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Das „Café Lorrain“ in Mondorf schließt nach über 100 Jahren endgültig seine Türen

Das „Café Lorrain“ in Mondorf schließt nach über 100 Jahren endgültig seine Türen

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Das „Café Lorrain – Chez André“ in der Frantz-Clément-Straße in Mondorf kann auf gut 100 Jahre Kneipengeschichte zurückblicken, wenn nicht sogar mehr. Ende Juli schließt das alteingesessene Lokal endgültig seine Türen – um dann einem Wohnkomplex zu weichen.

André Michel kommt hinter dem Tresen hervor und reicht seinen Kunden, einem nach dem anderen, die Hand. Dann schiebt er den Teppich zur Seite, um eine Bodenklappe zu öffnen, der Zugang zu den Bierfässern. Er muss ein neues anschließen. „Mir hat er das nie beigebracht“, lacht Kellnerin Corinne, „er weiß, dass ich Angst vor Spinnen und Mäusen habe.“

Seit 24 Jahren betreibt André das traditionsreiche Café nahe der französischen Grenze. 24 Jahre, in denen er, wie er sagt, alles gesehen hat, was ein Wirt nur sehen kann: zwei Überfälle, zwei Überschwemmungen und viele, viele skurrile, anstrengende, aber in erster Linie unglaublich nette Kunden. „Die schönsten Erinnerungen an meine Zeit hier, sind die Momente, in denen wir gelacht haben, und das waren viele“, erinnert sich André mit einem Lächeln auf den Lippen.

Ende des Monats läuft sein zweiter Pachtvertrag, nach einer Dauer von zwölf Jahren, aus. Passend dazu erreicht der jetzt noch 59-Jährige in diesem Jahr das Rentenalter. Weitergeführt wird das Café, mit festem Platz in der Mondorfer Dorfkultur, nicht.
Der Besitzer, Roby Schmit, hat sich dazu entschlossen, das Gebäude, das er von seinen Eltern geerbt hat, zu verkaufen. Gekauft hat – wie sollte es anders sein – eine große Baufirma. Sie plant, einen Teil der Häuserreihe dem Erdboden gleichzumachen. Hier soll künftig ein weiterer Wohnkomplex entstehen.

André ist, zumindest noch nicht, traurig darüber, dass für ihn Ende Juli ein Lebensabschnitt zu Ende geht. „Ich freue mich darauf, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Für gewöhnliche Dinge Zeit zu haben, zum Beispiel um ein Buch zu lesen.“ In seiner ganzen Zeit hier im Café habe er mehr Zeit mit den Gästen als mit seiner Frau und seiner Tochter verbracht. Das Leben als Wirt sei ein hartes, sagt André. 15 Stunden am Tag arbeitet er: Um acht öffnet er das Lokal, um den ersten Gästen Kaffee zu servieren. Offen bleibt das „Café Lorrain“ bis 1.00 Uhr nachts.

Nie betrunken hinterm Tresen

„Ich habe immer versucht, diese Uhrzeit einzuhalten. Auch wenn die Gäste nur allzu oft überziehen wollten.“ Denn wenn André die Tür schließt, liegt noch eine Stunde Arbeit vor ihm. Zwei Kassen müssen gezählt, die letzten Gläser gespült und alle Türen abgeschlossen werden. Viel Zeit zum Schlafen bleibt dann nicht mehr. Für ihn war es deshalb auch immer wichtig, nüchtern zu bleiben. Vor allem wegen des Geldes, das noch gezählt werden muss. In 24 Jahren habe ihn nicht ein einziger Gast betrunken hinter dem Tresen gesehen, schwört André. Und überhaupt möge er gar kein Bier.

Eines hat er den Kellnerinnen, die er eingestellt hat, immer beigebracht: Ein Kunde, der sich an den Tresen setzt, sucht das Gespräch. „Ein Wirt ist wie ein Arzt. Was ihm erzählt wird, sagt er nicht weiter. Es gilt das ungeschriebene Gesetz der Schweigepflicht.“ Er wisse wirklich viel über die Menschen im Dorf. Die Geheimnisse wird er allerdings auch in seiner Rente für sich behalten.

Wirt war der Franzose aus der Lorraine nicht immer. Er ist eigentlich gelernter Mechaniker und hat früher in einer Fabrik in seinem Heimatland gearbeitet. Schon zu der Zeit half er seinem Schwager manchmal im Restaurant, der „Brasserie Cathédrale“ in Luxemburg-Stadt, aus. „Dabei habe ich Lust bekommen, hinter einem Tresen zu arbeiten“, erinnert sich André zurück.

1993 wurde der gelernte Mechaniker aus betriebswirtschaftlichen Gründen vor die Tür gesetzt. „Ich war von einem Moment auf den anderen arbeitslos – hatte aber eine Familie und eine kleine Tochter zu versorgen“, erzählt er. Jeannot, der damals das „Café Lorrain“ führte, war gut befreundet mit Andrés Schwiegervater. So kam es, dass beide über die Zukunft des Cafés sprachen. Der Schwiegervater erzählte Jeannot, er kenne jemanden, der sein Café übernehmen würde. Ein Jahr später lud Jeannot André zu sich nach Hause ein, bot ihm an, das Lokal zu übernehmen und erwartete einen Tag später eine Antwort. „Ich habe nicht gezögert, Ja zu sagen. Meine Frau Brigitte kündigte damals auch ihren Job bei ‹Geric›, der heutige Supermarkt ‹Carrefour› in Thionville, um mir im Café zu helfen.“ Ohne seine Frau hätte er das alles nicht so lange geschafft.

60 Jahre lang Stammkunde

Dass André nur Französisch und inzwischen ein paar Worte Luxemburgisch spricht, war für seine Kunden nie ein Problem. „Die Luxemburger sind schon sehr eigen. Anfangs hat es etwas gedauert, bis sie zu mir ins Lokal gekommen sind. Aber als sie mich und meine Art zu arbeiten erst ins Herz geschlossen hatten, sind sie nie wieder gegangen“, lacht er und erinnert sich an Jean-Marie, den bestimmt ältesten Kunden des Cafés. Vor ganz genau 60 Jahren, als Jean-Marie noch ein 16-jähriger Junge war, betrat er das „Café Lorrain“ zum ersten Mal. Er wollte sich die Fußball-WM ansehen, die damals zum sechsten Mal stattfand. „Seitdem kam er immer wieder zurück und schaut heute die 21. Fußballweltmeisterschaft hier bei mir.“

Am Abend treffen wir Jean-Marie an seinem Platz am Tresen. Heute läuft kein Fußball, deshalb liest er Zeitung. Er findet es schade, dass sein Stammlokal schließt: „Hier waren alle meine Freunde. Es war immer ruhig und gemütlich“, schwärmt der heute 76-jährige. Auch Vivianne, der ein Café im benachbarten Ort Altwies gehört hat, ist traurig und auch etwas sauer: „Das war das beste Café in der ganzen Gegend“, ist sie sich sicher. Wo sie in Zukunft hingeht, weiß sie nicht. Es gäbe nichts mehr in der Umgebung, das ihr zusage.
Jean-Marie und Vivianne sind nicht die Einzigen, die bald einen neuen Treffpunkt finden müssen. Auch zahlreiche Vereine, die hier ihre Generalversammlungen abgehalten oder einfach nur gemeinsame Zeit verbracht haben, stehen vorerst auf der Straße.

„In dem neuen Wohnkomplex soll wohl auch eine Brasserie eingeplant werden“, erzählt André. „Das wird aber ganz sicher nicht das Gleiche sein.“ Ob das für die Gäste, die der Wirt zurücklässt, eine Alternative sein wird, bleibt abzuwarten. Schließlich schätzen sie die rustikale, traditionsreiche und auch etwas „altmodische“ Atmosphäre des so beliebten „Café Lorrain – Chez André“.

Mehr als ein Jahrhundert Geschichte

„Das Café als solches besteht ziemlich sicher seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Ob es vor dem Zweiten Weltkrieg bereits existiere, kann ich nicht sagen“, erzählt Roby Schmit. Er war bis vor Kurzem noch der Besitzer jenes Hauses, in dem sich das „Café Lorrain“ befindet. Seine Eltern, Adolphe und Germaine, betrieben das Café zwischen 1947 und 1984. Roby, heute 70 Jahre alt, wuchs also in und mit dem Café auf. Damals wie heute zog das Lokal hauptsächlich Gäste aus Luxemburg und Frankreich an. In den 50er Jahren war das „Café Lorrain“ der zweite Ort in ganz Mondorf, an dem es einen Fernseher gab. Die neueste Technologie, die sich Privatpersonen damals kaum leisten konnten. Alleine deshalb begaben sich viele Pärchen ins Café, um am Abend gemeinsam einen Film anzuschauen oder auch Fußballfans, wie Jean-Marie, um sich die WM anzusehen.

Niedrige Benzinpreise, das Thermalbad mit dem rundum liegenden Park und das Freibad waren Touristenmagneten für das Dorf an der französischen Grenze und waren gleichzeitig verantwortlich für den Erfolg des Cafés. Zudem hob sich dieses unter der Leitung von Herrn und Frau Schmit durch seine „Hameschmieren“ von der Konkurrenz ab. Eine Tradition, die sowohl Jeannot Haudot als auch André Michel weitergeführt haben. Von 1984 bis 1994 stand das Café unter der Leitung von Jeannot Haudot. Ihm gehörte zuvor das Hotel Astoria, ebenfalls in Mondorf. 1994 waren es André Michel und seine Frau Brigitte, die sich des Kultcafés annahmen. Bis heute erfreut sich das „Café Lorrain“ einer stabilen Stammkundschaft.