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Ukraine-Krieg„Das große Ziel für sie ist es, in Freiheit zu leben“ – Yves Cruchten über seine Eindrücke aus Kiew

Ukraine-Krieg / „Das große Ziel für sie ist es, in Freiheit zu leben“ – Yves Cruchten über seine Eindrücke aus Kiew
Die internationale Parlamentarierdelegation mit dem Luxemburger Yves Cruchten (l.) sollte auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen; der musste aber kurzfristig absagen und es kam der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow (4.v.l.) Foto: privat

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Am vergangenen Freitag war der Vorsitzende der Außenpolitischen Kommission der Chamber, Yves Cruchten, mit einer kleinen Delegation europäischer Amtskollegen zu politischen Gesprächen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Beeindruckt von der Entschlossenheit der Menschen kehrte der LSAP-Politiker aus dem Land zurück, das nunmehr seit über sieben Monaten gegen die russischen Invasionstruppen kämpft.

Gezögert hatte er schon, ob er die Reise nach Kiew antreten sollte. Als Politiker in ein Kriegsgebiet reisen, der Gedanke gefiel ihm anfangs nicht besonders. Doch da war aber die Einladung der außenpolitischen Kommission der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments. „Ich war eingeladen und wollte dann auch meine Solidarität zeigen“, sagt Yves Cruchten in einem Gespräch mit dem Tageblatt. Eine Entscheidung, die er nicht bedauert: „Es war gut, dass ich hin war.“ Auch wenn die Reise beschwerlich war: drei Tage für die Hin- und Rückreise, davon jeweils 16 Stunden im Zug, erzählt der LSAP-Fraktionschef. In Kiew war er freitags von früh morgens bis spät abends. Und dann wieder weg.

Gesprochen hätten die Parlamentarier aus neun EU-Ländern unter anderem mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk und dem Verteidigungsminister Oleksij Resnikow. Aber auch mit gewöhnlichen Ukrainern, wenn sich die Gelegenheit ergab. Er sei „erstaunt über die Entschlossenheit“, mit der die Ukrainer ihr Land verteidigen, sowie über deren Überzeugung, dass sie diesen Krieg gewinnen werden, so Yves Cruchten. „Die Menschen aus der Zivilbevölkerung, mit denen ich geredet habe, stehen hinter ihrer Regierung“, erzählt er weiter. Die seien bereit, große Opfer für ihr Land auf sich nehmen. „Das große Ziel für sie ist es, in Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben“ und nicht in einer wie auch immer gearteten Abhängigkeit von Russland, fasst der LSAP-Politiker zusammen. Eine „Riesen-Hoffnung“, das zu erreichen, habe die Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus für das Land bei den Menschen in der Ukraine ausgelöst, was die Leute zusätzlich motiviere.

Bevor es aber so weit ist, sind die Ukrainerinnen und Ukrainer auf Unterstützung von außen angewiesen. „Eine ihrer großen Sorgen ist die humanitäre Hilfe“, habe der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko ihnen erklärt. Neben alltäglichen Dingen seien das auch Feuerwehrautos, Krankenwagen und Busse. Noch vergangene Woche hätten die Russen ein Depot mit 200 Bussen durch einen Angriff zerstört. Dabei weist Yves Cruchten darauf hin, dass Luxemburg, alle Hilfen zusammengefasst, gemessen nach Bruttoinlandsprodukt das viertgrößte Geberland für die Ukraine sei.

Die internationale Parlamentarierdelegation sprach unter anderem mit dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko (l.), hier bei der Begrüßung des LSAP-Politikers Yves Cruchten
Die internationale Parlamentarierdelegation sprach unter anderem mit dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko (l.), hier bei der Begrüßung des LSAP-Politikers Yves Cruchten Foto: privat

Vor allem aber ist militärische Hilfe gefragt. Etwa im Bereich der Luftabwehr. Kiew sei zwar gut geschützt, Angriffe aus der Luft habe es auf die Hauptstadt seit Anfang Juni keine mehr gegeben, erzählt Yves Cruchten. Das gelte jedoch nicht für viele andere Städte im Land. Das Thema Panzerlieferungen hätte hingegen keine Rolle gespielt. Vielmehr benötige die ukrainische Armee Munition. Und ausreichend Möglichkeiten, die bereits gelieferten Militärfahrzeuge zu reparieren. Die Wartung des intensiv genutzten Materials würde die Ukrainer vor Probleme stellen, sei den Besuchern erklärt worden.

Kein Platz für Putin am Tisch

Gegenüber den politischen Forderungen ihrer Gesprächspartner hat Yves Cruchten jedoch Bedenken. Nicht eingegangen sei er auf den Vorschlag, Russland auf eine Liste von Terrorstaaten zu setzen. Daneben sei ein kompletter Importstopp für russische Energielieferungen sowie ein Verbot für russische Schiffe, in europäische Häfen einzulaufen, gefordert worden. Dem Wunsch aus Kiew, keine Russen aufzunehmen, die vor der Mobilmachung fliehen, will der LSAP-Politiker nicht nachkommen. Das müssten seiner Ansicht nach individuelle Entscheidungen bleiben. Da müsse jeder Fall einzeln geprüft werden, dieses individuelle Recht habe jeder.

„Relativ verblüfft“ sei er über den geschäftsmäßigen Umgang ihrer ukrainischen Gesprächspartner mit der Frage nach der nuklearen Bedrohung durch Russland im Zuge der Annexionen gewesen. „Die rechnen fest damit, dass das geschieht“, so Yves Cruchten, „die bereiten sich schon darauf vor.“ Offenbar besteht die Erwartung, dass zumindest eine taktische Atombombe über dem Schwarzen Meer oder einer unbevölkerten Region gezündet werde.

Doch auch ohne diese Bedrohung sei die Kiewer Regierung allzeit bereit, Verhandlungen mit Moskau aufzunehmen. Bereits morgen, so sei ihnen in Kiew erklärt worden, könnten die Ukrainer im Beisein von Vertretern der Vereinten Nationen am Verhandlungstisch sitzen, berichtet Yves Cruchten weiter. Allerdings sei für den russischen Präsidenten Wladimir Putin an diesem Tisch kein Platz. Das hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj diese Woche per Dekret für die ukrainische Seite so festgelegt.

Filet de Boeuf
6. Oktober 2022 - 14.21

Ich finde es surreal wie einem ständig weis gemacht wird, das Leben sei grau und im Krieg muss man sich für schwarz oder weiss entscheiden.