Nachdem wir in der Ausgabe vom vergangenen Donnerstag die Bilanz der ersten sechs Monate nach dem historischen Wechsel mit dem neuen Escher Schöffenrat gezogen haben, lassen wir in dieser Woche die Opposition zu Wort kommen. Den Anfang macht der unabhängige Rat Dan Codello. Der 42-Jährige ist seit 2002 im Gemeinderat und war von 2014 bis 2017 Mitglied des Schöffenrats, wo er für die Ressorts Personal und Integration zuständig war. Wegen interner Meinungsverschiedenheiten trat er nach den Gemeindewahlen 2017 aus der LSAP aus.
Tageblatt: Nach der Wahlniederlage haben Sie Ende Oktober 2017 ihren Rücktritt aus der LSAP bekannt gegeben. Was waren die Gründe?
Dan Codello: Die Differenzen waren einfach zu groß. Die historische Wahlniederlage wurde meiner Meinung nach nicht so von der LSAP aufgearbeitet, wie es hätte sein sollen. Ich denke, dass ich andere Vorstellungen habe. Und sie auch. Ich bleibe bei meiner Entscheidung.
Die LSAP hat sich in den vergangenen Monaten mehr über mich geäußert als ich über sie. Außer der Bekanntgabe meines Rücktritts habe ich bislang nichts dazu gesagt. Ich bin der Meinung, dass, wenn man mit zwei Fingern auf jemand anders zeigt, dann zeigen auch drei Finger auf einen selbst. Ich habe nach den Wahlen meine Verantwortung übernommen, doch an der Niederlage trage ich sicherlich nicht alleine die Schuld.
Wie fühlt es sich an, als Unabhängiger im Gemeinderat zu sitzen?
Das Gefühl kennt man nicht. Im Scherz habe ich einmal zu Freunden gesagt, dass man sich in der Unabhängigkeit finden muss. Und das stimmt auch. Es eröffnet dir aber einen anderen Blick auf die Politik. Das Wort Fraktionszwang wird ja oft gebraucht, auch wenn es den Begriff legal nicht gibt. In einer Partei fühlst du dich aber eher gebunden, das Meiste mitzutragen. Jetzt hast du eine Interpretation der Dossiers, die dir mehr Freiheit gibt. Du stehst außerhalb von allem. Egal welche Mehrheit etwas präsentiert, es gibt immer einen Hintergedanken. Als Unabhängiger hat man es einfacher, die Dinge entweder konstruktiv zu begleiten oder aber mit etwas nicht einverstanden zu sein. Das gibt dir eine gewisse Freiheit, doch als Politiker überlebst du langfristig nicht als Unabhängiger.
Die Aufbereitung der Themen nimmt als Einzelkämpfer mehr Zeit in Anspruch.
Können Sie auf Hilfe zurückgreifen?
Wenn du nicht mehr in der politischen Verantwortung bist, hast du es eh schon schwieriger. Du hast keine Dienste mehr, die dir zuarbeiten. Du bekommst natürlich die Berichte der Kommissionen, in denen du nicht vertreten bist. Die Lektüre der Dossiers nimmt aber mehr Zeit in Anspruch, als es in den vergangenen Jahren der Fall war.
Der Vorteil ist, dass du die Akten wieder selber liest und weniger auf Texte, Berichte und Gutachten von Beamten zurückgreifst. Das eröffnet dir einen anderen Blick.
Gibt es eine Partei, der Sie sich am nächsten fühlen?
(lacht) Wenn man vom sozialliberalen Gedankengut ausgeht, fühlt man sich manchmal einer liberalen Partei in bestimmten Punkten nahe. In anderen Bereichen aber auch nicht. Beim Thema Gewerbesteuer fühle ich mich der DP bestimmt nicht so verbunden, wie man das annehmen könnte. Im Moment fühle ich mich keiner Partei am nächsten. Man kann auch nicht so einfach eine Partei verlassen und dann nach 20 Jahren ein anderes Hemd anziehen. Das wäre zu einfach.
Wie bewerten Sie die Arbeit der neuen politischen Mehrheit in den ersten sechs
Monaten?
Es wurde viel geschrieben, dass eine neue Mehrheit der Demokratie guttäte. Das stimmt. CSV, DP und „déi gréng“ haben die arithmetische Mehrheit bekommen und sie haben es gemeinsam durchgezogen. Im Tageblatt-Interview von vergangener Woche habe ich aber gemerkt, dass die Dynamik nicht mehr so groß ist wie noch vor sechs Monaten. Natürlich vergeht das auch bei ihnen, weil sie vom Alltag gekennzeichnet sind. Die Euphorie nach dem historischen Wahlsieg ist weitestgehend verflogen. Auch stellt sich bei der Wahlanalyse noch immer die Frage, ob die LSAP nicht mehr verloren hat, als die CSV gewonnen hat.
Darüber hinaus ist die Mehrheit nur zu zwei Dritteln neu. Der grüne Partner ist seit 18 Jahren in Esch an der Macht. Für mich schält sich immer mehr heraus, dass „déi gréng“ das schwache Glied in dieser Koalition sind. Man merkt es besonders an der Vorbereitung und an der Vorstellung der Dossiers.
Vom allgemeinen Bebauungsplan (PAG) hört man überhaupt nichts mehr. Im Bereich Stadtentwicklung ist außer zwei Spaziergängen mit den Einwohnern und einem Fragebogen zur Aufwertung des Stadtzentrums noch nicht viel passiert. Das Projekt für die „Lentille“ sollte im vergangenen Dezember vorgestellt werden. Jetzt redet der zuständige Schöffe von Herbst. Ohne aber ein Jahr zu nennen (lacht).
Über Esch-Schifflingen wird der Gemeinderat auch nicht mehr informiert. Und die vorige Mehrheit hatte entschieden, dass bei diesem Projekt das Partizipative wirklich im Vordergrund stehen soll, um nicht die Fehler von Belval zu wiederholen. Wenn ich dann die Aussage des grünen Schöffen lese, die neue Mehrheit habe die Bürgerbeteiligung in Esch eingeführt, möchte ich nur an die „Assises culturelles“, die „Assises de l’intégration“ und den „Plan communal à l’intégration“ erinnern, die wir zusammen mit den Escher ausgearbeitet haben.
Wie beurteilen Sie als ehemaliger Ressortschöffe die aktuelle Personalpolitik?
Seit dem 1. Januar wurden 31 neue Stellen geschaffen. Darunter sind bestimmt auch welche, die berechtigt sind. Ich vermisse aber eine Verwaltungsreform und eine Analyse, wo unsere Dienste dran sind und was sie noch brauchen. Stattdessen stellen wir jetzt mal ein und kümmern uns danach darum, was eigentlich gebraucht wird.
Auch hätte ich zur Leitung der Baumhäuser keinen kommunalen Dienst geschaffen. Ich weiß nicht, ob die Gemeinde dafür geeignet ist, ein touristisches Projekt zu leiten und ob wir das notwendige Personal dafür finden.
Wo sehen Sie die Höhepunkte seit dem Wechsel?
Ich finde, dass es in der Kultur gut läuft. Das neue Konzept der „Nuit de la culture“ kommt an. Auch in der Integrationspolitik scheint es eine gewisse Kontinuität zu geben, die ich als sehr positiv einschätze. Ich habe mit dem Ressortschöffen Pim Knaff ganz interessante Diskussionen darüber geführt, dass man sich wieder mehr der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den französischen Gemeinden widmen müsse, auch im Hinblick auf das gemeinsame Projekt, das auf dem „Crassier Terre-Rouge“ geplant ist. Nach den politischen Wechseln im Süden muss man sich erst wieder neu kennenlernen.
Welche Erwartungen haben Sie an die neue Mehrheit?
Große Erwartungen habe ich im Bereich der Wirtschaftsförderung. Es wird nicht ausreichen, den Hebesatz der kommunalen Gewerbesteuer zu senken. Wieso nicht auch in diesem Bereich den partizipativen Gedanken mit einfließen lassen und „Assises du commerce“ in Esch organisieren? Man könnte sämtliche Akteure aus dem Bereich Handel an einen Tisch bringen, um eine Bestandsaufnahme der Escher Geschäftswelt zu erstellen und Lösungsvorschläge auszuarbeiten.
Die Organisation von Esch 2022 hat in den vergangenen Monaten eine turbulente Entwicklung durchgemacht. Wie schätzen Sie diesen Prozess ein?
Die Kritiken, die ich als Außenstehender beobachtet habe, gab es auch schon am Ende der vorigen Mandatsperiode. Die Abwesenheit der beiden Koordinatoren in ihrem Büro, ich hoffe, dass sich das mittlerweile geändert hat. Die Kulturhauptstadt ist eine einmalige Chance. Im Ausland erwarten Sie unsere Kanditatur mit viel Vorfreude. Das habe ich am vergangenen Wochenende noch bei einem Besuch in Nancy gemerkt.
Die Kulturhauptstadt darf nicht zum Politikum werden. Die Südregion mit Esch an der Spitze muss diese Gelegenheit unbedingt nutzen.
Welche Projekte liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen?
Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir Esch in 20 bis 25 Jahren sehen wollen. Wir brauchen eine „Mixité sociale“, deshalb müssen wir planen, wie wir dies auf den wenigen Grundstücken, die wir noch haben, erreichen können. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir touristische Infrastrukturen auf die ehemaligen Industriebrachen bekommen. Wenn wir die Kulturhauptstadt und große Sportevents veranstalten wollen, müssen wir die Leute auch unterbringen können.
Natürlich müssen wir uns auch damit beschäftigen, wie wir das Univiertel Belval endlich mit dem Stadtzentrum verbinden können. Könnte eine Seilbahn die Lösung sein? Ich weiß es nicht. Eine Studie der vorigen Mehrheit liegt jedenfalls vor und ich würde mich freuen, wenn sie dem Gemeinderat vorgestellt werden könnte.
do kann en sech nemmen liischt ameseiren iwert dei aussoen...
sech besser verkafen wei en as ...
an de kommissiounen hun ech och en anert bild vun Äerch...