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Alain spannt den BogenDas London Symphony Orchestra mit zwei überragenden Konzerten

Alain spannt den Bogen / Das London Symphony Orchestra mit zwei überragenden Konzerten
Simon Rattle erwies sich wieder als einer der führenden Mahler-Interpreten unserer Zeit Foto: Sébastien Grébille

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Nach einer wohlverdienten Sommerpause starten das Orchestre Philharmonique du Luxembourg und Chefdirigent Gustavo Gimeno mit einem guten, wenn auch nicht überragenden Konzert in ihre neue Spielzeit.

Das Programm war mit Tan Duns Percussion Concerto The Tears of Nature aus dem Jahre 2012 und mit Richard Strauss‘ Ein Heldenleben recht spektakulär. Konzerte für Percussion sind schon von ihrem Charakter her sehr unterhaltsam. Tan Dun, der sich nach seiner minimalistischen Phase nun, ähnlich wie der späte Boulez, der großsymphonischen Form widmet, schuf dann auch ein sehr kurzweiliges Konzert, bei dem er es versteht, westliche und fernöstliche Elemente gekonnt zu kombinieren und zu verschmelzen.

Martin Grubinger, der nach 20 Jahren seine Bühnenkarriere mit der Spielzeit 22/23 überraschend beendet, war der Solist und es ist immer wieder erstaunlich, zu sehen, welche Klänge und welche Abstufungen in Sachen Farben, Rhythmus und Dynamik er jedem Werk abgewinnen kann. Somit wurde Tan Duns Percussion Concerto an diesem Abend zu einer wirklichen Entdeckung, wenngleich das Orchester auch etwas vorsichtig begleitete und es oft an partnerschaftlicher Präsenz vermissen ließ. Ein großes Lob aber an die Schlagzeuggruppe des Orchesters, die hervorragend mit Grubinger interagierte und mit der der Star-Schlagzeuger dann auch die Zugabe spielte.

Mit sehr viel Kopf gespielt

In seinem Einleitungstext spricht Gustavo Gimeno von seiner Bewunderung für Mariss Jansons und dessen Interpretation des Heldenlebens von Richard Strauss mit dem Concertgebouw Orchestra. Und glücklicherweise versuchte Gimeno erst gar nicht, seinen Mentor nachzuahmen, sondern ging das Werk aus einer anderen Perspektive an. Schneller, akzentuierter und analytischer klang seine Interpretation, die so einer oft schwergewichtig und pathetisch in Szene gesetzten Entwicklung entging.

Die OPL-Musiker allerdings erwiesen sich noch nicht ganz auf der Höhe. Natürlich gab es auch tolle Momente, wie z.B. die Soli des Konzertmeisters Haoxing Liang und der herrlich warme Klang der Hörnergruppe. Insgesamt wurde aber mit sehr viel Kopf und leider auch mit sehr wenig Bauch gespielt. Diese emotionale Distanz und die damit verbundene zurückhaltende Interpretation schmälerten dann auch etwas den Genuss dieser abenteuerlichen Partitur.

Das ebenfalls abenteuerliche Jahresprogramm des Orchestre de Chambre de Luxembourg macht mit seinen neuen Ideen, spannenden Projekten und interessanten Solisten wirklich neugierig. Bereits mit ihrem ersten Konzert in dieser Spielzeit setzt die künstlerische Leiterin und Chefdirigentin Corinna Niemeyer Akzente. Am Sonntag spielte das OCL unter dem Motto „Paradiesvögel“ ein ungewöhnlich mutiges, aber sehr unterhaltsames Programm abseits der Konzertroutine. Drei Werke, die man sonst kaum hört und die das Thema Vögel mehr oder weniger intensiv behandeln, hatten ein zahlreiches Publikum angelockt. Bereits Les Eléments von Jean-Féry Rebel (1666-1747) war eine echte Entdeckung, zumal der Prolog Le Chaos ziemlich atonal und somit sehr modern beginnt. Es folgten Ottorino Respighis Gli Uccelli, eines der beliebtesten, aber trotzdem wenig aufgeführtes Werk des italienischen Komponisten (1879-1936), und Cantus Articus, concerto pour oiseaux et orchestra von Eonojuhani Rautavaara (1928-2016) mit eingespieltem Vogelgezwitscher. Corinna Niemeyer dirigierte die Werke recht straff, das OCL spielte gut, hatte jedoch mit der undankbaren Akustik des für ein Kammerorchester viel zu kleinen und somit klanglich ungeeigneten Kammermusiksaales zu kämpfen. Herausheben muss man aber auf jeden Fall die hervorragende Leistung der beiden Flötistinnen und auch die der anderen Orchestersolisten.

Faszinierend

Am Tag der Beisetzung von Queen Elisabeth II. gab das London Symphony Orchestra unter seinem Chefdirigenten Sir Simon Rattle sein erstes von zwei Konzerten in der Philharmonie. Nach dem Erklingen der Nationalhymne des Vereinigten Königreichs erlebte das Publikum ein typisches Simon-Rattle-Programm mit fünf sehr unterschiedlichen Werken, bei denen ein gewitzter Dramaturg sicherlich auch inhaltliche Beziehungen herstellen könnte. Das Konzert begann mit der jovialen Ouvertüre zu Le Corsaire von Hector Berlioz. Und sofort war man vom Weltklassespiel des LSO begeistert, dessen Klangschönheit immer wieder fasziniert, egal, wie oft man das Orchester schon gehört hat.

Daniel Kidanes Sun Poem aus dem Jahre 2022 ist ein Auftragswerk des LSO und man muss den andersartigen, avantgardistischen Stil des Komponisten schon mögen, um das Werk wirklich zu schätzen. So gehört, habe ich das Stück als langweilig und wenig abwechslungsreich empfunden. In dem Sinne hat Sun Poem auch keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Toll dagegen La Valse von Maurice Ravel, die Rattle bis in die Extreme auslotete, Zwischentöne immer wieder hörbar machte, Rhythmen gegen Strich kämmte, akzentuierte, die Ekstase minutiös vorbereitete und das LSO dabei in einen wahren Klangrausch führte.

Mit der 7. Symphonie von Jean Sibelius kehrte Rattle an seine Anfänge mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra zurück und auch heute noch muss Rattle als einer der wichtigsten Sibelius-Interpreten angesehen werden. Er besitzt ein sehr natürliches Verhältnis zu der Musik, spürt intuitiv dem rhapsodischen Charakter nach und weiß wie kaum ein anderer, diese Musik zu formen und zu entwickeln. Bela Bartoks einsätzige Tanzpantomine Der wunderbare Mandarin wurde in der kompakten Suiten-Fassung gespielt. Die Musik wirkt kondensiert und das LSO geizt nicht mit brutalsten Klängen, um diese ungewöhnliche Partitur ins beste Licht zu Rücken. Rattle dirigiert präzis und betont die modernen, analytischen Aspekte der Musik, ohne aber je den tänzerisch-rhythmischen Charakter des Mandarin aus den Augen zu verlieren. Nach diesem regelrechten Klangorgasmus kehrte mit Pavane von Gabriel Fauré als Zugabe wieder Frieden ein, ein Frieden, wie Sir Simon Rattle meinte, den man eigentlich überall wieder dringend bräuchte.

Ein Mahler der Extreme

Am zweiten Abend dann Mahlers gewaltige 2. Symphonie „Auferstehung“ mit dem London Symphony Chorus und den Solistinnen Siobhan Stagg, Sopran und Dame Sarah Connolly, Mezzo. Es war eine sehr intensive und klangopulente Interpretation, die uns Simon Rattle hier bescherte. Da gab es sehr wuchtige und aggressive Momente, Augenblicke, wo das Orchester schier zu explodierten drohte, und da gab es insbesondere in den Mittelsätzen unwahrscheinlich feingesponnene Melodienfäden, zarte Interaktionen der Instrumente und sauber und wunderschön gespielte Soli.

Es war ein Mahler der Extreme, und trotz seiner enormen Klangentfaltung niemals plakativ. Rattle erwies sich als einer der führenden Mahler-Interpreten unserer Zeit. Und mit dem LSO hatte er wohl einen der besten Klangkörper der Welt, um seine Visionen hörbar zu machen. Etwas peinlich nur der Moment, wo die beiden Solistinnen den Moment verpasst hatten, auf die Bühne/beziehungsweise Orgelempore zu kommen und wo die Aufführung einige Minuten unterbrochen war. Rattle nahm es scheinbar mit Humor und wandte sich ans Publikum: „The british queue is everywhere.“ Nach der Aufführung gab es dann minutenlange Standing Ovations für alle Beteiligten.