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Rundtischgespräch Schwarzarbeit„Der politische Wille fehlt“

Rundtischgespräch Schwarzarbeit / „Der politische Wille fehlt“
Diskutiert wurde über die Hürden, die eine Bekämpfung des Phänomens unmöglich machen, und über etwaige Lösungsansätze  

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Beim Begriff „Schwarzarbeit“ denken die meisten Menschen an handwerkliche Arbeiten, die man im privaten Kreis an Wochenenden oder Abenden von unangemeldeten Handwerkern oder Reinigungskräften durchführen lässt. Die journalistische Recherche von Franziska Peschel im Magazin „forum story“ vom November 2023 zeigt, dass organisierte Schwarzarbeit in Luxemburg keine Grenzen kennt. Opfer sind die Beschäftigten selbst, die Bekämpfung des Phänomens bleibt eine Sache der Unmöglichkeit, weil der politische Wille dazu fehle. Am vergangenen Montag vertiefte die Journalistin das Thema mit einem vom Forum organisierten Rundtischgespräch in den Rotondes.

Mehr als sechs Monate hat die Journalistin Franziska Peschel zum Thema Schwarzarbeit recherchiert. Ihre Enthüllungen beleuchten den Alltag einer Schattenwelt und der Ausbeutung von Menschen. Weil weder das Problem noch die Opfer organisierter Schwarzarbeit öffentlich wahrnehmbar sind, erschienen auch nur wenige Zuhörer zum Rundtischgespräch. Politiker waren nicht anwesend. Stéphanie Gardini („Médecins du monde“), Marco Boly (Direktor der ITM), Jean-Luc De Matteis (OGBL) und Christian Reuter („Féderation des artisans“) diskutierten über die Hürden, die eine Bekämpfung des Phänomens unmöglich machen, sowie über etwaige Lösungsansätze.

Die Schwarzarbeit, wie jeder sie zu kennen meint, sprich die „nachbarschaftliche“ Hilfe von einem Bauarbeiter, der Frisörin, die abends Hausbesuche durchführt, oder die Reinigungskräfte, die sich ihre Löhne durch einen kleinen Nebenverdienst aufbessern wollen, sind nur das kleinste Übel im Land, wie Franziska Peschels Recherchen ergaben.

Rechtlose „Arbeitnehmer“

Vielmehr deckte die Journalistin die Schicksale von Menschen auf, die für Unternehmen arbeiten, die offiziell gar nicht existieren. Die „Arbeitnehmer“ in diesen inexistenten Firmen sind weder kranken- noch rentenversichert, haben kein Anrecht auf Arbeitslosengeld, oftmals kein Dach über dem Kopf, keinen Zugang zur medizinischen Versorgung, nicht mal ein Bankkonto. Scheinbar sind diese Menschen inexistent, zumindest aus administrativer Sicht. Weder sie noch die „Unternehmen“, die sie beschäftigen, sind bei den Behörden registriert.

In der Gesprächsrunde betont Marco Boly, Direktor der ITM („Inspection du travail et des mines“), immer wieder, dass ihm die Hände gebunden seien. Seine Behörde sei immer noch unterbesetzt. Der Handlungsspielraum der Gewerbeaufsicht sei gesetzlich eingeschränkt, während die Gesetzestexte selbst veraltet seien und teilweise auf unklaren Definitionen beruhten. Zudem fehle es an vernetzten Datenbanken zwischen den Behörden. Die Kompetenzen seien zerrüttet und unter vielen verschiedenen Instanzen verteilt. Seine Verwaltung könne nur jene Kontrollen durchführen, die das Gesetz vorsehe. Bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit, illegaler Arbeit oder Unregelmäßigkeiten bei der Entsendung von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland nach Luxemburg könne die ITM nicht als alleiniger Akteur auftreten, erklärt Boly.

Jede implizierte Verwaltung habe andere Aufgaben- und Kontrollgebiete. Diese begreifen beispielsweise die Sicherheit- und Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz, Aufenthaltsgenehmigung und Einwanderungsrecht, Arbeitsgenehmigungen, Sozialversicherung, Steuern, Mehrwertsteuer, Niederlassungsrecht und vieles mehr. Das größte Problem: Es fehle an einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen den Behörden sowie von vernetzten Daten, betonte Boly immer wieder. Letzteres könnte den Beamten die Arbeit erheblich erleichtern.

In den Fängen illegaler Firmengeflechte

Dem schließt sich ebenfalls Christian Reuter vom Handwerkerverband an. Der „Fédération des artisans“ sei die Situation von Arbeitern, die in den Fängen von illegalen Firmengeflechten gefangen seien und in menschenunwürdigen Behausungen leben, meist in der Grenzregion, bekannt. Genauso bekannt ist die Lage von Facharbeitern, die ohne Aufenthaltsrecht oder Arbeitsgenehmigung einer regelmäßigen Schwarzarbeit nachgehen. Reuter beklagt, dass der politische Wille, die Situation dieser Leute zu regulieren, fehle. Das sei bedauerlich, weil es im Handwerk an Fachkräften mangle. Also solle man alles tun, um die Situation der Betroffenen zu regulieren, um die Fachkräfte dem regulären Arbeitsmarkt zuführen zu können, fordert Reuter.

Zurzeit könne das Handwerk diese Fachkräfte nicht nutzen, weil sie irgendwo „geparkt“ seien und diese Leute weiterhin gezwungen seien, einer Schwarzarbeit nachzugehen. Auf der Gegenseite bestünden eine massive Überreglementierung und Kontrolle von niedergelassenen und eingetragenen Unternehmen sowie im Arbeitsrecht.

Stéphanie Gardnini von „Médecins du monde“ ist mit der Sachlage des Phänomens von illegaler Arbeit und organisierter Schwarzarbeit bestens vertraut. Spätestens wenn diese Menschen krank würden oder einen Arbeitsunfall erlitten, würden sie sich an die Hilfsorganisation wenden. Vermehrt sei dies der Fall seit der Covid-Pandemie. Offiziell gibt es diese Leute nicht, entweder weil sie keine Arbeitsgenehmigung haben oder auf nicht reguläre Weise in Luxemburg eingewandert sind. Dennoch würden viele von ihnen seit langen Jahren versteckt in Luxemburg leben und arbeiten. Die Profiteure dieser Schattenwelt seien die „illegalen“ Arbeitgeber sowie die Schlafhändler. Betroffene, die versuchen, irgendwie über Arbeit an Geld zu kommen, haben das Nachsehen. Sie sind Opfer eines Systems, weder krankenversichert noch rentenversichert. Ansprüche auf Sozialleistungen haben sie auch nicht.

Maßnahmen und Lösungsansätze

„Médecins du monde“ begrüße die „Couverture universelle des soins de santé“ sowie das mit dem CHEM initiierte Projekt „L’Escale“ in Esch. In dieser Einrichtung werden kranke Menschen ohne Zugang zur medizinischen Versorgung kurzzeitig untergebracht und betreut. Das sei gut, aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems. Grauzonen in den Gesetzen sowie die fehlende interministerielle Zusammenarbeit würden die Bekämpfung organisierter Schwarzarbeit verhindern. Aufgrund inkohärenter Gesetze würden Betroffene, die ihre Situation zu regulieren versuchen, häufig an administrativen Hürden scheitern. Eines von vielen Beispielen betreffe Zuwanderer aus Drittstaaten. Mit einer gültigen Arbeitsgenehmigung sei eine Einschreibung bei der ADEM ohne festen Wohnsitz nicht möglich. Sie sitzen somit im administrativen Teufelskreis, die Regulierung schlägt fehl, prangert die Sozialarbeiterin an.

In Bezug zu Aufenthaltstitel unterstreicht die Journalistin und Moderatorin Peschel, dass laut ASTI derzeit mehr als 100 verschiedene Aufenthaltstitel in Luxemburg existieren. Jeder einzelne davon erteile den Begünstigten andere und unterschiedliche Rechte, etwa auf Sozialhilfe, Aufenthaltsdauer, Arbeitsgenehmigung und vieles mehr. Durchblicken tue niemand.

Jean-Luc Mateis vom OGBL sieht die Betroffenen nicht als Schuldige, sondern als Opfer. Einwanderer seien nun mal hier, man könne sie nicht „wegdenken“. Also müsse die Politik alles daransetzen, deren Situation zu regulieren und sie regulär dem Arbeitsmarkt zuzuführen. Dabei stellt er die Frage in den Raum, ob überhaupt der politische Wille bestehe, etwas an dieser Situation zu ändern. Als Gewerkschaft lasse man die Betroffenen nicht im Stich, man versuche, ihnen zu helfen. „Diese Leute leben in sehr prekären Verhältnissen, in Armut, in menschenunwürdigen Unterkünften, ausgebeutet und der Willkür ihrer Ausbeuter ausgesetzt“, unterstreicht der Gewerkschaftler.

Diese Leute leben in sehr prekären Verhältnissen, in Armut, in menschenunwürdigen Unterkünften, ausgebeutet und der Willkür ihrer Ausbeuter ausgesetzt

Jean-Luc Mateis, OGBL

Lösungsansätze sehen die Gesprächsteilnehmer auf mehreren Ebenen. Allen voran steht die Forderung nach mehr Personal in den Verwaltungen, strukturierten Gesetzen, der Vernetzung von Daten zwischen den Verwaltungen sowie einer interministeriellen Zusammenarbeit. Außerdem müsse es einen Zusammenschluss von Kompetenzen geben. Hier sollen Arbeitgeber, Verwaltungen, Hilfsorganisationen und Gewerkschaften mit eingebunden werden. Alles müsse darangesetzt werden, die Situationen der Betroffenen zu regulieren, ihnen Aus- und Fortbildungen zu ermöglichen und den Zugang zum regulären Arbeitsmarkt zu geben. Somit könne man auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Die Inhaber der „illegalen Firmen“, wenn sie dann erwischt würden, müssten viel strenger bestraft werden. Eine Geldbuße von 5.000 Euro sei Peanuts und hindere kaum jemanden daran, das illegale Gewerbe weiter zu betreiben.

Stéphanie Gardini von „Médecins du monde“ wünscht sich eine kohärente Gesetzeslage und die Schaffung eines „Ministère des Affaires sociales“, das sich um alle sozialen Belange kümmere und somit den Zugang zu Hilfeleistungen jeglicher Art vereinfache, statt dass diese in die Zuständigkeit vieler Ministerien fallen.
Unisono sind sich alle Anwesenden in einem Punkt einig: Der politische Wille müsse vorhanden sein.

Die Recherche von Journalistin Franziska Peschel zeigt, dass organisierte Schwarzarbeit in Luxemburg keine Grenzen kennt
Die Recherche von Journalistin Franziska Peschel zeigt, dass organisierte Schwarzarbeit in Luxemburg keine Grenzen kennt