Johannes Hahn dürfte nach diesem EU-Finanzministertreffen kaum ruhiger schlafen. Der Haushaltskommissar rechnete an diesem Freitag dem Ministerrat schonungslos den Zustand der Ausgaben- und Einnahmenpläne vor, schilderte den Mehrbedarf für Krisen, Krieg und Kampf gegen den Klimawandel und bat die Minister der Mitgliedstaaten um 66 Milliarden Euro mehr, verteilt auf die nächsten vier Jahre. Nein, sagten sie – und erwarteten gleichzeitig mehr Geld aus Brüssel.
Nach langem Ringen hatte sich die Union 2020 auf ein Volumen von 1,1 Billionen Euro für die folgenden sieben Jahre verständigt. Zwei Drittel davon wurden umgehend als Rückflüsse in die nationalen Etats festgeschrieben. Blieb ein Drittel für reine EU-Aufgaben. Die genauen Ausmaße der Corona-Folgen waren da noch nicht in Sicht, die Unterstützung für die Ukraine im Umfang von Dutzenden Milliarden Euro überhaupt nicht vorstellbar. Und zusätzliche Forderungen der Mitgliedstaaten zur Finanzierung der ehrgeizigen Klimaschutzpakete ebenfalls nicht in den Büchern. Auch die jüngsten Verständigungen zwischen Rat und Parlament endeten regelmäßig damit, dass Brüssel zusätzliche Milliarden locker machen müsse. Selbst in dem jüngst erbittert diskutierten Renaturierungsgesetz haben die Mitgliedstaaten reingeschrieben, dass das alles nicht geht ohne zusätzliches Geld aus Brüssel.
Viele Aufgaben, wenig Geld
Von daher erschien die Bitte um weitere 66 Milliarden Euro noch relativ übersichtlich – zumal allein 50 davon für Zuschüsse und Kredite an die Ukraine gehen sollen. Kurz nachdem Deutschlands Finanzminister Christian Lindner bei der Ankunft zum Treffen in Brüssel erklärt hatte, es gebe nicht mehr, die Kommission müsse den Mehrbedarf durch Umschichtungen im eigenen Etat decken, legte Haushaltskommissar Hahn mit einer langen Auflistung im Tagungssaal los. Allein der Asylpakt koste 15 Milliarden extra, die von den Mitgliedstaaten verlangten Sonderprogramme für mehr Wettbewerbsfähigkeit weitere zehn Milliarden Euro. Und die in Folge des Krieges aufgetretene Inflation verteure den Kapitaldienst für das laufende 750-Milliarden-Programm zum Auffangen der wirtschaftlichen Folgen von Corona. Er zählte eine lange Liste von Umschichtungen auf, durch die die Kommission bereits Geld zusammengekratzt habe. Von den Angleichungsprojekten über Digitalvorhaben, das Weltraumprogramm bis zum Verteidigungsfonds. „Alles hat seine Grenzen“, meinte Hahn zusammenfassend.
Die Reaktionen der Minister auf diesen Vortrag waren zuvor aufgeschrieben, und so wirkte es so, als habe Hahn gegen leere Wände geredet. Die EU müsse innerhalb bestehender Finanzierungen umschichten, wiederholte Lindner nun auch im Saal. Alle hätten in ihren nationalen Haushalten so viele Zwänge, dass Priorisierungen auch von der Kommission erwartet würden. Der deutsche Finanzminister schlug vor, die Ukraine-Finanzierung solle vom übrigen mehrjährigen Finanzrahmen getrennt werden.
Überschüsse großer Unternehmen anzapfen
Hahn winkte ab. Da seien umständliche Vereinbarungen mit den Mitgliedstaaten nötig, das kriege man so schnell nicht hin. Bei einem ähnlichen Vorhaben warte die Kommission auch nach einem Jahr noch auf die letzten Unterschriften. Gleichwohl operiere auch die Kommission mit einer eigenen „Ukraine-Reserve“. Sein Vorschlag ging denn auch dahin, die EU-Eigeneinnahmen zu stärken. Ab 2028 seien durch den Zertifikatehandel 36 Milliarden zu erwarten, von denen gut acht aber sofort in den Klimasozialfonds flössen. Rumänien erinnerte sogleich daran, dass auch ein Solidarfonds bestückt werden müsse, um die Auswirkungen für die einzelnen Staaten abzumildern. Zusätzlich schlug die Kommission nun vor, 0,5 Prozent von den Überschüssen großer Unternehmen in die EU-Kassen zu transferieren.
Bei den Finanzministern machte sich Hahn mit der Zusatzabgabe keine Freunde. „Ehrlich gesagt, wissen wir nicht, wie das gehen soll“, meinte Litauens Finanzministerin Gintaré Skaiste. Das hätte für die Mitgliedstaaten völlig unterschiedliche Auswirkungen und verursache viel Verwaltungsaufwand. Und auch Lindner wollte davon erst einmal nichts wissen. „Ich kann alle gut verstehen, die auch ordnungspolitische Bedenken haben“, sagte er Hahn.
Angesichts der drohenden Finanzklemme drückte Hahn aufs Tempo. Doch aus den Reihen der Minister kam beim letzten Treffen vor der Sommerpause die Ansage, dass es für eine detaillierte Beratung „im Oktober noch zu früh“ sei.
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