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Bereit für Sex – oder doch nicht? „Red-y“-Kampagne soll Jugendliche in Luxemburg für HIV sensibilisieren

Bereit für Sex – oder doch nicht? „Red-y“-Kampagne soll Jugendliche in Luxemburg für HIV sensibilisieren

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Es ist ein Thema, bei dem die meisten immer noch beschämt wegschauen. Über Sexualität spricht in Luxemburg fast niemand so wirklich offen – und noch weniger über sexuell übertragbare Krankheiten (STI). Genau diese sind allerdings in den letzten Jahren wieder zum Problem geworden, denn seit der Panikwelle der 90er ist die Thematik im Bewusstsein der Bevölkerung nach hinten gerückt. Am 28. Juni startet das „Centre hospitalier Emile Mayrisch“ (CHEM) zusammen mit der Theatergruppe des „Escher Jongelycée“ eine Kampagne, um dem entgegenzuwirken. 

Von Laura Tomassini

Besonders bei Jugendlichen spielt eine frühzeitige Sensibilisierung eine wichtige Rolle, denn wer schon jung über die Risiken von ungeschütztem Geschlechtsverkehr Bescheid weiß, der kann sich und seinen Mitmenschen viel Leid ersparen. Gemeinsam mit Patrick Engel vom Escher Cabaret Geoghelli hat CHEM-Pressesprecherin Anja Di Bartolomeo die Kampagne „Red-y“ auf die Beine gestellt und erklärt, worum es beim Projekt geht: „Die Idee ist es, die Schüler durch ein Mini-Musical mit unterschiedlichen Sketches zu informieren und so Tabus zu Geschlechtskrankheiten aufzuheben. Viele Jugendliche glauben, dass sie keine solche Infektion bekommen können. Das muss sich dringend ändern.“

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Im Regierungsrat verkündete Gesundheitsminister Etienne Schneider am Mittwoch die Zustimmung des Gesetzestexts zum künftigen Verkauf von HIV-Selbsttests in den Einkaufszentren des Landes. Die Tests unterscheiden sich in dem Sinne von Schnelltests, als dass sie eigenständig von Privatpersonen zu Hause durchgeführt werden können und innerhalb einer halben Stunde ein Ergebnis liefern. Somit soll das Screening von Geschlechtskrankheiten noch effizienter gestaltet werden.

Auch die drei LGE-Schüler Gwendolyn Glodt, Marius Thill und Yanis Baravini waren geschockt über ihr eigenes Unwissen in Bezug auf STIs. „Im Unterricht wird uns zwar erklärt, was Aids ist, aber die ganzen Fachbegriffe lernt man für die Prüfung auswendig und vergisst sie anschließend wieder“, meint Marius.

Ändern soll sich das durch etwa zwei Dutzend Teenager aus Esch. Gekleidet in rotem Wonder-Woman-Anzug, Lack-Stiefeln und rubinfarbenen Morphsuits werden die Schüler der LGE-Theatergruppe vom 1. bis zum 5. Juli in mehreren Lyzeen des Landes auftreten und ihre Message verbreiten. Start der Kampagne ist am 28. Juni im „Jongelycée“, danach geht es im gesponsorten Sales-Lentz-Bus weiter quer durchs Land.

Flashmob und Gummis

„Wir haben einen Pool von etwa 40 Leuten, die jeweils zu 20 im Schulhof auftreten werden“, erklärt Theaterleiter Patrick Engel. Die eine Hälfte des Teams ist für den geplanten Flashmob zuständig, der Rest verteilt Kondome und Info-Flyer an die anwesenden Schüler im Publikum.

Das Besondere an der Kampagne: die Sprache. Der Slogan „Are you red-y for sex?“ mag auf den ersten Blick vielleicht etwas gewagt klingen, doch genau das war die Absicht der Organisation. „Wir haben die Sprache der Jugendlichen gebraucht, um sie wirklich zu erreichen. Es soll keine Kampagne von Erwachsenen sein, denn das kommt nicht mehr an“, erklärt Anja Di Bartolomeo.

Die dargestellten Szenen sollen Risikosituationen thematisieren, mit denen sich Jugendliche oft konfrontiert sehen. Ein Sketch zeigt etwa ein junges Pärchen, das vor dem ersten Sex über die Nutzung eines Kondoms diskutiert. Auf die Aussage des Mädchens, dass sie ja die Pille nehme und so nichts geschehen könne, erscheint der Weihnachtsmann und antwortet: „Ma wann s du doru gleefs, da gleefs de jo bestëmmt och nach u mech!“

Viele Vorurteile

Daran glauben tut Cabaret-Mitglied Gwendolyn zwar nicht, so richtig Bescheid über Aids und Co. weiß aber auch sie erst seit dem Besuch von HIV-Beraterin Claudia Pedroso. „Eigentlich denken wir alle, dass wir aufgeklärt sind, und das trifft auch auf die Großzahl meiner Freunde zu“, gibt die 18-jährige Schülerin zu. „Dennoch gibt es immer noch sehr viele Vorurteile, was Geschlechtskrankheiten angeht. Sätze wie ‹Warum soll ich mich testen lassen, denkst du, ich bin schmutzig?!’“ Das kann der 15-jährige Yanis bestätigen: „Man verbindet das sofort mit Junkies oder Spritzen, aber dass sich quasi jeder infizieren oder den Virus übertragen kann, daran denken die wenigsten.“

Die „Mir kannst du nichts“-Mentalität kennt auch Patrick Engel. In seiner Zeit als Deutschlehrer hat er schon skurrile Aussagen im Zusammenhang mit Sexualität gehört, deshalb liegt ihm die Aufklärungsarbeit in Schulen besonders am Herzen. „1996 habe ich eine ähnliche Tour mit Jugendlichen gemacht. Damals in den 90ern wurde man noch mit Kondomen totgeschmissen und jeder wusste auf einmal Bescheid. Dem ist heute aber leider nicht mehr so“, sagt Engel.

Keine Moralapostel

Schon in der Grundschule haben Schüler Pornos auf ihren Smartphones, von den Sexpraktiken der jungen Generation ganz zu schweigen. Man wolle allerdings nicht den Eindruck vermitteln, dass die Jugend von heute extrem sexualisiert sei, so Engel. „Es gibt auch Schüler, die keine Kondome austeilen wollen. Das Problem liegt eher darin, Fiktion von Realität zu unterscheiden. Schauen Teenager einen X-Men-Film, dann wissen sie genau, dass dieser nicht real ist. Bei Pornos ziehen viele diese Grenze allerdings nicht“, meint er.

Vor allem Infektionen wie Syphilis dürfen nicht mehr nur als „literarische Krankheiten von früher“ gesehen werden, denn die Ziffern der Neuinfektionen sprechen Bände. Dennoch soll der Flashmob des Cabaret Geoghelli keine Moralapostel-Funktion einnehmen – man will die Jugendlichen schließlich erreichen und nicht vergraulen. Zu einer Compilation der beiden Hits „I will Survive“ von Gloria Gaynor und „Survivor“ der Gruppe Destiny’s Child haben sich die LGE-Schüler eigene Lyrics mit dem Titel „U mech kënnt näischt“ ausgedacht. Die getragenen roten Handschuhe symbolisieren dabei das internationale HIV-Solidaritätssymbol der Roten Schleife.

Auftritt bei der Luxembourg-Pride-Parade

Auftreten wird die Truppe des LGE auch bei der „Luxembourg-Pride“-Parade, dem ehemaligen „GayMat“, am 13. Juli in Esch. Neben den Sketches stehen hier vor allem HIV-Schnelltests im Vordergrund. „Es ist uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass man sich regelmäßig auf sexuell übertragbare Infektionen testen lassen soll. Man geht zwar einmal im Jahr zum Zahnarzt, HIV-Tests werden aber leider noch immer nicht systematisch durchgeführt“, unterstreicht Anja Di Bartolomeo.

Auf die oftmals geäußerte Sorge vieler Gymnasien, wie denn die Eltern jüngerer Klassen auf die „Red-y“-Aktion reagieren werden, hat Gwendolyn eine Antwort parat: „Wenn man erst eine Infektion hat, dann bleibt das Problem bestehen, auch wenn man die Augen davor verschließt.“ Und genau diese Message will die Kampagne verbreiten, denn mehr Aufklärung bedeutet weniger Risiko – für alle.

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Drei Fragen an: Claudia Pedroso, HIV-Beraterin des Roten Kreuzes

Worin liegt die Schwierigkeit, insbesondere Jugendliche für einen bewussteren Umgang mit Geschlechtskrankheiten zu sensibilisieren?

Das Thema betrifft ja nicht nur Jugendliche, es kann jeden treffen. Was man aber sagen kann, ist, dass junge Menschen tendenziell nicht ans Sterben denken und auch dementsprechend anders damit umgehen. Sie sind viel spontaner in ihrem Handeln und das gilt auch für Sex. Wenn man mit ihnen über Schutz beim Geschlechtsverkehr redet, drehen sich ihre Fragen immer ums Schwangerwerden. Davor haben sie Angst. Sie denken nicht weiter, Geschlechtskrankheiten sind zu weit weg.
Allerdings sind sie unsere künftigen Erwachsenen und je früher sie sensibilisiert werden, desto besser. Der Reflex, sich testen zu lassen, soll einfach natürlich werden. Viele wissen allerdings nicht, wie sie mit ihrem Partner darüber reden sollen. Kommunikation spielt hier eine enorm wichtige Rolle. Denn wenn man lernt, in verschiedenen Situationen Nein zu sagen, wird man stärker – und das auch gegen HIV.

Was sind Klischees in Bezug auf HIV, die Sie immer wieder von Jugendlichen hören?

Oft kommt der Satz: Das hätte man ja gemerkt. Sie verwechseln HIV mit Krebs, denken, dass Betroffene die Haare verlieren oder ganz schmal werden. Auch sagen Jugendliche immer Aids und nicht HIV. Viele glauben, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, wenn sie sich infiziert haben. Die einen reden dann von Selbstmord, andere wollen noch all das tun, was sie schon immer machen wollten.

Auch denken viele, dass man sich bei Oral- oder Analsex nicht mit HIV infizieren kann, denn davon kann man ja auch nicht schwanger werden. Oder sie gehen davon aus, dass schon bei einfachem Knutschen oder dem gemeinsamen Gebrauch eines Rasierers ein Risiko besteht. Ich sage immer, dass es weniger schlimm ist, zu meinen, dass ein hohes Risiko einer Ansteckung besteht, wenn man den Rasierapparat mit einem Betroffenen teilt, als dass man die Ansteckungsgefahr bei Analsex nicht erkennt.

Mit welchen Krankheiten infizieren sich Jugendliche derzeit am häufigsten?

Vom „Planning familial“ wissen wir, dass Chlamydien bei jungen Mädchen wieder stark zugenommen haben. Wir vom Roten Kreuz machen in letzter Zeit vermehrt Präventionsarbeit gegen Syphilis bei Jungen, die mit anderen Jungen schlafen. Dann gibt es noch den Papillomavirus (HPV), dessen Verbreitung aufgrund von Impfungen in Zaum gehalten werden kann, der aber noch immer vielen Jugendlichen Angst bereitet, weil sie nicht richtig darüber informiert sind. Statistiken sind allerdings immer mit Vorsicht zu genießen. In den letzten Jahren ist die Zahl der Infizierungen mit HIV beispielsweise wieder gestiegen. Allerdings pochen wir seit 2013 sehr auf Tests – und je mehr Leute sich testen lassen, desto mehr Screenings gibt es natürlich auch.

Mein Leben mit HIV – Ein Erfahrungsbericht

Im Januar 2010 erhielt Stefan Osorio-König die Diagnose: Er ist HIV-positiv. Was für viele einen kleinen Weltuntergang bedeutet, sah Stefan von Anfang an „ganz relaxed“. Der Grund: Er war aufgeklärt. „Mein Wissensstand entsprach vor neun Jahren schon quasi dem, den ich heute habe. Ich wusste, dass durch eine Therapie meine Lebensqualität und -erwartung dieselbe sein würde wie die von HIV-negativen Personen und dass ich durch die Behandlung auch nicht mehr ansteckend für meine künftigen Sexualpartner sein würde“, sagt der heute 48-Jährige.

Bei wem er sich infiziert hat, weiß Stefan nicht. Hauptsache, er kann den Virus nicht an andere weitergeben, denn Sex mit Kondom ist nicht so sein Ding. Es mag zuerst erstaunen, wie offen der 48-Jährige mit seiner Krankheit umgeht. Oder besser gesagt: Infektion, denn im Fachjargon heißen Aids und Co. „sexually transmitted infections“ (STI), wie Stefan betont.

„Ich war von Tag eins an der Meinung, dass es keinen Grund gibt, nicht offen darüber zu reden“, meint der ehemalige Tageblatt-Wirtschaftsjournalist, der seinen damaligen Kollegen bei einem Redaktionsmeeting von seiner Infizierung berichtete. Das Coming-out fällt aber noch lange nicht jedem so leicht. „2.000 Jahre Sexualunterdrückung durch die katholische Kirche haben eben ihre Spuren hinterlassen“, sagt Stefan. Er selbst hat in den neun Jahren seiner Erkrankung keine negativen Erfahrungen gemacht, weiß aber von den Ängsten vieler anderer Betroffener.

Keine Angst vor Diskriminierung

„Viele fürchten sich vor Diskriminierung. Das habe ich nie erlebt, nicht bei der Arbeit, nicht im Sportsverein, nicht bei der Gewerkschaft, nicht in der Politik und auch nicht mit meinem Partner, den ich erst nach meinem Screening kennengelernt habe und der selbst HIV-negativ ist“, so der 48-Jährige. Seit 2010 engagiert er sich aktiv in der HIV-Beratung, erst in Luxemburg und nun in seiner Heimat bei der Deutschen Aids-Hilfe.

Eines seiner Spezialgebiete: Leben mit HIV heute. Wo vielen der älteren Generation noch Schockbilder des Filmklassiker „Philadelphia“ von 1993 vor Augen schwirren, kann Stefan Entwarnung geben: „Wenn sich die Leute erst mal bewusst werden, wie weit die Medizin heutzutage entwickelt ist, dann vergeht ihnen auch die Angst vor den Tests.“ Diese sind seiner Ansicht nach auch die eine Strategie, um sexuell übertragbare Infektionen in den Griff zu bekommen – denn anstecken tut nur, wer sich seiner eigenen Infektion nicht bewusst ist.

Stefan nimmt seit seinem Screening jeden Tag eine Pille, mittlerweile ein Generikum – also ein Nachahmerpräparat – eines Aids-Medikaments. Überzeugt ist der 48-Jährige auch von der „PrEP“, auch bekannt als „Pille davor“, welche seit 2017 in Luxemburg getestet wird und im Ausland bereits bahnbrechende Resultate vorzuweisen hat. Generell plädiert Stefan für mehr Entspanntheit beim Thema Sexualität: „Wir brauchen mehr öffentlichen und privaten Diskurs. Außerdem ist es wichtig, zu wissen, dass es gegen alle STIs entweder eine Impfung oder aber eine Therapie gibt. Die Leute sollen sich nicht verrückt machen lassen, denn der größte Feind der Vernunft ist Panik.“