In den letzten Tagen hat sich die Frage der Impfpflicht in die laufende Verfassungsdebatte eingeschlichen. Bei der öffentlichen Informationsveranstaltung der Abgeordnetenkammer zur Verfassungsänderung wurde in verschiedenen Rednerbeiträgen aus dem Publikum eine auf Anhieb unverständliche Verbindung zwischen den Anti-Covid-19-Maßnahmen und der geplanten Verfassungsrevision hergestellt. Eine anscheinend hinter verschlossenen Türen ausgeheckten Beschneidung der Grundrechte der Bürger soll per Referendum gestoppt werden. Auf welchen konkreten Textpassagen bei der Verfassungsreform diese Befürchtungen genau fußen, war nicht klar auszumachen. Die reichlich mit Emotionen geführten Diskussionen erlaubten keinen wirklichen Durchblick, keine präzisen Fragen und dementsprechend auch keine passenden Antworten.
Es scheint mir angesichts der geäußerten Ängste, Sorgen und Unterstellungen angebracht, zu den Fakten zurückzukehren und in der nötigen Sachlichkeit diese verfassungsrechtliche Frage zu klären. Dies setzt voraus, dass man bereit ist, sich mit der aktuellen Rechtslage auseinanderzusetzen und den jetzt geltenden Verfassungstext mit dem vorgeschlagenen Verfassungstext zu vergleichen.
Wer die aktuelle Verfassung nicht kennt, ist außer Stande, den neuen, vorgeschlagenen Verfassungstext zu beurteilen. Nur im Vergleich werden die Änderungen verständlich.
Die neue Verfassung weitet Grundrechte aus
Eines steht zweifelsohne fest: Die jetzt von Regierung und Parlament getroffenen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen haben rein gar nichts mit der geplanten Verfassungsrevision zu tun, sie wurden selbstverständlich ausschließlich auf der Grundlage unserer bestehenden Verfassung und der bestehenden Gesetze und internationalen Verträge getroffen. Im Zweifelsfall obliegt es den Gerichten, die bei uns unabhängig sind, zu klären, ob die Maßnahmen rechtens sind.
Im neuen Verfassungstext werden die Grundrechte und Freiheiten nicht zusätzlich eingeschränkt. Ganz im Gegenteil, das Kapitel der Grundrechte, Freiheiten und Staatsziele wird gegenüber der geltenden Verfassung ausgebaut, zusätzliche Rechte werden im nationalen Recht verankert. Das geschieht zum Teil aufgrund der Gutachten der Venedig-Kommission des Europarates von 2009 und des Staatsrates von 2012. Andere Ausweitungen, zum Beispiel die Verankerung der Kinderrechte, sind das Ergebnis der Bürgerbeteiligung, die 2015/2016 durchgeführt wurde. Die Textformulierungen entsprechen in der Regel Bestimmungen aus internationalen und europäischen Konventionen, die sich mit Menschenrechten befassen.
Was den Schutz der Privatsphäre anbelangt, heißt es in unserer heutigen Verfassung in Artikel 11(3): „L’Etat garantit la protection de la vie privée, sauf les exceptions fixées par la loi.“ Das Gesetz darf also Einschränkungen zum Prinzip der Achtung des Privatlebens festschreiben. Dieses Grundrecht wird als Staatsaufgabe und nicht als individuelles Menschenrecht definiert.
Ganz anders ist die Optik des neuen Verfassungstextes. Artikel 15 soll wie folgt lauten: „Toute personne a droit au respect de la vie privée.“ Der Schutz des Privatlebens wird zu einem vor Gericht einklagbaren individuellem Grundrecht der Bürger.
Artikel 30 sieht Folgendes vor: „Toute limitation de l’exercice des libertés publiques doit être prévue par la loi et respecter leur contenu essentiel. Dans le respect du principe de proportionnalité, des limitations ne peuvent être apportées que si elles sont nécessaires dans une société démocratique et répondent effectivement à des objectifs d’intérêt général ou au besoin de protection des droits et libertés d’autrui.“
Dieser Text grenzt die Möglichkeiten der Einschränkungen von Freiheiten ein, er definiert den Rahmen, in dem ein Gesetz, also nicht ein Erlass der Regierung, eventuell Freiheiten eingrenzen kann. Diese Formulierung ist nicht das teuflische Werk von diktatorisch angehauchten Politikern, sondern der Stand der aktuellen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes der Menschenrechte von Straßburg und ein Text, der genauso in bestehenden internationalen Texten steht, die teils schon heute in Luxemburg anwendbar sind. Er bietet zusätzliche Garantien für die Bürger im Vergleich zur bestehenden Verfassung. Er übernimmt geltendes internationales Recht in Fragen von Menschenrechten und Freiheiten. Er entspricht Artikel 52.1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Artikel 36 der Schweizer Verfassung.
Diese Neuformulierung ist nicht plötzlich in den Revisionstext aufgenommen worden, wie es verschiedene Kritiker zu glauben scheinen, um die Impfpflicht verfassungsmäßig abzusichern. Er wurde vor mehr als zehn Jahren in die Verfassungsdebatte eingebracht und ist im Entwurf zu einer neuen Verfassung von Juni 2018 (Gesetzesdokument Nummer 6030-27) eingeschrieben worden, in einer Zeit vor Covid-19.
Keine verdächtige Eile
Auch besteht keine plötzliche Eile, die Verfassungsreform im Parlament zu verabschieden. Der erste Revisionsentwurf wurde 2009 eingebracht. Nach zwölf Jahren an Debatten, Konsultationen und Informationen ist meines Erachtens die Zeit für Entscheidungen endgültig gekommen. Diese obliegen, auch laut geltender Verfassung, in erster Hinsicht der Abgeordnetenkammer, der verfassungsgebenden Gewalt im Staat. Nur wenn 25.000 Wähler dies nach dem 1. Votum im Parlament verlangen oder mehr als ein Viertel der Abgeordneten das so wollen, wird definitiv via Referendum entschieden. Jeder möge selbst urteilen, ob ein Volksentscheid über einen juristisch komplexen Text mit vielen Detailpunkten der geeignetste Weg ist, eine Verfassungsrevision in voller Sachkenntnis und in der nötigen Serenität zu entscheiden. Die Zahl der Halbwahrheiten, die Unkenntnisse er Texte und die Wucht der Polemik, die bis jetzt zutage getreten sind, lassen mich daran zweifeln. Solche Entscheidungen dürfen nicht emotional, sondern in aller Sachlichkeit und rechtlich fundiert geführt werden.
Was Impfpass und Impfpflicht anbelangt, so gilt es wie so oft eine Grundrechtsabwägung vorzunehmen. Auf der einen Seite steht die Achtung des Privatlebens, die Handelsfreiheit, das Recht, sich frei zu bewegen, auf der anderen Seite der Schutz des Lebens und die Pflicht des Staates, die öffentliche Gesundheit zu schützen. Bis dato wurde die Rechtsmäßigkeit einer direkten oder indirekten Covid-19-Pflichtimpfung von den Gerichten und insbesondere vom Europäischen Gerichtshof noch nicht abschließend entschieden. In einem demokratischen Staat sind Pflichtimpfungen nicht per se ausgeschlossen, wenn sie einem legitimen Zweck dienen. Noch müssen sie, zumal auch was die Sanktionen anbelangt, dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies ergibt sich aus einem Urteil der Straßburger Richter von 2021 in einem Fall gegen die Tschechische Republik, in der es um allgemeine Pflichtimpfungen bei Kindern ging.
Auf diese Frage der Impfungen kann weder die jetzige noch die zukünftige Verfassung eine immer geltende Antwort geben. Diese ergibt sich durch eine Abwägung der Rechtslage von Fall zu Fall. Deshalb sollte man die Verfassung aus dieser Debatte heraushalten und bei den Fakten bleiben.
Die Politik vergleicht die Impfpflicht, mit der Masernimpfung oder Pockenimpfung…. Unterschied ist nur, dass die Masern und Pockenimpfung nur einmal durchgeführt wurde. Bei covid ist das aber anders. Für mich heißt das, dass ich zwar schon zweimal geimpft wurde, aber per Gesetz verpflichtet werden soll mich zu boostern weil der Impfstoff nach einem halben Jahr abläuft. Wieso können wir uns nicht alle testen und wer negativ ist kommt überall rein und der positive muss in Quarantäne? 1G sozusagen…. Warum werden die Intensivstationen überfüllt, anstatt das Medikament von den Amerikanern zu kaufen? Stattdessen redet die Politik von Impfpflicht, Impfung von Kindern die wie wir wissen, eh nicht so stakt auf Covid-19 reagieren.
Es wird viel Angst verbreitet, Kinder und Jugendliche leiden unter Depressionen, die Gesellschaft wird immer weiter und weiter gespaltet…. Wenn ich das was ich hier schreibe in der Öffentlichkeit sage , werde ich als Reichsbürger, Querdenker oder trotz zweimaliger Impfung, als Impfverweigerer beschimpft…
Ich wünsche mir von der Politik und von den Medien einen friedlicheren und zuversichtlicheren Ton um die Gesellschaft zu einen und nicht zu spalten
Schon komisch wenn die Regierung die Verfassung jetzt schnell ohne Referendum ändern will ...
QUO VADIS ?
D'Verfassung kennt emol keng Parteien an déi däerfe mol kee Bureau lounen, wéi mer elo erëm erënnert goufen.
Si hätten also besser sech net esou opzespillen.
@Charles HILD
"Eng Verfassung ouni Referendum as a bleift eng Frechheet. Wann eng Majoritéit vun de Leit se nët wëll, da soll se och net gestëmmt gin"
An der Schwäiz hunn d'Männer eis Fraen d'Walrecht refuséiert bis 1991.
Mat enger Majoritéit.
Ech hätt Iech do gären héieren, wann Ären Numm Charlène gewiescht wier.
Ob Der dann och esou getéint hätt?
Das Corona-Virus lacht sich ins Fäustchen.Während wir die Köpfe zusammenstecken und jeder einzelnen Maßnahme gegen eine Pandemie (Pandemie,nicht Steuererhöhung o.ä.) diskutieren,sterben draußen Leute. Pocken-,Kinderlähmung- etc. waren damals Pflichtimpfungen.Das Resultat ist bekannt. Ob die Dänen auch eine Verfassungsänderung vor ihre Maßnahmen gesetzt haben? Denke nicht. Also weiter demonstrieren für Freiheit und Demokratie,die beide niemals in Gefahr waren,heuer. Das nennt man dann wohl: Offene Türen einrennen.
@DanV : Die Impfpolitik der Regierung, die Artikel in den Medien , in den digitalen Netzen tragen ihre Früchte und ich befürchte , wie einst bei Tuberkulose-,Lepraerkrankte , zur Hexenjagd aufgerufen wird.Hoffentlich werden die Nichtgeimpften nicht die die Aussätzigen unserer modernen Welt.
@ Victor
Da sieht man mal wieder, wie einach man alles in falsche Schubladen stecken kann.
Zum X-ten Mal: Ich bin GEIMPFT und klarer IMPF-BEFÜHRWORTER.
Scheint, als ob differenziertes Denken nur von Ungeimpften erwartet wird. Tut mir leid, Ihnen die Vorurteile zu vermiesen, Victor, aber es gibt auch Geimpfte, die nachdenken!
@Bertemes: ….. Rechte und Pflichten der Bürger….sie schreiben, wobei die Verfassung um einen Artikel weiter ergänzt werden müsste.Die Rechte und Pflichten der Politiker, diese für politische Fehlentscheidungen , wie auch das Verwalten der Staatsfinanzen/Ausgaben „en bon père de famille“ mit weiser Voraussicht gerieren , haftbar gemacht werden.
@DanV
"Einerseits wird ein Gesetzprojekt vorgestellt, das Freiheiten massiv einschränkt und die Impfung zum „freiwilligen Zwang“ macht,"
Ach Gottchen, die geltende Verfassung hat uns Pensionierte alle eine Zwangsimpfung gegen, Pocken, Polio usw erlaubt, wieso denken Sie, dass das nicht für Sie gelten kann?
Sie würden bestimmt auch mit Ebola in ein Flugzeug steigen, um Ihre 'Freiheit' zu demonstrieren.
Herr Bodry,
Einmal mehr enttäuschen Sie mich. Um Klartext zu reden: Das Grundgesetz, die Verfassung, ist die schriftliche Darstellung der Gesamtheit der Grundsätze , die nicht nur die Form eines Staates, die Rechte und Pflichten seiner Bürger festlegen, sondern damit auch die Basis für jedes Gesetz, das die Legislative auf ebendieses Grundgesetz fußend stimmt, darstellt. Wenn man im Klartext den Artikel 10bis unserer aktuellen Verfassung bemühen und die COVID-Gesetze auf deren Verfassungstreue überprüfen würde, so wäre besonders das aktuelle COVID-Gesetz, mit faktischem Versuch der Impfpflicht durch die Hintertür, mit drohendem Arbeitsplatzverlust für Menschen, die sich aus persönlichen Gründen nicht impfen lassen wollen, durchaus eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung und würde dementsprechend dem Prinzip der Verfassung, Artikel 10bis, widersprechen. Es wäre an den Mitgliedern des Staatsrates und ebenfalls an den Abgeordneten, entsprechend zu handeln. Sie können mich jederzeit belehren, Herr Bodry . Vielen Dank!
Eng Verfassung ouni Referendum as a bleift eng Frechheet. Wann eng Majoritéit vun de Leit se nët wëll, da soll se och net gestëmmt gin. A well et grad esou ee wichtegt Gesetz ass, dofir muss all eenzelne gefrot gin! Ech versti jo den Här Bodry, wan hie wëll an d' Geschicht era goën als Verfasser vun der Verfassung. Awer da soll hien och de Courage hun, se duerch ee Referendum ze legitiméieren. Ech si jo och fir déi nei Verfassung, awer ech si rosen dass ech net soll gefrot gin! Ech wëll och en Deel vum Vollek sin, dat séch eng nei, modern Verfassung gönnt! Déi Arroganz an der Politik ass net méi ze erdroën.
D‘Geschicht gët fun dëm Gewënner geschriwen, an eng Verfassung och, wann ëch mëch nët iieren oder ?
@DanV:Es freut mich zu lesen , es noch Bürger gibt, auch wir nicht immer einer Meinung sind , nicht alles Vorgegebene schlucken und hinterfragen.
Der Zeitpunkt zur Vorstellung der Verfassungsänderung war sehr unglücklich gewählt. Das müsste doch auch den Politikern aufgefallen sein.
Einerseits wird ein Gesetzprojekt vorgestellt, das Freiheiten massiv einschränkt und die Impfung zum "freiwilligen Zwang" macht, andererseits die Verfassungsänderungen. Ist doch offensichtlich, dass beide miteinander in Zusammenhang gebracht werden, zumal die Diskussionen zum Covid-Gesetz-Projekt noch nicht zu Ende waren.
Es herrscht ein Klima des Misstrauens nach der TV-Konferenz Lenert/Bettel vom 8. Oktober. Ich, als Geimpfter, bin noch immer entsetzt. Klar dass viele Menschen sich fragen, welche versteckten Fallen die Regierung sich zur Verfassung ausgedacht hat.