Eine staubige löchrige Piste führt hinauf in ihr Reich. Sanabad, «Stadt der Frauen», heißt die Siedlung auf einem felsigen Hügel südöstlich von Kabul. Hier haben sich Witwen ein neues Zuhause für sich und ihre Kinder geschaffen. Doch Sanabad bedeutet für die Frauen mehr als ein Dach über dem Kopf: hier sind sie unabhängig von einer Gesellschaft, die Witwen verstößt und als unmoralisch verurteilt. «Wir haben uns unsere Kopftücher umgebunden, uns Hosen angezogen und das Haus aus Lehm gebaut. Doch immer, wenn wir ein Stück vorangekommen waren, tauchten Polizisten auf und zerstörten alles oder fragten uns nach Schmiergeld», erinnert sich Anissa Asimi.
Sie ist die Tochter von Bibi al Sukia, genannt Bibikoh, die bis zu ihrem Tod im vergangenen Jahr die Matriarchin von Sanabad war. Es muss in den 1990er Jahren gewesen sein, als die ersten Witwen auf den Hügel zogen, genau weiß das hier keine mehr. «Meine Mutter kam vor 15 Jahren mit fünf Kindern hier an», sagt die 38-Jährige. Eine Rakete hatte Bibikohs ersten Ehemann getötet. Der zweite Mann, ein Schwager, starb an einer Krankheit. Auf dem Hügel außerhalb der Stadt war das Land billig und die soziale Kontrolle weniger stark.
Ein sicherer Ort
Die Frauen ermutigten andere Witwen, zu ihnen zu ziehen. «Die Idee war, einen sicheren und günstigen Ort zu haben», sagt Asimi. Bald wurde Sanabad zum Zufluchtsort für mittellose und verzweifelte Frauen, die ihren Mann verloren hatten. Bibikoh organisierte Alphabetisierungskurse, Schneiderworkshops und Nahrungsmittelspenden. Frauen gelten in Afghanistan als Besitz von Männern: zuerst des Vaters, dann des Ehemanns. Stirbt der, werden sie zur Last.
Witwen würden häufig Opfer von Gewalt und Vertreibung, heißt es in einer Studie der UN-Mission für Afghanistan von 2014. Schätzungen zufolge sind 2,5 Millionen Frauen in Afghanistan verwitwet. Wurde der Mann im Kampf getötet, bekommen sie umgerechnet 128 Euro im Jahr vom Staat. Ansonsten versuchen sie sich als Haushaltshilfen durchzuschlagen oder schicken ihre Kinder zum Betteln. «In Afghanistan sorgen normalerweise die Männer für die Frauen. Wenn sie diese Unterstützung verlieren, ist es sehr hart für sie», sagt die Sprecherin des Frauenministeriums, Kobra Resai.
Noch lange kein Frieden
Ein 2008 beschlossenes Gesetz zur Absicherung armer Frauen wurde nicht ratifiziert. Nur einige Nicht-Regierungsorganisationen kümmerten sich um Witwen, sagt die Sprecherin. Dabei wächst die Zahl der Witwen in Afghanistan Tag für Tag. Sechzehn Jahre nach dem Sturz der Taliban herrscht noch lange kein Frieden. 11.500 Zivilisten wurden 2016 getötet, im vergangenen Winter starben mindestens 800 Soldaten und Polizisten. Ein kleiner Militärposten schützt den Zugang zur Kolonie der Frauen.
Das sei gut, sagt Asimi. Schließlich seien die Taliban nicht weit. Etwa 500 Frauen leben hier. Asimi bemüht sich, den Überblick über die Zahl der Bewohnerinnen zu behalten, doch die Gewalt im Land treibt immer mehr Witwen nach Sanabad. Asimi selbst ist übrigens keine Witwe. Sie ist verheiratet, arbeitet als Polizistin und hat wie ihre Mutter das Sagen in der Stadt der Frauen.
Eine mutige Initiative in einem islamischen Land.
Ich drücke den Frauen die Daumen, dass sie auch längerfristig Erfolg haben