Rennen um Impfstoff„Das hier ist nicht die Apokalypse“: Richard Hatchett arbeitet mit der CEPI-Allianz auf Hochtouren

Rennen um Impfstoff / „Das hier ist nicht die Apokalypse“: Richard Hatchett arbeitet mit der CEPI-Allianz auf Hochtouren
Touristen mit Mundschutz in Vietnam: Richard Hatchett will Fehler der Vergangenheit vermeiden und einen neuen Impfstoff allen zugänglich machen – Reichen und Armen Foto: AFP/Nhac Ngyen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von Oslo aus koordiniert Richard Hatchett, Chef der mächtigen Impfstoffallianz CEPI, die weltweite Covid-19-Impfstoff-Entwicklung. Sechs der CEPI-Impfstoffe gelten derzeit als vielversprechend, darunter auch der einer deutschen Firma, an der die USA Interesse haben. In frühstens zwölf Monaten sollen „Hunderte Millionen Dosen“ weltweit Bedürftige erreichen, so Hatchett in einem seiner seltenen Interviews.

Richard Hatchett schläft dieser Tage nicht besonders gut, das räumt er selbst ein. Er ahnt vielleicht, dass er der wichtigste Mann der Stunde sein könnte. Weltweit. „Bereits in zwölf bis 18 Monaten wird es einen wirksamen und sicheren Covid-19-Impfstoff geben, der breit genutzt werden kann. Wir arbeiten so schnell wir können. Derzeit haben wir sechs Impfstoffe in der Entwicklung. Ein paar weitere kommen noch hinzu. Einige werden schon in den kommenden Wochen klinisch getestet“, sagt Hatchett nun erstmals in einem seiner sehr seltenen Interviews in einer norwegisch-schwedischen Talkshow. Er wirkt dabei zurückhaltend. Ein nüchterner Wissenschaftler, der nicht gern im Rampenlicht steht. In Norwegens Hauptstadt Oslo leitet der US-Arzt, Epidemiologe und Ex-Berater der US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama die einflussreiche Epidemiebekämpfungsallianz CEPI (Koalition für die epidemische Innovations-Bereitschaft).

„Hunderte von Millionen“ Impfstoffdosen würden so bald wie möglich weltweit an die bedürftigsten Risikogruppen, also die Alten und Kranken, verteilt, sagt er im TV. Hatchett ist es besonders wichtig, dass Bedürftige in sowohl reichen als auch armen Ländern den Impfstoff gleichzeitig bekommen und nicht nur die reichsten, so wie es bei der Schweinegrippe der Fall war. Damals arbeitete Hatchett für Obama im Weißen Haus. Wenige reiche Länder hatten sich den Impfstoff zulasten anderer Nationen gesichert, betont er. Übrigens ist auch der in Tübingen ansässige deutsche Impfstoffentwickler CureVac, an dem die USA laut der Welt am Sonntag nun Interesse haben sollen, in Hatchetts Förderprogramm. Noch zumindest.

Forscher wollen Geld – um allen Geld zu sparen 

Seit China im Januar die Covid-19 Gensequenz veröffentlichte, arbeitet Hatchett buchstäblich gegen die Zeit, um Menschenleben zu retten. Über 48 Bewerbungen von Impfstoffentwicklern weltweit musste er da entscheiden. Wer bekommt wie viel Geld? Wie wird die Arbeit effektiv koordiniert? „Ich fühle eine enorme Verantwortung auf mir ruhen. Wir wurden darum gebeten, uns eines monumentalen Projekts anzunehmen. Einen Impfstoff in diesem kurzen Zeitrahmen zu entwickeln, ihn in ausreichender Menge zu produzieren und dafür zu sorgen, dass er zu den Menschen in der ganzen Welt gelangt, die ihn am meisten brauchen – so was wurde noch nie zuvor gemacht“, sagt der Familienvater, der selbst noch immer jeden Morgen mit dem Zug ins CEPI-Hauptquartier in Oslo fährt.

Angst. Das hier ist nicht die Apokalypse. Das ist ein Virus mit dem Potenzial, viele gleichzeitig krank zu machen. Diese Belastung für die Gesellschaft wollen wir verhindern.

Richard Hatchett, Leiter der Impfstoffallianz CEPI

Normalerweise dauert die Impfstoffherstellung mehrere Jahre. Aber wie kann Hatchett das alles so schnell machen? „Wir machen einfach alles gleichzeitig“, so Hatchett. Zum einen gehe es um die Entwicklung, aber auch um eine schnell anlaufende Massenproduktion und Distribution weltweit wie auch um eine zeitsparende Koordinierung mit den national aufgeteilten Zulassungsbehörden, beschreibt er.

Auch wenn der Wettlauf um einen Impfstoff derzeit in staatlichen und privaten Laboratorien in der ganzen Welt ausgetragen wird, stehen hinter Hatchetts CEPI in Oslo besonders viel Geld und Einfluss, um einzelne Anstrengungen effektiv und weltweit zu finanzieren und zu bündeln. Hatchetts Impfstoff-Koalition CEPI wurde 2017 in Davos gegründet, unter anderem mit Mitteln aus einzelnen Nationen, davon vor allem aus Norwegen. Aber auch Deutschland, Japan und weitere Ländern waren früh mit im Spenderboot. Luxemburg unterstützt CEPI über die Impfstoff-Allianz GAVI, wohin seit 2005 rund 13 Millionen Euro aus dem Großherzogtum überwiesen wurden. Hinzu kommen die Melinda-und-Bill-Gates-Stiftung (Microsoft) und die britische Wellcome-Forschungsstiftung. Auch die Pharmaindustrie ist beteiligt. Derzeit verfügt Hatchett über 750 Millionen US-Dollar. Im Interview bittet er die Weltgemeinschaft nun aber um mehr.

„Es geht um zwei Milliarden Dollar. Diese Ressourcen haben wir trotz unserer generösen Spendern derzeit nicht“, sagt er. „Eine so große Summe in so kurzer Zeit zu fordern, wirkt vielleicht bemerkenswert. Aber wenn man sieht, wie sich der Virus weltweit ausbreitet – Börsenchaos, kolossale wirtschaftliche Schäden verursacht und ganze Volkswirtschaften niederstreckt –, sind zwei Milliarden Dollar ein guter Deal“, sagt er.

Absage an Trump: „Arbeiten für ganze Welt“

Bei der Frage, ob Hatchett selbst schon Hamsterkäufe für seine Familie getätigt hat, muss er das erste Mal herzlich lachen. „Wir wissen ja, dass Menschen, die die sich laut Tests angesteckt haben, zwei Wochen zu Hause bleiben sollen. Meine Familie und ich haben genug daheim, damit wir uns in einem solchen Fall versorgen können. Aber wir haben keine Angst. Das hier ist nicht die Apokalypse. Das ist es nicht. Das ist ein Virus mit dem Potenzial, viele gleichzeitig krank zu machen. Diese Belastung für die Gesellschaft wollen wir verhindern.“

Auf die Frage, ob Europa zu hysterisch reagiert, antwortet er diplomatisch. „Die Behörden müssen ehrlich aufklären. Über den Virus wissen wir beispielsweise, dass er auf Kinder anscheinend wirklich kaum Auswirkungen hat. Wenn sie sich anstecken, werden sie mit Sicherheit zum größten Teil nicht besonders krank. Das ist eine wichtige Information, die Eltern gerne haben möchten in einer so stressigen Zeit.“ Solange es keinen Impfstoff gebe, würden die Nationen der Welt eben auf das einzige Mittel zurückgreifen, das sie zur Eindämmung haben: die Quarantäne, so Hatchett.

Ob er US-Präsident Donald Trumps Ruf zurück ins Weiße Haus folgen würde? „Ich hab leider zu viel zu tun!“, sagt er. „Wir sind damit beschäftigt, einen Impfstoff für die ganze Welt zu entwickeln.“

CEPI schließt eine Lücke in der Marktwirtschaft

CEPI wurde 2017 gegründet. Die Gründung war eine direkte Reaktion auf die Ebola-Epidemie in Westafrika mit 11.000 Todesopfern. CEPI soll eine von der Marktwirtschaft nicht abgedeckte Lücke schließen. Mitbegründer Bill Gates beschrieb diese so: „Der Markt wird diese Probleme nicht lösen, weil Epidemien nicht sehr häufig vorkommen. Und wenn sie es tun, dürfen sie für die Entwicklung nicht hohe Premium-Preise in Rechnung stellen.“ Gates hoffte darauf, mit CEPI in Zukunft die Entwicklungszeit für dringend benötigte Impfstoffe von zehn Jahren auf weniger als zwölf Monate zu senken.
Auch die in CEPI involvierte Pharmaindustrie ist sich ihrer Unzulänglichkeit in Notsituationen mit Epidemien bewusst. Der Chef des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline, Andrew Wittiy, sagte dazu, es sei „sehr verstörend, wenn die roten Telefone in unserer Impfstoffabteilung wegen Gesundheitsnotfällen klingeln. Die Leute realisieren nicht, dass es heutzutage keine freien Kapazitäten für so etwas im weltweiten System der Impfstoffproduktion gibt“.