„Interviews sind noch nicht meine Stärke“, sagt Liz Braz mit einem entwaffnenden Lächeln, während sie an einem kleinen, runden Tisch im Schatten Platz nimmt. Es folgt ein kurzer Blick aufs Display ihres Smartphones, bevor sie das Telefon auf lautlos schaltet, um sich ihrem Gegenüber zu widmen. Treffpunkt ist die Terrasse eines kleinen Lokals neben der Brillschule – etwas abseits der belebten Alzettestraße, doch immer noch nah genug, um weiter die Atmosphäre der „Journée française“ genießen zu können.
Bei mehr als 30 Grad im Schatten kommt die Erfrischung gerade recht: Braz hat die letzten Stunden am Stand der LSAP damit verbracht, auf Tuchfühlung mit den Bürgern der Stadt Esch zu gehen. Sie ist eines von mehreren jungen Gesichtern der Partei, die im Hinblick aufs Superwahljahr 2023 neue Impulse geben sollen. Für die junge Frau, Jahrgang 1996, ist es denn auch das erste große Interview mit einer Luxemburger Tageszeitung – Fotoshooting inklusive.
Lampenfieber scheint sie aber keines zu haben. Im Gegenteil: Braz ist selbstbewusst, eloquent und schlagfertig, ohne überheblich oder herablassend zu wirken. Fähigkeiten, die sie Anfang Juli schon beim 120-jährigen Parteijubiläum der LSAP im Escher „Ellergronn“ unter Beweis stellen konnte. Dort hatte die 25-Jährige auf Bitte der Parteiführung mit Brian Halsdorf die Moderation übernommen. „Es war dies wohl eine bewusste Entscheidung der Exekutive, um der Verjüngung der Partei ein Gesicht zu geben“, mutmaßt Braz im Gespräch mit dem Tageblatt.
Im Mai hatten Braz und Halsdorf zusammen mit Gleichgesinnten eine sozialistische Jugendsektion für den Süden gegründet. Damit hat nach dem Norden und Osten nun auch der größte Bezirk eine sozialistische Jugend (JS). „Die Jubiläumsfeier im Ellergronn war eine optimale Gelegenheit, den politischen Nachwuchs in den Mittelpunkt zu rücken und damit auch den absoluten Willen der Parteiführung zu unterstreichen, ab sofort verstärkt auf die Jugend zu setzen“, so die Co-Präsidentin der JS Süden.
Familienbande
Dass die eigene Personalie aufgrund ihrer familiären Verbindungen etliche Fragen aufwirft, dessen ist sich Braz durchaus bewusst. Liz ist die Tochter des früheren Justizministers und Vizepremiers Félix Braz, der im August 2019 einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte. Der Politiker lag mehrere Tage im Koma und musste lange Zeit intensiv betreut werden. Da die Folgen des Anfalls schlimmer waren als zunächst befürchtet, wurden Braz’ laufende Geschäfte kommissarisch von anderen Ministern übernommen.
Zwischen dem Herzinfarkt und der endgültigen Amtsenthebung sollten im Endeffekt nur wenige Wochen vergehen. Bereits im September hatten „déi gréng“ eine Regierungsumbildung angekündigt, die mit einem großherzoglichen Erlass am 11. Oktober 2019 vollzogen wurde: Mit einem „ehrenhaften Rücktritt“ wurde Braz offiziell seiner Ämter enthoben. Das Justizressort wurde von Sam Tanson übernommen. Vizepremier war fortan François Bausch.
Braz, der seit dem schweren Schicksalsschlag gesundheitlich enorme Fortschritte macht, hat 2021 gegen den erzwungenen Rücktritt Klage eingereicht. Dieser sei illegal, da sein Mandant kein eigenes Rücktrittsgesuch eingereicht oder unterschrieben habe, erklärt dessen Anwalt. Braz selbst hat gegenüber den Medien eingeräumt, dass er damals wohl auch aus eigenen Stücken seinen Rücktritt eingereicht hätte – hätte man ihm persönlich die Möglichkeit dazu gegeben. So aber wurden er und seine Familie vor vollendete Tatsachen gestellt. Dass er vom Verhalten ehemaliger grüner Weggefährten enttäuscht sei, hat nicht nur Braz schon öffentlich eingeräumt. Auch Frau, Sohn und Tochter haben ihren diesbezüglichen Gefühlen freien Lauf gelassen.
Zumindest für Liz gehören die Ereignisse inzwischen der Vergangenheit an. Sie wolle sich vielmehr auf die Zukunft konzentrieren. Eine Zukunft, in der ihr Vater weiter eine wichtige Rolle spielen kann, wie die Jura-Studentin erleichtert betont.
Die LSAP vertritt Werte, mit denen ich mich am meisten identifiziere
Mit bestimmten Personen werde man sich wohl nicht mehr auf ein Abendessen treffen. „Ansonsten bin ich keinem Grünen böse“, lacht Braz auf. Natürlich habe „die eine oder andere menschliche Enttäuschung“ eine Rolle bei der Wahl ihrer politischen Heimat gespielt. „Ausschlaggebend war es aber nicht. Die LSAP vertritt Werte, mit denen ich mich am meisten identifiziere. Sie steht für eine inklusive Gesellschaft, für soziale Gerechtigkeit und für Gleichberechtigung. Ich finde mich mit meinen Überzeugungen in der Partei wieder“, betont die 25-jährige. „Ich fühle mich wohl bei den Sozialisten. Eine andere Partei kommt für mich nicht infrage.“ Aus diesem Grund sei sie seit Anfang des Jahres Mitglied in der LSAP.
Weitere Energie zieht sie aus dem Rückhalt, den der Nachwuchs vonseiten der Parteileitung erfährt. Eine Parteileitung, die mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren so jung ist wie nie zuvor. Mit dem neuen Generaldirektor Ben Streff habe in der Parteizentrale zudem ein 27-Jähriger das Sagen, der mit seiner Finesse und Gelassenheit eine ganz neue Dynamik mit einbringe, so Braz. Die Verjüngungskur sei keine leere Worthülse. Sie spüre ein ehrliches Bestreben, dem politischen Nachwuchs eine Chance zu geben. „Viele Mitglieder haben erkannt, wie wichtig junger Input momentan ist. Im Gegenzug haben wir das Gefühl, dass die erfahrenen Leute wirklich an unseren Ideen interessiert sind“, betont die Jura-Studentin.
Neben einem regelmäßigen Austausch mit der Parteispitze habe jeder Nachwuchspolitiker auch ein bis zwei Mentoren, die sich immer Zeit für Fragen nehmen. „Egal, an wen man sich auch wendet: Sie nehmen sich immer Zeit für die Jungen“, unterstreicht Braz. Gleichzeitig investiere die Leitung in politische Weiterbildung und versuche, den jungen Gesichtern eine Tribüne zu bieten – wie etwa bei der 120-Jahr-Feier im Ellergronn.
Bemerkenswerte Frauen
Gleichberechtigung ist ein weiteres Thema, das der 25-Jährigen am Herzen liegt. Umso begrüßenswerter sei es, so Braz, dass in den letzten Jahren gleich mehrere Frauen deutliche Akzente in der Partei setzen konnten. Die ehemalige Escher Bürgermeisterin und Gesundheitsministerin Lydia Mutsch etwa, die der Minette-Metropole mit ihren Ideen und Visionen neues Leben einhauchen konnte. Oder Vizepremierministerin Paulette Lenert. „Eine bewundernswerte Frau“, wie Liz Braz befindet. Als Quereinsteigerin habe die Gesundheitsministerin während der Corona-Krise stets im Interesse des Landes gehandelt – mit einer Sachlichkeit und Ruhe, die ihresgleichen suchten.
„Solche Frauen kann man sich zum Vorbild nehmen“, sagt die junge Politikerin stolz: „Menschen, die nicht aus Eigennutz handeln, sondern aus Überzeugung für die Sache.“ Dies gelte auch für Innenministerin Taina Bofferding oder sozialistische Größen im Ausland, wie die finnische Premierministerin Sanna Marin oder Jacinda Ardern in Neuseeland. „Natürlich reicht es nicht, dass die Parteien hinter den Personen stehen: Der Wähler hat ein Wörtchen mitzureden. Daher ist es wichtig, dass auch die Presse ihrer Verantwortung nachkommt und Frauen sowie jungen Politikern eine Plattform bietet.“
Ob sie nächstes Jahr bei den Gemeindewahlen in Esch antreten werde? „Sollte man mich fragen, werde ich mich meiner Verantwortung nicht entziehen. Das weiß auch die Partei. Allerdings gibt es Prozeduren, die eingehalten werden müssen“, sagt die junge Frau mit einem Lächeln. „Persönlich würde ich mich aber darüber freuen, die Zukunft von Esch mitgestalten zu können.“
Zunächst möchte Braz sich noch auf ihr Studium konzentrieren. Nach dem Abitur am Escher Lycée Hubert Clement und einem Bachelor in Jura an der Universität Luxemburg soll im Sommer nun ein Master in „Droit public & international“ an der ULB in Brüssel abgeschlossen werden. Anschließend strebt die Ex-Präsidentin der „Association nationale des étudiants luxembourgeois en Droit“ (Aneld) eine Mitgliedschaft in der Anwaltskammer an, was mit einem weiteren Praktikum von zwei Jahren verbunden ist.
Sollte man mich fragen, werde ich mich meiner Verantwortung nicht entziehen. Das weiß auch die Partei.
Lust auf Engagement
„Das hat Priorität“, betont Braz. Sie habe nicht vor, Karrierepolitikerin zu werden, sondern wolle beruflich eine andere Laufbahn einschlagen. Gleichzeitig wolle sie sich in den nächsten Jahren aber auch in Esch mit einbringen. „Das eine hält mich nicht vom anderen ab“, so die junge Frau. In welcher Rolle, wisse sie noch nicht. Ihre Absichten seien der Partei jedoch bekannt. „Richtig Lust“ habe sie, sich politisch in Esch zu engagieren. Vor allem da die LSAP mit dem Ex-JSL-Präsidenten Georges Sold, der aktuellen Präsidentin Lisa Kersch, dem Ex-Handball-Nationalspieler Sascha Pulli und Claude Roeltgen in Esch gleich über mehrere vielversprechende Nachwuchspolitiker verfüge. „Da würde ich gerne meinen Teil dazu beitragen“, schlussfolgert Braz.
Esch sei eine „aufregende Stadt“ mit „viel Charme und industriellem Flair“. Die Minette-Metropole verfüge über viele wichtige Infrastrukturen. Allerdings bestehe noch viel ungenutztes Potenzial, was die Lebensqualität angeht. Es fehlten grüne Flächen oder Begegnungsstätten für Jung und Alt innerhalb der Viertel. Braz will mehr auf die Einwohner zugehen und deren Diversität nutzen, um die Gemeinschaften zusammenzubringen.
Mobilität („Für eine Radfahrt durch die Alzettestraße braucht man eine Extra-Versicherung“), Sicherheit („Als Frau geht man abends ungerne allein zum Bahnhof“) und Wohnungsbau („Aktuell ist die Lage nicht mehr tragbar“) seien weitere Punkte, in denen sie sich einzubringen gedenkt. „Unsere Stärke in Esch ist die Diversität“, meint Braz. „Das muss man nutzen. Es kann nicht sein, dass jede Gemeinschaft ihr eigenes Viertel hat und die Menschen nur noch für sich leben.“
Es sei nicht zu hoch gegriffen, sich ein Beispiel an Städten wie Nancy, Montpellier oder Wien zu nehmen, die von jungen sozialistischen Bürgermeistern geführt werden. „Doch warum soll es nicht das Ziel sein, dass die Verantwortlichen dieser Städte in fünf bis zehn Jahren nach Esch reisen, um sich bei uns etwas abzuschauen?“, meint die 25-Jährige. Esch habe das Potenzial, eine moderne, ökologisch nachhaltige, dynamische Modellstadt zu werden. „Es muss nur genutzt werden“, so Braz.
Keine zwei Braz auf einen Schlag
Ihr Weg in die Politik sei sozusagen vorgezeichnet gewesen. „Ich bin mit der Politik aufgewachsen“, sagt die junge Frau. Allerdings habe sie erst in den letzten Jahren die Herangehensweise ihres Vaters so richtig schätzen gelernt. „Ich habe viel von ihm gelernt in dieser Zeit“, gesteht Liz Braz. Bewundert habe sie ihren Vater vor allem wegen dessen Fähigkeit, den Menschen wirklich zuzuhören. „Eine ganz wichtige Eigenschaft“, wie sie selbst zugibt.
„Auch wenn man nicht den gleichen Standpunkt vertritt, so sollte man es doch fertigbringen, die Gegenseite zu verstehen, auf sie einzugehen.“ Es sei einfacher, Projekte zu verwirklichen, wenn sich die Menschen darin wiederfinden. Ihren Vater habe vor allem aber eines ausgezeichnet: „Auch wenn er politisch nicht mit Menschen einverstanden war, so hat er ihnen menschlich aber immer Wertschätzung entgegengebracht.“
Dass sie sich irgendwann politisch engagieren wolle, habe sie in jungen Jahren schon gewusst. Ihr Vater habe sie jedoch nie zum dem Engagement gedrängt. Nur eines sei im Haushalt Braz immer klar gewesen – auch wenn es nie laut ausgesprochen wurde: „Zwei Braz sollen nicht zusammen Politik ausüben“, so die junge Frau.
Dies sei umso deutlicher geworden, als sich für Liz mit der Zeit eine andere politische Heimat herauskristallisiert habe. „Allein schon um den Weihnachtsfrieden nicht zu gefährden, habe ich zunächst auf ein politisches Engagement verzichtet“, lacht sie laut auf. Dann wird Braz mit einem Schlag wieder ernst: „Dass die Karriere meines Vaters so ein plötzliches Ende haben und ich früher als gedacht in die Politik rutschen sollte, damit konnte niemand rechnen.“
Allein schon um den Weihnachtsfrieden nicht zu gefährden, habe ich zunächst auf ein politisches Engagement verzichtet
Liz Braz weiß natürlich, dass sie sich zumindest in einer ersten Phase noch an ihrem bekannten Nachnamen messen lassen muss. Wie bei anderen Politiker-Sprösslingen besteht auch bei ihr die Gefahr, dass die familiären Verbindungen Fluch und Segen zugleich sind. Die Jura-Studentin ist jedoch entschlossen, sich aus dem Schatten des ehemaligen Vizepremiers zu lösen und eigene Akzente zu setzen. Die Rückendeckung eines stolzen Vaters ist ihr dabei sicher.
„Ich kann noch viel von meinem Vater lernen. Er steht zu hundert Prozent hinter mir und meinen Ambitionen. Ich kann mich jederzeit an ihn wenden“, betont Liz Braz. „Ich glaube sogar, dass er es insgeheim genießt“, fügt sie verschwörerisch hinzu. „Jeden Tag fragt er mich aus, will wissen, was auf meiner Agenda steht. Abends muss ich ihm Bericht erstatten. Er kann es einfach nicht lassen: Er ist immer noch ganz bei der Sache – manchmal vielleicht sogar etwas zu viel“, meint sie mit einem Augenzwinkern. „Natürlich freue ich mich aber, dass ich das noch mit ihm teilen kann.“
Na ja,egal wie,rout oder greng,
Privilegien sinn dei selwecht.
Politik ass och konzeptlos,
alles stenckt bis zum Himmel.
Bei dësem Satz hunn ech opgehale mat liesen…
„Der Wähler hat ein Wörtchen mitzureden.“
Wéi gnädeg awer vun der Madamm Braz…