinter Israel gestellt hatte. Ihre Worte wurden als Blankoscheck für die israelischen Bombardements in Gaza und als Affront für den globalen Süden interpretiert. „Dafür werden wir einen hohen Preis im globalen Süden zahlen“, hieß es in Brüsseler EU-Kreisen.

Vorwurf der Doppelmoral

Es sei schwer zu vermitteln, dass die EU die russischen Bombardements und Blockaden in der Ukraine regelmäßig verurteilt, die israelischen Militäraktionen und die „totale Blockade“ in Gaza jedoch nicht einmal erwähnt, sagte ein Diplomat. Man könne diese Vorgänge zwar nicht vergleichen. Dennoch höre man auch in Brüssel immer öfter den Vorwurf der Doppelmoral und der „double standards“.

Beschwerden kommen nicht nur aus dem globalen Süden, sondern sogar aus der EU-Kommission. Mehr als 800 Mitarbeiter der Brüsseler Behörde haben einen Protestbrief gegen den Kurs ihrer deutschen Chefin unterzeichnet. Im Rat, der Vertretung der Mitgliedstaaten, forderten Spanien, Irland, Belgien und Frankreich eine Klarstellung.

Neben von der Leyen zieht auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock viel Unmut auf sich. Denn sie hat sich gegen eine „humanitäre Waffenpause“ ausgesprochen, wie sie sogar die UNO fordert. Zudem soll sie eine gemeinsame Erklärung beim Friedensgipfel in Kairo verhindert haben.

Bitteres Fazit von Jean Asselborn, dem dienstältesten Außenminister der EU: „Wir sind kein Player, sondern nur noch Payer“, so der Luxemburger beim letzten – ergebnislosen – Treffen der EU-Außenminister. Europa habe keinen Einfluss mehr auf die Nahost-Politik, müsse aber für den Schaden zahlen. Die Rechnung dürfte gesalzen ausfallen …