Die Stadt ein Ruinenfeld, die Einwohner in alle Winde zerstreut, die Behörden von der Bevölkerung skeptisch beäugt – einen Monat nach der Vertreibung des Islamischen Staat (IS) aus Mossul steht die irakische Regierung vor riesigen Herausforderung. Nicht nur muss sie eine Rückkehr der Dschihadistenmiliz in die nordirakische Großstadt verhindern. Sie muss auch das Vertrauen der Einwohner zurückgewinnen und rasch die weitgehend zerstörte Infrastruktur reparieren. Besonders die Altstadt ist verwüstet.
Das einstige Emblem der Stadt, der schiefe Minarett-Turm al-Hadba, lebt nur noch auf den 10.000-Dinar-Scheinen fort, nachdem ihn die Dschihadisten in den letzten Tagen der Schlacht gesprengt hatten. In den jahrtausendealten Gassen liegen ausgebrannte Autos, und aus den Bombenkratern, Schutthaufen und Hausgerippen steigt der Geruch von Verwesung auf. «Der Preis für die Freiheit ist sehr hoch», seufzt Omar Fadel, einst Angestellter der städtischen Gesundheitsdienste, der vor einem Monat in sein Viertel zurückgekehrt ist.
Akute Bedrohung
«Wir haben unsere Häuser verloren, unser Vermögen und vor allem unsere Angehörigen.» Noch ist die Zahl der Toten nicht ermittelt, doch nach ersten Schätzungen wurden von den 54 Wohnvierteln 15 zerstört und 23 beschädigt. «Die Stabilisierung von Mossul ist durch ihr Ausmaß und ihre Komplexität die größte Herausforderung, mit der die UNO jemals konfrontiert war», sagt die UN-Hilfskoordinatorin für den Irak, Lise Grande. Rund 948.000 Einwohner flohen während der Kämpfe aus der Stadt. Zwar sind viele inzwischen zurückgekehrt, doch 320.000 leben weiter in Lagern, während 384.000 bei Angehörigen oder in Moscheen ausharren.
Einen Monat nach der offiziellen «Befreiung» der Stadt am 10. Juli bleibt die Bedrohung durch die Dschihadisten akut. Die Polizei könne allein kaum die Sicherheit garantieren, sagt Mohammed Ibrahim, der im Provinzrat von Ninive für Sicherheitsfragen zuständig ist. Um «Schläferzellen» und «Terrorgruppen» aufzuspüren, sei extra eine Geheimdienstzentrale auf Provinzebene eingerichtet worden. Bevor der Wiederaufbau beginnen kann, muss das Militär die letzten versteckten Sprengsätze entschärfen. Zudem liegen noch hunderte Leichen unter den Trümmern. Sie müssen geborgen werden.
Alte Rivalitäten
Die UNO schätzt, dass allein die erste Phase der «Stabilisierung» rund 600 Millionen Euro kostet. Die Wiederherstellung der Strom- und Wasserversorgung wird wohl Monate dauern – vom Rest ganz zu schweigen. In der mehrheitlich sunnitischen Stadt Mossul misstrauen viele der schiitisch dominierten Zentralregierung in Bagdad, die ihnen als parteiisch, korrupt und ineffizient gilt. Es bestünden unter den Einwohnern Sorgen, dass «Diebe und Korrupte auf wichtige Posten ernannt werden», sich erneut bewaffnete Gruppen ausbreiten und der Wiederaufbau nicht in Gang kommt, sagt der Politologe Siad al-Sindschari.
Kaum ist die IS-Miliz besiegt, kommen alte Rivalitäten hoch. «Die sunnitische Mehrheit empfindet es als Provokation, dass sich die schiitischen Milizen in der Stadt festsetzen», sagt der politische Aktivist Madsched al-Hussein. Zugleich trachteten die Kurden danach, ihr Gebiet auszudehnen, während unter den sunnitischen Politikern neue Dispute ausbrechen würden. Es sei daher dringend Hilfe von Außen notwendig. Während sich einige sunnitische Stämme auf die Seite der Dschihadisten geschlagen haben, sind andere der Regierung treu geblieben.
Nun, da die Dschihadisten vertrieben sind, müssen ihre Unterstützer den anderen Stämmen hohe «Entschädigungen» zahlen, um ihren Platz in der Stadt nicht zu verlieren. In dieser Situation hat für Lise Grande «die nationale Versöhnung oberste Priorität». Die Einwohner versichern jedoch, dass die konfessionellen Konflikte durch die Politiker verursacht worden seien und die einfachen Menschen gut miteinander auskämen. «Fragt mal die Leute, wer keinen schiitischen oder christlichen Freund hat. Alle haben einen», sagt Omar Fadel. «Äußerlich wird Mossul nie wieder sein wie zuvor, doch der Geist der Stadt, die Solidarität zwischen den Einwohnern, bleibt bestehen.»
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