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EditorialDemokratie und Klimaschutz hängen zusammen

Editorial / Demokratie und Klimaschutz hängen zusammen
Wen kümmert schon das Klima? Es ist doch Wahlkampf. Foto: Editpress-Archiv/Alain Rischard

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Wer am vergangenen Wochenende morgens aus dem Fenster geschaut hat, dem ging es vielleicht wie dem Autor dieser Zeilen. Gerade hatte eine junge Frau ein Wahlplakat mit der LSAP-Spitzenkandidatin Paulette Lenert an einen Laternenpfahl gehängt. Zu dieser Zeit hing Luc Friedens Schild 50 Meter weiter schon einen Tag länger (ab), und bis Nachmittag brachte jemand Premierminister Xavier Bettel in Position, als dieser noch beim Schwebsinger Weinfest Hände schüttelte, um „No bei dir“ zu sein. ADR und Piraten durften natürlich nicht fehlen. Am Montag versprach „déi Lénk“ schon „Manner schaffe bei vollem Loun“. Das klingt nach Freibier für alle, wie es einst die Anarchistische Pogopartei forderte. Aber bei „Alles ze gewannen“ kamen dem Betrachter Zweifel: Handelte es sich gar um eine Tombola?

Vom Sicherheitsdiskurs mit mehr Beamten von den Piraten bis zum heimatseligen „Mat gréng rullt et“ oder den ADR-Avancen wie „Lëtzebuerg gär hunn“ zum LSAP-Wahlversprechen „Gerechtegkeet mécht #Ënnnerscheed“: Eine Woche nach dem Ende der Leichtathletik-WM geht der Wahlkampf in die letzte Stadionrunde. Da haften Themen wie Immobilienkrise, Inflation und diverse Steuerversprechen am meisten im Wählergedächtnis. Derweil bleibt ein „Evergreen“ der vergangenen Jahre etwas außen vor, obwohl er von den meisten Parteien mehr oder weniger bis etwas pflichtschuldig genannt wird: der Klimaschutz respektive der Kampf gegen den Klimawandel.

Während in den vergangenen Jahren Extremwetterphänomene in Europa zugenommen haben und der Kontinent wie auch andere Weltregionen unter langen Dürreperioden und Hitzewellen ächzt, dieses Jahr bis Mitte August laut European Forest Fire Information Systems bereits eine Fläche von etwa 260.000 Hektar Wald den Flammen zum Opfer fielen, brennt eine weitere Lunte: die Krise der Demokratie. In den meisten Ländern Europas sind rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch. Ein Beispiel par excellence für den „Fahrplan der faschistischen Transformation“ bietet nach den Worten des renommierten deutschen Kulturkritikers Georg Seeßlen zurzeit Italien, wo die Regierung von Giorgia Meloni fünf „Kriege“ führt: einen Krieg gegen die Kultur, einen gegen die Flüchtlinge bzw. Ausländer, einen gegen ihre linken Kritiker, einen gegen Queere und Frauen, die nicht mit ihrem Frauenbild einverstanden sind, und einen gegen Arme. Ein „Lehrstück für Europa“, wie Seeßlen kürzlich in der Woxx schrieb.

Auf den ersten Blick hat das vielleicht nichts mit der Klimakrise zu tun. Auf den zweiten wird aber schnell klar: Eine Demokratie gibt es nur auf einer Erde, die bewohnbar ist, wie der deutsche Journalist Jonas Schaible in seinem Buch „Demokratie im Feuer“ ausführlich erklärt. Den einen geht der Kampf gegen die Klimakrise nicht schnell genug, wie etwa den Aktivisten der „Letzten Generation“ oder „Les Soulèvements de la Terre“, andere fühlen sich von einer Ökodiktatur bedroht. Doch beides muss zusammengedacht werden. Beide Krisen müssen Topthemen eines Wahlkampfes sein und nicht als Beiwerk behandelt werden. Der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk nennt in seinem Buch „Die Reue des Prometheus“ die moderne Menschheit „ein Kollektiv von Brandstiftern“. Kehrte die griechische Sagengestalt, die den Göttern das Feuer entwand und den Menschen brachte, auf die Erde zurück, so Sloterdijk, würde er seine Gabe womöglich bereuen. Es steht also vieles auf dem Spiel und ist „Alles ze verléieren“.