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KunsteckeBreit angelegte Hommage an Michel Majerus

Kunstecke / Breit angelegte Hommage an Michel Majerus
Michel Majerus: „What looks good today may not look good tomorrow“, 2000, Acryl auf Baumwolle, 303 x 341 cm (© Michel Majerus Estate, 2022, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Mr. and Mrs. Werner E. Josten (by exchange)) Foto: Jens Ziehe

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Als am 6. November 2002 die Nachricht vom Flugzeugunglück in der Redaktion des Kulturradios 100,7 (wo der Autor damals tätig war) eintraf, ging es zwar vordergründig um das scheinbar misslungene Landesmanöver einer Maschine der nationalen Fluggesellschaft, die vielen Toten und Verletzten, doch bald hieß es, unter den toten Passagieren war auch der junge Luxemburger Künstler Michel Majerus.

Viele kannten nicht mal seinen Namen, etwa nach dem Motto „Nul n’est prophète en son pays“. Majerus war zu dem Moment in der heimischen Kunstwelt noch ein Insider-Tipp. Einer interessierten Öffentlichkeit wurde er durch seine Teilnahme an Manifesta II, die mustergültig von Enrico Lunghi und dem „Casino Luxembourg – forum d’art contemporain“ 1998 organisiert worden war, bekannt. Bis zu seinem Tode war Michel Majerus, der in Berlin lebte und arbeitete, vorwiegend auf internationaler Bühne ein Begriff.

Tragischer Tod vor 20 Jahren

Am 9. Juni 1967 in Esch/Alzette geboren, studierte er von 1986 bis 1992 in Stuttgart. Alsdann zog er nach Berlin, weilte jedoch 2001 in Los Angeles, um danach wieder Berlin als Basislager seiner künstlerischen Aktivitäten zu nutzen. Er verstarb allzu früh und unerwartet am 6. November 2002 in Niederanven, als die aus Berlin kommende Luxair-Maschine dort verunfallte.

Majerus verband seine auf moderne Pop-Kultur gestützte Kunst unter Einfluss der Konsumwelt und ihrer Referenzen mit kunstgeschichtlichen Hinweisen zu einer erfrischenden und ungewohnten Mischung, die zudem durch seine Mega-Formate eine unverkennbare und ausdrucksstarke Dimension erhielt. Diese wurde anerkannt, seine Werke fanden Anklang, Harald Szeemann holte ihn 1999 nach Venedig, um die Fassade des italienischen Pavillons zu gestalten, eine Text-Bild-Collage, so Wikipedia, unter dem vielsagenden Titel „Sun in 10 different directions“. Ein Jahr später überraschte er im Kölnischen Kunstverein mit einer „Halfpipe“, einem dreidimensionalen riesigen Werk, das Skatern ermöglichte, über Malereien und Textstreifen zu „gleiten“. Neben zahlreichen anderen von seiner Vielseitigkeit zeugenden Ausstellungen sei hier nur noch seine 2002 in der Berliner Galerie, die ihn an Anfang an und bis heute vertritt, präsentierte Installation „controlling the moonlight maze“ erwähnt.

Majerus-Jahr in Deutschland

Interessant ist die Tatsache, dass man nach dem Beuys-Jahr 2021 nun 2022 fast schon als Majerus-Jahr bezeichnen kann. In „Kunst-Termine“ spricht man von einer „deutschlandweiten Ausstellungsreihe Michel Majerus“ und listet Schauen in mehr als 15 Städten auf, Expos, die zum heutigen Zeitpunkt teils abgeschlossen sind oder erst in den nächsten Tagen starten und weit bis 2023 hineinreichen. In Berlin zeigt das KW Institute for Contemporary Art ab dem 22. Oktober „Frühe Werke“ von Majerus. Ab seinem 20. Todestag, also am 6. November, ist es bei „neugerriemschneider“ in Berlin eine Rekonstruktion seiner ersten Zusammenarbeit mit der Galerie unter dem Titel „Michel Majerus – Gemälde, 1994“ und am 12. November eröffnet der Kunstverein Hamburg die von Bettina Steinbrügge (heutige Mudam-Direktorin) und Milan Ther kuratierte Expo „Michel Majerus – Data Streaming“. Hier werden die „digitalen Aspekte“ in seinem Werk analysiert. Wer im Dezember in die deutsche Hauptstadt reisen möchte, der kann dort am 17. Dezember im „Neuen Berliner Kunstverein“ die Hommage „Michel Majerus“ mit Einsichten in sein „installatives Werk als ein zentrales Ausdrucksmittel seiner Praxis“ besuchen.

Damit nicht genug: In Köln läuft eine Expo im Museum Ludwig, eine andere Schau in Essen im Museum Folkwang, außerdem gibt es Expos in Aachen im Ludwig-Forum, in Hannover im Sprengel-Museum, in Wolfsburg im Kunstmuseum, in Stuttgart in der Staatsgalerie und im Kunstmuseum, in Bonn im Kunstmuseum und in der Kunsthalle Bielefeld findet ab dem 5. Dezember bis zum 5. März 2023 eine weitere Hommage an Michel Majerus statt. Das Mudam widmet ihm vom 31. März bis zum 15. Oktober 2023 die Schau „Michel Majerus – the Sense Machine“. Unsere deutschen Kunstfreunde kommen 2022 und 2023 nicht an Ausstellungen und am Schaffen des Luxemburgers und Wahl-Berliners Michel Majerus herum. Allein in Berlin gibt es fünf Einzelausstellungen, u.a. auch mit Leihgaben aus dem Nachlass des Künstlers.

Was ist sein Vermächtnis wert?

Allzu jung verstorben hinterlässt Majerus ein reichhaltiges Werk, das, sofern es nicht in öffentlichen oder privaten Sammlungen ist, vom Majerus Estate verwaltet wird, einer Einrichtung, die bereits vor Jahren bei einer Ausstellung in der Galerie Indépendance in Luxemburg eine wesentliche Rolle gespielt hat, doch die Nachlass-Verwaltung ist nur eine Facette der Aufarbeitung und der Pflege einer derart reichhaltigen Produktion. Das „Vermächtnis“ des Künstlers steht im Mittelpunkt eines Symposiums, das am 9. November 2022 im Mudam durchgeführt wird. Mit „what looks good today may not look good tomorrow“ greift die Veranstaltung einen ehemaligen Ausstellungstitel auf und stellt dies zur Debatte. Dies geschieht in Form von Vorträgen, „Lecture Performances“ und einer Podiumsdiskussion.

Hat der Künstler Michel Majerus noch Einfluss auf „die Praktiken derjenigen Künstler*innen, Kurator*innen und Theoretiker*innen, die gemeinhin als „Digital Natives“ bezeichnet werden“? Die Frage scheint berechtigt, sieht man, wie schnell sich Trends entwickelten, wie fließend die Grenzen zwischen Genres sein können, wie kommerziell das internationale Kunstgeschäft inzwischen geworden ist, wie oberflächlich und kurzfristig Stimmungen in der Kunstwelt sein können. Michel Majerus hat sich vielseitiger Technik bedient, seine Motive teils in der seinerzeit geltenden „Konsumkultur“ gefischt, um dabei, laut Mudam, „die kanonischen Regeln der Malerei“ zu übertreten und so „unverwechselbare Interpretationen der Popkultur der 1980er und frühen 2000er Jahre“ zu schaffen. „Sind diese bis in unsere Tage relevant?“, das ist hier die Frage. Das Symposium verspricht animiert zu werden (anmelden kann man sich unter mudam.com/rsvp-majerus-symposium). Für die Einführung und die Moderation der Podiumsdiskussion ist Direktorin Bettina Steinbrügge, die das Œuvre des Künstlers ja gut kennt, zuständig. Die Performances von Motoko Ishibashi sollen den ganzen Tag über stattfinden, wohl um die wortgewaltigen Auseinandersetzungen etwas aufzulockern. 

Nach der deutschen Ausstellungswelle in Erinnerung an Michel Majerus und Anerkennung seines Werkes (im Frühjahr 2003 erscheint dazu bei der DCV Dr. Cantz’sche Verlagsgesellschaft eine umfangreiche Publikation) kommt es im März 2023, nach der Mudam-Retrospektive 2006, die übrigens den gleichen Titel wie das Symposium trug, nun zu einer weiteren Hommage-Ausstellung an den Künstler in seinem Heimatland. Man darf gespannt sein!