Die Wissenschaft hat von jeher ein Problem. Wie können dem Laien komplizierte Forschungsansätze so vermittelt werden, dass er nicht schon beim Titel der Doktor- oder Masterarbeit abschaltet? Der „Science Slam“ ist eine unterhaltsame und erfrischende Alternative in Sachen Wissenschaftskommunikation. Das „natur musée“ hat den ersten gerade hinter sich.
Von Wiebke Trapp (Text) und Tania Feller (Fotos)
«Science Slam» ist eine kurzweilige, interaktive Sache. Orientiert an den mittlerweile im Literaturbetrieb fest etablierten Poetry Slams muss das Publikum hier genauso mitmachen wie bei der berühmten Vorlage. Ein Zuhörer misst deshalb also die Zeit, zehn Minuten haben die Jungforscher für ihre Show. Sitznachbarn im Publikum bilden kleine Jurygruppen, die anschließend mit Punkttafeln ihre Bewertung zwischen eins und zehn per Akklamation abgeben. Nachdem das alles geklärt ist, kann es losgehen.
Nach und nach erklimmen die jungen Forscher die Bühne und präsentieren so komplexe Sachverhalte wie eine Dissertation im Bereich Didaktik zur Bildung für nachhaltige Entwicklung unter dem Titel „Warum machen günstige Bananen hungrig?“ oder eine Masterarbeit im Fach Biologie zur Frage, wie Fledermäuse auf Lichtverschmutzung reagieren.
Nicht von vorneherein ausgewählt, aber für einen erkrankten Slammer-Kollegen spontan eingesprungen und dann auch noch gleich gewonnen: Die erst 22 Jahre alte Thora Schuster hat nicht nur die Ergebnisse der Grundlagenforschung ihres Faches auf die Praxis heruntergebrochen. Sie hat viel mehr auch herzerfrischend vor Publikum klargemacht, warum man Geologen nicht mit Geografen verwechseln sollte. Niemals. Geologen lieben Steine, haben immer einen Meißel dabei und zelten gerne. Geografen fahren auch gerne durch die Gegend, aber nicht zwangsläufig mit Zelt, lieben aber wirklich nur Menschen und Böden. Das ist etwas ganz anderes.
Die Wichtigkeit von Geologen
Zugegebenermaßen haben die Geologen ein Imageproblem, deswegen sind sie nicht weniger wichtig. Hätte man nämlich beim Bau der Vajont-Talsperre in Italien auf Geologen gehört, wäre das Unglück von Longarone 1963 wahrscheinlich nie passiert. Die Talsperre wurde zwischen Hängen aus Ton errichtet, die noch dazu in schrägen Lagen angeordnet waren, was die Stabilität zusätzlich beeinträchtigt hat.
Es kam zu erst zu einem Bergrutsch und dadurch zu einer Flutwelle: 2.000 Menschen starben damals durch die Wucht der Wassermassen, die Stadt Longarone wurde vollkommen vernichtet.
Das zweite Praxisbeispiel für die Bedeutung geologischer Expertise ist die äußere Marmorverkleidung der Zentralbibliothek der Universität Göttingen. Verschiedene Platten wurden irgendwann wellig und mussten vor sieben Jahren komplett ersetzt werden. „Marmor besteht chemisch aus Calcit, das Material dehnt sich bei Erwärmung in Länge und Breite ungleich aus“, sagt Schuster später im Gespräch mit dem Tageblatt, „dann wird das Material je nach Sonneneinstrahlung wellig oder fällt ganz herunter.“
In ihrem Vortrag hörte sich das zwei Millionen Euro teure Desaster überaus lustig an. 59 Punkte vom Publikum, der erste Platz, bravo! Alle fünf Forscher stammen aus Deutschland und sind als „ProfiSlammer“ bewusst fürs erste Mal ausgesucht worden, da das Modell hier in Luxemburg noch Nachahmer sucht. Die Moderation wurde gleich mitgeliefert. Julia Offe (45) ist promovierte Biologin und seit 2011 hauptberuflich in Sachen „Science Slam“, oder wie sie sagt, „Wissenschaftskommunikation“, unterwegs. 400 „Slammer“ hat sie mittlerweile auf der Bühne gehabt.
Lehrreicher Abend
In Hamburg, wo sie lebt, sind die Veranstaltungen mit 500 Besuchern ausverkauft. In Luxemburg kamen rund 20 Leute zusammen, die dafür umso motivierter mitgemacht haben. „Es ist nicht nur wichtig, ein guter Wissenschaftler zu sein“, sagt Offe, „es ist auch wichtig, diese Themen erklären zu können.“ Und zwar nicht nur vor Fachpublikum. Das hat sich auch der Paläontologe des „natur musée“ gedacht, der die Veranstaltung organisiert hat. „Der ’Science Slam‘ ist eine leidenschaftliche und publikumsorientierte Art der Wissensvermittlung“, sagt Ben Thuy, „sie entspricht dem Bildungsauftrag des Museums.“ Wenn das jetzt noch Nachahmer findet, ist es umso besser. Tolle Idee, lehrreicher Abend!
Thora Schubert (22)
Die Bachelorarbeit der Gewinnerin trägt den Titel: „Vergleichende mineralogische und petrografische Charakterisierungen der Triassalinare des norddeutschen Beckens“. Wäre es nach dem Willen der Eltern gegangen, beide auch Naturwissenschaftler, hätte Tochter Thora etwas anderes studieren sollen. „Jetzt bin ich doch da gelandet“, sagt sie und es hört sich nicht nach Bedauern an. Nach dem Vortrag wissen alle, warum die Meinung von Geologen so wichtig ist. Es ist gut, dass es sie gibt.
Lisa Knechtges (28)
Bei Lisa Knechtges geht es um einen „Superman“. Die Studentin der Zoologie in Bonn schreibt an ihrer Masterarbeit zum Thema „schwach elektrische Fische“. Ihr „Gnatho“ gehört dazu, ist 15 Zentimeter groß, hat mit 3,1 Prozent der Körpermasse ein gigantisches Hirn und sendet vom Schwanz Wellen aus, um die fehlende Sicht bei seinen nächtlichen Aktivitäten auszugleichen. Der Fisch wird darauf hin erforscht, inwieweit sein Körperbau Anregungen für Medizintechnik und -forschung liefert.
Hendrik Denkhaus (27)
Wenn das Überleben von Fledermäusen damit zu sichern wäre, dass man sie von „Ozzy“ Osbourne fernhält, hätte er sich seine Masterarbeit sparen können. Stattdessen hat der Biologiestudent ein Kamerasystem entwickelt und wochenlang nachts an der Zugstrecke der geschützten Vögel irgendwo im Baltikum ihr Verhalten beobachtet. Gerade die Rauhautfledermaus reagiert besonders auf grünes Licht, wie es die Bohrinseln in der Nordsee ausstrahlen. Nicht gut, um ihre Existenz zu retten.
Christian Benninghaus (31)
Der Pädagoge in den Fächern Biologie und Geografie schreibt an seiner Doktorarbeit im Fach Geografiedidaktik, die sich mit Bildung für nachhaltige Entwicklung beschäftigt. Sein Vortrag „Alles Banane oder was?“ beginnt mit der Frage: „Warum machen günstige Bananen hungrig?“ Er illustriert anschaulich, wie wenig bei den Produzenten des Obstes hängen bleibt. Das erfahren auch seine Schüler, die darüber systemisches und vernetztes Denken lernen sollen.
Dennis Schulz (28)
Unter dem Titel „Emmy Noether hätte das in drei Tagen gemacht“ berichtet der Doktorand im Fach Physik über Freud und Leid einer Dissertation. Die deutsche Mathematikerin Amalie Emmy Noether hat in ihrem Forscherleben grundlegende Beiträge zur abstrakten Algebra und zur theoretischen Physik geliefert. Aber nicht in drei Tagen. Schulz baut an einem Detektor für Teilchen, den später andere Forscher für ihre Zwecke einsetzen können, und erklärt dabei gleichzeitig Freud und Leid eines Doktoranden.
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