„Ich sollte nicht hier sein, weil ich tot sein müsste“ – mit diesen Worten beginnt Bono seine Autobiografie „Surrender – 40 Songs, eine Geschichte“. Todesursachen, so verrät der U2-Sänger und Aktivist, hätte es einige für ihn geben können: Terrorangriffe in seiner direkten Nähe in Nizza und Paris, Zugfahrten durch die Ukraine für einen U-Bahn-Gig in Kiew, IRA-Morddrohungen, Unfälle, Notoperationen. Er wurde „mit einem exzentrischen Herzen“ geboren, und das sagt gleich eingangs viel über den Iren und seine Memoiren.
Jedes Kapitel beginnt mit Illustrationen, die Bono gezeichnet hat, und jedes trägt einen U2-Songtitel als Überschrift. Zeilen eigener Songs und die anderer Künstlerinnen und Künstler durchsetzen seine (Lebens-)Geschichte. Er erzählt sie meist chronologisch, linear, baut aber geschickt Zeitsprünge und Exkurse ein.
Vom frühen Tod seiner Mutter, der schwierigen Beziehung zum Vater und den musikalischen Anfängen, über U2’s Erfolg und den Umgang mit demselben bis hin zu politischen Themen wie dem Schuldenerlass Jubilee 2000 und der Gründung von Organisationen wie (RED) und ONE, die sich gegen die HIV-Epidemie und extreme Armut einsetzen – Bono lässt nichts aus. Auch keine Familiengeheimnisse, auch keine ganz privaten Augenblicke.
Er scheint jeden zu kennen: Bob Dylan, Bill Clinton, Paul McCartney, Angela Merkel, Sting, Barack Obama, Helena Christensen und Warren Buffett. Aber niemand hat eine Bekanntschaft oder Freundschaft mit dem 62-jährigen Iren, ohne mit ihm die Welt ändern zu wollen, zu müssen. Er erzählt von Luciano Pavarotti, Nelson Mandela, David Bowie, Steve Jobs, Johnny Cash, Johannes Paul II., Frank Sinatra, B.B. King und Michael Hutchence von INXS.
Dass einige der Persönlichkeiten nicht ohne Kontroversen sind, ist ihm bewusst (aber sie seien wichtige Kontakte in der Entwicklungsarbeit, wie beispielsweise George W. Bush), ebenso wie die viel – auch von den Bandkollegen – kritisierte Entscheidung, das „Songs of Innocence“-Album 2014 ungefragt weltweit in alle Apple-Geräte zu laden: „Ich übernehme die volle Verantwortung. Mea culpa.“
Sein Aktivismus nimmt viel Raum in „Surrender“ ein, aber das ist durchaus folgerichtig – weil er in Bonos Leben viel Raum einnimmt. Ähnlich ist es mit dem Glauben, auch wenn Religion seiner Meinung nach das ist, „was passiert, wenn Jesus – so wie Elvis – die Party verlassen hat“.
Nach den Autobiografien von Bruce Springsteen („Born to Run“) und Dave Grohl („The Storyteller“) ist auch Bono ein spürbar persönliches und von außen betrachtet schonungsloses Buch gelungen. Wenn es Sex, Drogen und Rock’n’Roll sind, die in eine Autobiografie eines Rockstars gehören: Ja, stimmt, das kommt alles vor. Rock’n’Roll, weil das in der Natur der Sache liegt – ist der Autor doch Frontmann einer Band, die weltweit 175 Millionen Platten verkauft hat.
Drogen gibt es in „Surrender“ auch, aber vor allem, weil Bono über ihre Folgen für Menschen schreibt, die ihm nahe sind. Wie eben U2-Bassist Adam Clayton, der heute offen über seine Sucht und mentale Gesundheit spricht. Und auch Sex kommt vor, jedoch nur am Rande. Wichtiger ist Bono die Liebe, nicht nur romantisch, auch freundschaftlich. Die Liebe zu seiner Frau Ali, der das Buch gewidmet ist, halte den Sänger, Aktivisten und Autor zusammen. Die Liebe zu seinen vier Kindern und zu den Bandkollegen von U2 (The Edge, Larry Mullen Jr. und Adam Clayton) trage ihn – und sie (er)tragen ihn. Die Liebe zur Musik ist immer da, spricht aus jeder der 696 Seiten (hat irgendwer geglaubt, Bono würde sich kurz fassen?). Und die Liebe zur Welt und den Menschen darin.
Bono zeigt in „Surrender“, wie geistreich er schreiben kann. Dabei schlägt er auch selbstkritische Töne an, etwa, wenn er schreibt: „Ich brauche andere Menschen mehr als sie mich.“ Er geht oft hart mit sich ins Gericht, und er verrät, er könne starrköpfig sein, launisch. Dabei erzählt Bono ebenso poetisch wie lustig, manchmal (selbst)ironisch. „Ich würde keinem Mann trauen, der dich nicht attraktiv findet“, sagt er an einer Stelle zu seiner Frau, die amüsiert kontert: „Ich würde keiner Frau trauen, die dich interessant findet.“ Und man spürt: Bono übt sich auch in solchen Momenten im Kapitulieren, to surrender. (dpa)
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