Der amerikanische Regisseur Stanley Kubrick (1928-1999) galt bereits zu Lebzeiten als visionärer Filmemacher. Mit Filmen wie „Spartacus“ (1960), „Lolita“ (1962) und „2001“ (1968) war er Ende der 1960er-Jahre zu einem singulären Filmkünstler von Weltrang aufgestiegen. Seine Akribie in der Vorproduktionsphase, seine detailreichen Recherchearbeiten im Vorfeld der Produktion, dann seine Besessenheit nach Perfektion während der Dreharbeiten waren schnell in aller Munde, man sprach von einem „Genie“, einem „Wunderkind“ des Films, das den populären amerikanischen Film zu noch nie zuvor gesehenem Kunststatus verhalf. Kubrick galt als das Ausnahmetalent, das gleichsam den Großmeistern des europäischen Films der Moderne, Antonioni, Fellini, Bergman oder noch Tarkowski, entsprach. Vor allem mit „2001“ erreichte er 1968 Weltruhm – die Filmwelt wartete gespannt auf sein nächstes Projekt, nun, da ihm alle Türen offenstanden.
Die Verfilmung des Lebens Napoléon Bonapartes sollte es sein, gleich dessen gesamte Vita wollte Kubrick filmisch aufarbeiten, sich nicht auf einschneidende Ereignisse fokussieren. Abel Gance’ vierstündiger Stummfilmklassiker von 1927 war bereits breit angelegt, folgte dem General ausgehend von den Jugendjahren bis zu seiner Karriere im französischen Militär. Dabei schien es Kubrick in seiner Bearbeitung um eine ähnlich chronologisch breite Darstellung zu gehen, die indes mehr noch mit einer ironischen Distanz die Widersprüche Napoléons anschaulich machen sollte – ein großes Porträt der Hybris des Menschen und letztlich seiner Banalität. Dass ebendiese historische Persönlichkeit Kubrick so faszinierte, mag womöglich an dessen Größenwahn gelegen haben. Um diesen mit der Kamera sichtbar werden zu lassen, sollte der Film ähnlich groß und Grenzen sprengend angelegt sein.
Was bleibt
Kubrick hatte sich bereits eingehend in die Lektüre rund um den französischen General vertieft – um die fünfhundert Bücher soll er eingesehen haben. David Hemmings, der mit Michelangelo Antonionis „Blow-up“ (1966) prominent wurde, war für die Rolle vorgesehen. Die Dreharbeiten sollten zwischen 1970 und 1971 in Rumänien, Frankreich und England stattfinden – das rumänische Militär sollte obendrein für aufwändige Schlachtszenen engagiert und entsprechend kostümiert werden. Mitten in der Planungsphase der Dreharbeiten aber wurde das Projekt gestoppt. Das finanzielle Risiko war für das Filmstudio MGM nicht mehr abschätzbar, zudem arbeitete der Filmproduzent Dino De Laurentis an der Bearbeitung seines eigenen Napoléon-Stoffes durch den Regisseur Sergey Bondarchuk, der 1970 unter dem Titel „Waterloo“ erschien.
Die schiere Menge an Archivmaterial rund um dieses Mammutwerk scheint umfangreicher als die von so manchem fertiggestellten Film. Die Herausgeberin des Buches „Stanley Kubrick, Napoleon: the greatest movie never made“, Alison Castle, begann die Recherchen für den Band bereits 2002. Ausgehend von Kubricks Nachlass, der unzählige Korrespondenzen, Drehbuchversionen und Fotos mehrerer potenzieller Drehorte umfasst und die minutiösen Kostümanproben dokumentiert, lässt sich zumindest die Vorproduktionsphase des Films sehr gut rekonstruieren. Die zahlreichen Dokumente lassen eine Ahnung für den späteren Film erwachsen, und freilich: Vieles von diesem Wunschprojekt ist nachher in Kubricks „Barry Lyndon“ (1975) eingeflossen; man erkennt unschwer die Parallelen in der reinen visuellen Ausgestaltung dieses Kostümfilms nach der Vorlage von William Thackerays gleichnamigem Roman.
Nun, rund fünfzig Jahre nach dem gescheiterten Unterfangen, hat Steven Spielberg anlässlich der diesjährigen Filmfestspiele in Berlin bekannt gegeben, Kubricks Filmepos in Form einer siebenteiligen Miniserie doch noch zu bearbeiten – der beste Film aller Zeiten, der nie gemacht wurde, ist nun doch in Aussicht gestellt. Vorerst muss sich indes Ridley Scotts Film um den berühmten Militärgeneral und Kaiser Frankreichs an den Kinokassen beweisen.
(1) Alison Castle (Hg.): Stanley Kubrick, Napoleon: the greatest movie never made. Taschen, 2011.
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