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Filmgeschichte„Das Testament des Dr. Mabuse“, ein Luxemburger und die Nazis

Filmgeschichte / „Das Testament des Dr. Mabuse“, ein Luxemburger und die Nazis
Regisseur Fritz Lang Foto: Nationaal Archief

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Vor 90 Jahren wurde in Österreich der Film „Das Testament des Dr. Mabuse“ uraufgeführt. Warum Hitler und Goebbels einen Kinofilm über einen Psychopathen mit hypnotischen Fähigkeiten fürchteten, ihn in Deutschland verboten, und was ein Mann aus Luxemburg damit zu tun hat.

Der Regisseur Fritz Lang („Die Nibelungen“, „Metropolis“, „M – eine Stadt sucht einen Mörder“) war ein scharfsichtiger Mensch. Bereits 1932, schreibt der Journalist Curt Riess in seiner Geschichte der Ufa, die Mitte der 1950er Jahre als Stern-Serie erschien und unter dem Titel „Das gab‘s nur einmal“ als Buch veröffentlicht wurde, „macht er sich keine Illusionen mehr über die Macht, die Hitler bereits besitzt, obwohl er noch kein öffentliches Amt innehat“. Lang beschloss, einen Film zu drehen, der die Deutschen vor dem aus Österreich eingereisten arbeitslosen Postkartenmaler und seinen Absichten warnen soll. Und er griff eine Idee auf, mit der er elf Jahre zuvor schon einmal einen großen Erfolg verbuchen konnte.

„Dr. Mabuse, der Spieler“ war 1922 der Anti-Held eines Stummfilms, ein Psychopath mit hypnotischen Fähigkeiten und Chef einer internationalen Verbrecherorganisation. Lang wollte den Plot noch einmal aufgreifen, dieses Mal als Tonfilm: In einer fiktiven Stadt häufen sich Sabotageakte, ausgeführt von einer Bande, die von einem geheimnisumwitterten Führer geleitet wird. Alle Spuren führen in eine Nervenheilanstalt, wo der wahnsinnige, seit Jahren totgeglaubte Dr. Mabuse liegt (mit dessen Tod endete seinerzeit auch der Stummfilm). Er besitzt das Talent, Menschen zu hypnotisieren und seinen Willen auf andere zu übertragen. Um einen plausiblen Anschluss an den älteren Film zu haben, dringt der „Geist“ des toten Mabuse in den Kopf des Anstaltsleiters der Psychiatrie ein und macht ihn damit zum Handlanger seiner Pläne, die darauf hinauslaufen, die bestehende Ordnung im Land zu stürzen, Mord und Chaos zu verbreiten. Mit den Terrormethoden will er seine Macht auch geistig untermauern – „und da deckt sich sein Credo auffällig mit jenem des Reichspropaganda-Ministers Joseph Goebbels, der ,Volksaufklärung‘ mit ,Propaganda‘ gleichsetzte und das Volk ebenfalls geistig erobern wollte“, wie in der Anthologie der Filmklassiker aus dem Reclam-Verlag nachzulesen ist.

Die Parallelen zu den Ereignissen im „Dritten Reich“ waren mithin unübersehbar – und genau das zu zeigen war Fritz Langs Absicht. Das Drehbuch schrieb er mit Thea von Harbou und dem Erfinder der Mabuse-Figur, dem Luxemburger Schriftsteller und Weltenbummler Norbert Jacques. Der wurde 1920 zu seiner Figur während einer Dampferfahrt auf dem Bodensee inspiriert – Jacques, der seit 1922 auch deutscher Staatsbürger war, lebte zu dieser Zeit auf einem Bauernhof in der Nähe von Lindau. „Die kantige Quadratur … (und die) übermännlich behaarte Augengegend schien die Fähigkeit zu einem Willen zu bedeuten, dem Gott so Wurst war wie der Teufel“, schreibt der Autor in seiner Autobiografie „Mit Lust gelebt“. „War dieser Fremde … mit seinen Gesichtszügen von Missachtung und Abweisung … ein Held oder ein Verbrecher? … Um diesen fremden Männerkopf entstand auf der dreieinhalbstündigen Fahrt von Lindau nach Konstanz der Roman des ,Dr. Mabuse‘.“ Übrigens ein „sprechender Name“, denn darin steckt der französische Begriff für „täuschen“ oder „missbrauchen“ (abuser). Für die Niederschrift brauchte Jacques gerade einmal 20 Tage. Sein Protagonist sollte prophetisch für das folgende Jahrzehnt werden: „Die Weltgeschichte, die Jahre und die Menschen, die selber gern Mabuse gewesen wären, haben mir recht gegeben … Hitler pries die … Vorsehung, welche ihm erlaubte, das Seinige bis zur Vollendung des Ruins Deutschlands durchzuführen.“

Nicht nur Fritz Lang war ein weitsichtiger Mensch. Auch Propaganda-Minister Joseph Goebbels erkannte messerscharf die riskante Botschaft hinter den düsteren Bildern, als er „Das Testament des Dr. Mabuse“ zum ersten Mal sah. Wenige Tage vor der geplanten Uraufführung am 29. März 1933 verbot er daher den Film, „weil er beweist, dass eine bis zum Äußersten entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie es nur ernstlich will, durchaus dazu imstande ist, jeden Staat aus den Angeln zu heben“. Mit diesen Worten soll er seinen Entschluss im inneren Zirkel der Macht begründet haben.

„Das Testament des Dr. Mabuse“ wurde rund fünf Wochen später, am 12. Mai 1933, in Wien uraufgeführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Fritz Lang Deutschland bereits verlassen, nachdem Goebbels ihm angeboten hatte, Chef der gesamten deutschen Filmindustrie zu werden. Über die Tatsache, dass er Jude sei, wolle man großzügig hinwegsehen. Es war eines jener Angebote, von denen der Regisseur wusste, dass er es nicht ablehnen konnte, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Und da er kein Handlanger der Nazis sein wollte, entschloss er sich zur Flucht.

In Deutschland fand die Uraufführung mit 18-jähriger Verspätung statt – am 24. August 1951. Gut zweieinhalb Jahre später, am 15. Mai 1954, starb der Erfinder der Figur in einem Hotel in Koblenz. Von hier aus wollte Norbert Jacques zu einem Weinfest an der Mosel aufbrechen. Jacques hatte sich zu Kriegszeiten selbst in den Dienst der Goebbels-Propaganda gestellt – aber das ist eine andere Geschichte. Eine, die in Luxemburg nicht vergessen ist (genauso wenig wie die des Escher Schauspielers René Deltgen, 1909-1979, der sich ebenfalls durch seine Nähe zum Regime kompromittiert hatte). Wer mehr über diese Verstrickungen und Jacques’ zwiespältiges Verhältnis zu Luxemburg erfahren will, lese besagte Autobiografie „Mit Lust gelebt“, 2004 in Luxemburg von u.a. Gast Mannes und Germaine Goetzinger brillant neu editiert, kommentiert und in den historischen Kontext gesetzt. Oder er lese „Die Limmburger Flöte“, ein „pantagruelischer“ Roman, der mehr über Jacques’ Hassliebe zu seinem Heimatland aussagt als so manche literaturwissenschaftliche Abhandlung – und der vor Jahren den Schauspieler und Dramaturgen des hauptstädtischen Kasemattentheaters, Marc Limpach, und die Escher Flötistin Daliah Scholl zu einer konzertanten Lesung inspiriert hatte. Zu finden sind beide Bücher mit Sicherheit im Antiquariat, z.B. bei den „Walfer Bicherdeeg“.