Erst hat es fast ein halbes Jahr gebraucht, um ein neues Regierungsbündnis zu schmieden – und dann eine Neuauflage der Großen Koalition zu präsentieren. Mit der AfD wurde eine Partei rechts von der Union auf Anhieb drittstärkste Kraft und größte Oppositionspartei. Dass das alles Spuren im politischen Berlin hinterlässt, war klar. Dass die Spuren so tief sein würden, haben vor einem Jahr allerdings die wenigsten vorausgesagt.
Von unserem Korrespondenten Stefan Vetter
Fast ein halbes Jahr hat es gedauert, bis die neue Regierung nach der letzten Bundestagswahl am 24. September 2017 ins Amt kam. Wahrlich eine schwere Geburt. Und ein Rekord in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte: Noch nie war das Land so lange lediglich von einer geschäftsführenden Kabinettsriege regiert worden. Aber mit dem mühevollen und schließlich gescheiterten Versuch einer rechnerisch möglichen Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen wurde auch jede Menge Zeit verplempert. Und was dann am Ende herauskam, nämlich die Neuauflage der Großen Koalition, erinnerte von Anfang an mehr an eine Notgemeinschaft als an ein kraftvolles Regierungsbündnis.
Kein Wunder. Union und SPD waren schon in der vergangenen Wahlperiode einander überdrüssig geworden. Dass sie noch ein weiteres Mal gemeinsam ran mussten, hat mit den erdrutschartigen Verschiebungen in der politischen Landschaft zu tun. Waren im alten Bundestag nur fünf Parteien vertreten, so sind es nunmehr sieben. Insbesondere die AfD hat die Verhältnisse gehörig durcheinandergewirbelt. Nicht nur, dass damit erstmals seit Jahrzehnten wieder eine Partei rechts von der Union ins Parlament einzog. Die AfD wurde aus dem Stand auch gleich stärkste Oppositionskraft. Eine Rolle, die zuvor die Linke innehatte und über deren Verlust sie bis heute noch nicht hinweg gekommen ist.
Turbulenter, aber zum Teil auch hasserfüllt
Denn diese Rolle ist mit besonderen Privilegien verbunden. So stellt die stärkste Oppositionspartei zum Beispiel den Vorsitz des mächtigen Haushaltsausschusses im Bundestag. Außerdem dürfen ihre Redner in Plenarsitzungen den Regierenden als Erste kontra geben, was auch eine größere mediale Wahrnehmung garantiert. All das hat die Debattenkultur im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode stark verändert. Demokratisch betrachtet ist das sicher kein Makel. Früher waren die Abgeordneten von Union und SPD derart in der Überzahl, dass sie sich am Rednerpult wechselseitig die Bälle zuwerfen konnten. So kam regelmäßig Langeweile auf.
Nun belebt die erstarkte Konkurrenz das Geschäft. Die Debatten sind viel turbulenter, aber zum Teil auch regelrecht hasserfüllt geworden. Die AfD nutzt die demokratischen Freiheiten in erster Linie, um den «Rest» des Hohen Hauses zu provozieren. Mit braun angehauchten Statements, aber am allerhäufigsten mit verächtlichen, ja feindseligen Äußerungen über Flüchtlinge. Ein Rezept dagegen haben die anderen Parteien bislang nicht gefunden. Ignorieren? Zurück provozieren? Darüber werde intern immer wieder aufs Neue diskutiert, sagt eine führende Politikerin der Grünen.
Anders ist die Gefechtslage dort, wo keine Kameras für öffentliche Wahrnehmung sorgen. In den Bundestagsausschüssen zählt Sacharbeit statt Show. Und darin, so wird berichtet, seien die wenigsten AfDler bewandert. Populismus geht ja auch leichter als Fachwissen und Detailkenntnis. Derweil hält Union und SPD wohl nur noch die Einsicht zusammen, dass ein Scheitern ihrer Koalition der AfD erst recht Auftrieb geben würde. Das war auch bei ihrer jüngsten Krise in Sachen Hans-Georg Maaßen zu spüren. Nur keine Neuwahlen. Dies scheint der kleinste gemeinsame Nenner in der GroKo zu sein.
Schwarz-Rot hat einiges zustande gebracht
Dabei ist es ja nicht so, als hätte Schwarz-Rot nichts zustande gebracht. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird gesenkt und die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung werden künftig wieder paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Ein neues Rentenpaket wurde auf den Weg gebracht, eine Vorlage zur Verbesserung der Qualität in den Kitas und vieles andere mehr. Allerdings verpuffen solche Arbeitsnachweise beinahe regelmäßig, weil die GroKo nur noch um sich selbst kreist. Und weil das Flüchtlingsthema, obwohl seit 2015 deutlich entschärft, weiter allgegenwärtig ist. Die Regierung taumelte schon kurz vor der Sommerpause am Abgrund, als der unionsinterne Streit über den «Masterplan Migration» von Innenminister Horst Seehofer (CSU) vollends aus dem Ruder zu laufen drohte.
So wäre dem Langzeitrekord bei der Regierungsbildung dann auch gleich noch ein Kurzzeitrekord beim Regierungsbestand gefolgt. Im politischen Berlin würde allerdings keiner die Hand dafür ins Feuer legen, dass das schwarz-rote Bündnis nun bis zum Ende der regulären Wahlperiode durchhält. Zu groß die Fliehkräfte. Zu ungewiss, was da noch alles kommen könnte.
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