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JugendarbeitslosigkeitBrücken bauen zwischen Unternehmen und Jugendlichen

Jugendarbeitslosigkeit / Brücken bauen zwischen Unternehmen und Jugendlichen
Die Zahl der arbeitssuchenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigt. Wächst die Schlange vor der ADEM? Foto: Editpress

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Die Jugendarbeitslosigkeit in Luxemburg steigt, doch die Datenlage ist komplex. Und wer allein auf die Zahlen schaut, verliert die realen Probleme aus dem Blick. Ein Besuch beim Projekt „Future Generation“, das junge Arbeitssuchende und Unternehmen zusammenbringt.

Alessandro Macchini hat heute Grund zu feiern. Der 22-Jährige hat nicht nur einen Job angeboten bekommen. In der Kommunikationsabteilung des Ingenieurbüros Goblet Lavandier & Associés hat man gleich eine ganz neue Stelle für ihn geschaffen. Nach einem Jahr der Arbeitssuche. Viel Zeit, diesen Erfolg gebührend zu feiern, bleibt Alessandro jedoch nicht. Denn los geht es schon am 16. August. „Keine Zeit für Urlaub“, sagt Alessandro und lacht.

Alessandro ist einer von zwölf Teilnehmern des Projekts „Future Generation“, initiiert von der Organisation Youth & Work. Im Rahmen dieses Projekts hat Alessandro gemeinsam mit seinen Mitstreitern die vergangenen sechs Wochen bei Goblet Lavandier in Niederanven verbracht. Sechs Wochen, in denen die jungen Erwachsenen diskutiert, geplant und entwickelt haben. Den hausinternen Mitarbeiter-TV-Sender Golav TV, zum Beispiel. Und einen neuen Youtube-Kanal für das Unternehmen.

Jetzt stehen zwölf junge Männer und Frauen zwischen Anfang und Ende 20 im Konferenzraum von Goblet Lavandier und heben ihre Gläser. Zwölf junge Menschen aus zwölf Nationen, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Bildungsabschlüssen. Was sie eint: Sie alle leben in Luxemburg. Sie alle sind auf der Suche nach Arbeit. Und sie alle haben am Vormittag die Ergebnisse ihrer vergangenen Wochen präsentiert. Nun halten sie Zertifikate in den Händen. Die hat Ariane Toepfer ihnen vor wenigen Minuten feierlich überreicht

Wir verstehen uns als Brückenbauer zwischen den Unternehmen und den Jugendlichen

Ariane Toepfer, Coach, Geschäftsführerin und Gründerin von Youth & Work

Toepfer ist Geschäftsführerin und eine der Gründerinnen von Youth & Work. Die „Sociéte d’impact sociétal“ bietet ein individuelles Coaching für Jugendliche und junge Erwachsene unter 30 auf der Suche nach Arbeit oder Ausbildung an. Kostenlos. 150 Jugendliche steckten aktuell im Coaching-Prozess, sagt Toepfer, seit 2012 habe man schon mehr als 3.000 Jugendliche begleitet. Neben Toepfer arbeiten vier weitere Coaches für Youth & Work. Sie alle kommen aus Unternehmen, haben Führungserfahrung. „Wir verstehen uns als Brückenbauer zwischen den Unternehmen und den Jugendlichen“, sagt Toepfer. „Die Jugendlichen kommen in der Regel aus der Schule oder neu hier ins Land und haben keine Ahnung, wie Unternehmen funktionieren.“

Coacht arbeitslose Jugendliche und Schulabbrecher auf ihrem Weg in den Job: Ariane Toepfer (links) von Youth & Work
Coacht arbeitslose Jugendliche und Schulabbrecher auf ihrem Weg in den Job: Ariane Toepfer (links) von Youth & Work Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Alessandro ist gelernter Grafiker, vor einem Jahr schloss er sein Diplom ab. Er jobbte hier und da. Glücklich machte ihn das nicht. Immer fehlte etwas. So wie Alessandro geht es vielen jungen Menschen in Luxemburg. Sie sind mit der Schule, der Ausbildung oder der Uni fertig und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Oder sie haben keinen Abschluss, werden immer wieder abgelehnt und verlieren Mut und Selbstvertrauen.

Die Jugendarbeitslosigkeit steigt gerade wieder in Luxemburg. Das ist Fakt. Wie dramatisch man das findet, hängt jedoch von der Statistik ab, die man sich anschaut.

Luxemburg auf Platz zwölf in Europa

Zunächst einmal: die Quote. Anders als für die Gesamtzahl der Arbeitslosen werde in Luxemburg keine Arbeitslosenquote spezifisch für Jugendliche berechnet, sagt Inès Baer, Leiterin der Abteilung Daten, Statistik und Arbeitsmarktstudien bei der Luxemburger Arbeitsagentur ADEM. Eine Jugendarbeitslosigkeitsquote für Luxemburg gibt es nur von Eurostat. Und die lag im Jahr 2022 für die 15- bis 24-Jährigen bei 17,6 Prozent – ein Anstieg im Vergleich zu 2021 und den unmittelbaren Vor-Pandemie-Jahren. Außerdem drei Prozentpunkte höher als die Quote für die gesamte EU. Was die Jugendarbeitslosigkeit angeht, liegt Luxemburg damit auf Platz zwölf in Europa. Erweitert man in der Eurostat-Statistik jedoch die Obergrenze der Altersgruppe auf 29 Jahre, sieht die Sache schon anders aus: Die Quote fällt auf neun Prozent, der niedrigste Wert in Luxemburg seit mehr als zehn Jahren.

Die Jugendarbeitslosenquote steht seit Jahren in der Kritik. Die Berechnung sei problematisch, sagt Inès Baer von der ADEM, weil sie Studierende und Schüler aus der arbeitsfähigen Bevölkerung ausschließe. Dadurch wird der Gesamtanteil an Jugendlichen, die als arbeitsfähig gelten, kleiner, die Arbeitslosenquote steigt also an. Eine Verzerrung, die sich verstärkt, je länger die Bildungswege werden. Im vergangenen Monat hat die Chamber den Gesetzesantrag zur Verlängerung der Schulpflicht von 16 auf 18 Jahre ab dem Jahr 2026 angenommen. Auch die längeren Studienzeiten verfälschten laut Baer die Statistik. „Dies ist besonders in Luxemburg signifikant, als das Land mit der höchsten tertiären Bildungsquote in der EU.“

„Ich weiß, dass die Zahl umstritten ist“, sagt Ariane Toepfer von Youth & Work. Nichtsdestotrotz sei jeder fünfte Jugendliche in Luxemburg, der arbeiten will, auf der Suche nach Arbeit. In absoluten Zahlen bedeutet das: 2.919. So viele Personen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren waren im Juni 2023 bei der ADEM arbeitssuchend gemeldet.

Die Dunkelziffer ist hoch

„Uns interessiert der Anteil der Jugendlichen unter allen Arbeitslosen“, sagt ADEM-Mitarbeiterin Baer. „Der ist im Moment 19 Prozent, im Anstieg im Vergleich zu den 17 Prozent, die es im Juni 2022 waren, aber vergleichbar mit dem Anteil vor der Pandemie.“ Im Juni 2013 lag dieser Anteil noch bei 23 Prozent. Und: Beinahe die Hälfte der jungen Menschen sind laut ADEM-Statistik weniger als vier Monate arbeitssuchend. „Im Moment machen die Jugendlichen zehn Prozent der Langzeitarbeitslosen aus. Dieser Anteil ist seit Jahren stabil“, sagt Baer.

Soweit die Datenlage. Und dann ist da noch die erlebte Realität.

„Jeder Zweite, der sich bei uns meldet, der arbeiten will, ist nicht bei der ADEM registriert“, sagt Ariane Toepfer. „Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit eine sehr hohe Dunkelziffer.“ Deshalb hat Youth & Work in den Pandemie-Jahren ein neues Projekt neben dem persönlichen Coaching entwickelt: „Future Generation“ richtet sich dezidiert an arbeitslose Jugendliche und Schulabbrecher. Die sind besonders stark von Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Laut einer Studie des Bildungsministeriums ist die Zahl der Schulabbrecher vor allem in der Corona-Pandemie deutlich angestiegen: von 1.473 im Jahr 2019/2020 auf 1.767 im Jahr 2021/2022. Junge Menschen, die sich abgehängt fühlen, die aufgeben.

Bei „Future Generation“ geht es Toepfer darum, die Spielregeln zu ändern: „Wir möchten, dass sich die Unternehmen bei den Jugendlichen bewerben.“ Normalerweise laufe das anders. Die Jugendlichen bewerben sich. Und bekommen keine Antwort. Oder eine Absage. Wenn man sowieso schon unsicher ist, steckt man das auf Dauer nicht gut weg.

„Sie haben ja gehört“, sagt Toepfer im Konferenzraum von Goblet Lavandier, „das Selbstvertrauen hier war am Anfang irgendwo kurz unter dem Gefrierpunkt.“ Und tatsächlich kann man an diesem Sommervormittag den jungen Leuten beim Auftauen zuschauen. Wie sie immer sicherer werden. Wie ihre Stimmen fester und lauter werden, wenn sie ihre Arbeiten präsentieren: das neue Logo für den Haussender Golav TV oder die Mitarbeiter-Interviews für den Youtube-Kanal.

Zwölf Teilnehmer aus zwölf unterschiedlichen Nationen: das Projekt „Future Generation“ von Youth & Work
Zwölf Teilnehmer aus zwölf unterschiedlichen Nationen: das Projekt „Future Generation“ von Youth & Work Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Da ist Wroshmin, 26 Jahre alt. Geboren in Afghanistan, in Indien hat sie ihren Master gemacht und baut jetzt in Luxemburg ihr Netzwerk auf. Oder Stéphane, 21, aus Luxemburg, der vorher als IT-Verkäufer gearbeitet hat und während des Projekts seine Leidenschaft für Kameraarbeit und Filmschnitt entdeckt hat. Da ist ein junger Mann aus dem Irak. Eine junge Frau aus der Ukraine. Geflohen vor dem Krieg und auf der Suche nach einem Arbeitsplatz in Luxemburg.

Die meisten Jugendlichen haben niemand in ihrem Umfeld, der an sie glaubt

Ariane Toepfer, Coach, Geschäftsführerin und Gründerin von Youth & Work

Ariane Toepfer kennt sie alle aus dem Coaching. Bei der Zertifikatvergabe findet sie mutmachende Worte für jeden Einzelnen. Dabei verfällt sie nicht in hohle Floskeln, sondern geht auf die ganz persönliche Entwicklung in den vergangenen Wochen ein. Eva, die ihre Scheu verloren hat, vor der Kamera zu stehen. Stéphane, der gelernt hat, gemeinsam in einer Gruppe zu arbeiten.

„Die meisten Jugendlichen haben niemand in ihrem Umfeld, der an sie glaubt“, sagt Toepfer. „Bei 80 Prozent der Jugendlichen ist das der Grund, warum sie scheitern.“ Das habe Youth & Work zusammen mit der Uni Luxemburg in einer Studie herausgefunden.

Toepfer und ihr Team verfolgen deshalb einen beziehungsorientierten Ansatz. „Das ist meiner Meinung nach der Ansatz, der im Bereich Jugendarbeitslosigkeit am hilfreichsten ist.“ Es gehe ihr darum, Vertrauen aufzubauen. Und Selbstvertrauen zu schaffen.

Der Staat arbeitet prozess-, nicht beziehungsorientiert

Auf die Frage, ob der Staat zu wenig unternehme, um arbeitslose Jugendliche zu unterstützen, antwortet Toepfer diplomatisch: „Wir haben ein anderes Menschenbild, einen anderen Ansatz.“ Der Staat arbeite prozessorientiert. Youth & Work hingegen eben beziehungsorientiert und ganzheitlich. „Ein Jugendlicher, der keine Wohnung hat, der familiäre Probleme hat, der verschuldet und arbeitslos ist, der wird über eine Berufsintegrationsmaßnahme, die ausschließlich auf einen Arbeitsplatz ausgerichtet ist, nicht weiterkommen.“ Ziel des Coachings sei es deshalb auch, alle Lebensbereiche Stück für Stück in den Griff zu bekommen.

Auch bei Goblet Lavandier war zu Beginn ein Jugendlicher mit dabei, der das Projekt später abbrechen musste, weil es ihm mental zu schlecht ging. „Bei der ADEM wäre er sofort raus“, sagt Toepfer, „bei uns bleibt er drin. Weil wir sehen, dass er sich Mühe gibt und im Moment eben nicht kann.“

Die ADEM hat ihre eigenen Mittel, um der Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Sie vermittelt junge Arbeitssuchende über den „Contrat d’appui-emploi“ (CAE) und den „Contrat d’initiation à l’emploi“ (CIE). In beiden Fällen übernimmt der Staat zu Beginn einen Teil der Lohnkosten der Arbeitgeber und will so Anreize schaffen, Jugendliche einzustellen. Wie nachhaltig diese Maßnahmen sind, zeigt ein aktueller Bericht der ADEM: Von den 2022 über einen CAE angestellten vormals Arbeitssuchenden seien 60 Prozent drei Monate nach Ende der staatlichen Förderung noch in Beschäftigung. Von den Personen, deren CIE 2022 begann, waren es 62 Prozent.

Wurde aus dem Projekt „Future Generation“ heraus angestellt: Alessandro Macchini (rechts)
Wurde aus dem Projekt „Future Generation“ heraus angestellt: Alessandro Macchini (rechts) Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Auf der anderen Seite steht die Erfolgsquote des Coachings von Youth & Work. „Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen kommen dahin, wo sie hinwollen“, sagt Ariane Toepfer. Ein Drittel gehe zurück in die Schule oder in Ausbildung, ein weiteres Drittel bekäme einen unbefristeten Arbeitsvertrag. „In dem Moment, in dem die Jugendlichen an Selbstvertrauen gewinnen und glasklar wissen, was sie wollen, können sie auch die Ressourcen mobilisieren, das zu machen, was sie brauchen“, sagt Toepfer. „Und dann sind wir nur noch Türöffner.“

An diesem Vormittag in Niederanven sind wieder ein paar junge Leute mehr durch diese Tür gegangen. Alessandro wird in Zukunft die Social-Media-Kanäle von Goblet Lavandier betreuen, das Golav TV weiterführen und verbessern. Wroshmin kann dank des Coachings im September ihren PhD in Business Administration beginnen. Und Stéphane? Der hat sich am Ende der Veranstaltung den Reporter von RTL geschnappt, um Kontakte auszutauschen. Vielleicht will er jetzt Kameramann werden.

carlocoin
18. August 2023 - 15.03

Mengt Dir net, et giffen dach genuch déier Strukturen gin?
Oder besteet den Draam, fir nach eemol en OPE ze schaafen?
Vléicht missten déi Jonk einfach emol bei d'Betrieber goen an eppes um "Kasten" hun.
Sief et nëmmen en Cv schreiwen ouni Fehler an och nach vléicht, no den Regelen vun der politesse...