Tageblatt: Wie bewerten Sie die jüngste Veranstaltung hier in Ramstein?
Steve Thull: Heute hat die achte Konferenz seit dem 16. April letzten Jahres stattgefunden – und aus meiner Sicht eine der wichtigsten, zusammen mit der ersten. Die erste, weil die Amerikaner es mit diesem ersten Meeting geschafft haben, eine Koordination der militärischen Hilfeleistungen aller interessierten Länder an die Adresse der Ukraine zu gewährleisten, um so deren Verteidigungsmöglichkeiten aufrechtzuerhalten. Es war auch eine wichtige Botschaft an die Adresse Russlands, dass viele Länder die aggressiven Kriegshandlungen
Russlands gegenüber einem friedfertigen Land missbilligen.
Die achte Ausgabe ist wichtig, da sie an einem entscheidendem Punkt stattfindet: Nach dem jetzt elf Monaten andauernden Krieg sind alle strapaziert, hinzu kommen die schweren Bedingungen der Wintermonate aufgrund des rauen Klimas. Wir befinden uns jetzt also in einer „eher ruhigen“ Phase. Diese Phase muss genutzt werden, um eine ukrainische Konter-Offensive vorzubereiten. Diese muss in die Tat umgesetzt werden, bevor die russischen Truppen dies auch tun können. Zu diesem Zweck sind jetzt zwei Fähigkeiten nötig: 1. Fähigkeiten zur Verteidigung des Luftraums, um die andauernden Angriffe Russlands aus der Luft abzuwehren. 2. Offensive Fähigkeiten (dazu gehören Panzer), um die eigentliche Konter-Offensive so schnell wie möglich ausführen zu können.
Viele Menschen sehen das Engagement aber eher skeptisch, haben Angst vor einer Eskalation.
Es gibt immer die Möglichkeit, dass etwas eskalieren kann – Putin droht bewusst damit. Wir haben jetzt fast ein Jahr Erfahrung in diesem Krieg. Da wurden viele Bedrohungskulissen aufgebaut, vom Gebrauch von Hyperschallwaffen bis zum möglichen Einsatz von Atomwaffen. Bei aller Vorsicht, nicht bewusst zu eskalieren, darf man sich Putins Drohungen aber auch nicht unterwerfen, da man sich sonst selbst seiner Handlungsunfähigkeiten beraubt – ein fataler Fehler. Schlussendlich ist das Liefern von Waffen an die Ukraine, ein Land, das brutal angegriffen wurde, über UN-Konvention abgesichert. Wird das Handeln Putins nicht gestoppt, haben wir langfristig ein nicht kleiner werdendes Sicherheitsproblem.
Was ist denn jetzt kurzfristig nötig?
Um die Wintermonate zu überbrücken, braucht es hauptsächlich Luftabwehr-Fähigkeiten. Die Raketen, die in die Ukraine geschossen werden, sind dazu gedacht, die Moral der Ukrainer anzuzapfen. So wurde viel von der Energieversorgung, die wichtig ist, um durch den Winter zu kommen, zerstört. Zudem ist die russische Luftwaffe bis jetzt wenig in Mitleidenschaft gezogen worden und besitzt deshalb über ein großes Zerstörungspotenzial. Später zur Gegenoffensive werden dann gepanzerte Fahrzeuge gebraucht. In diesem Kontext muss man auch die Frage um die Leopard-Lieferungen sehen.
Dass bisher keine Zusage in Sachen Leopard-Lieferungen erfolgt ist, ist kein großes Problem, weil deren Einsatz sowieso erst später wäre?
Nein, eine schnelle Lieferung ist schon eine wichtige Sache – denn die ukrainischen Soldaten müssen auch damit trainieren, um sie effektiv einzusetzen. Deshalb müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden, die wir nicht aufschieben können – ein Scheidepunkt eben. Deshalb hat der deutsche Verteidigungsminister Pistorius seinen Stab angewiesen, eine sofortige Bestandsaufnahme zu machen, damit, wenn auf höchster Ebene entschieden wurde, die Leopards gegebenfalls sofort geliefert werden können.
Was ist denn in nächster Zeit ein realistisches strategisches Ziel? Geht es darum, ukrainische Leben und Städte zu schützen und die Russen ein Stück zurückzudrängen – oder geht es tatsächlich darum, sie sogar wieder komplett aus der Ukraine zu vertreiben und also etwa auch die Krim zurückzuerobern?
Die Ziele werden von der Ukraine vorgegeben – und die kann sich niemals damit zufriedengeben, 110.000 Quadratkilometer aufzugeben. Das ist ein riesiges Gebiet, das muss man sich vor Augen führen! Strategisch gesehen muss ein Land, das frei war, auch frei bleiben. Putin hat bis jetzt keine Anstalten gemacht hat, irgendwie klein beizugeben. Das sieht man auch daran, dass er eine zweite Mobilmachung angekündigt hat, nachdem aus der ersten rund 250.000 Leute zusammengekommen sind. Wenn wir das Ganze langfristig
betrachten, ist das David gegen Goliath. Jetzt muss alles getan werden, damit dieser Krieg so schnell wie möglich aufhören kann.
Aber dann nicht vielleicht eher am Verhandlungstisch?
Natürlich am Verhandlungstisch! Es wurde noch nie ein Krieg mit dem letzten Schuss auf dem Schlachtfeld abgeschlossen.
Haben Sie da einen Best und Worst Case, auf was man sich da zeitlich einstellen muss, bis der Punkt erreicht ist?
Im schlimmsten Fall würden wir, die rund 50 Länder der „Ukraine Defense Contact Group“, nicht einsehen, die Ukraine weiterhin geschlossen so zu unterstützen, wie sie das braucht. Die Ukraine braucht eben auch, neben ihrem Kampfeswillen und ihrer militärischen Expertise, auch das Engagement, das von diesen 50 Ländern ausgeht. Glücklicherweise ist die Moral der Ukrainer weiterhin intakt. All dies hat Putin unterbewertet, sonst wäre er anders vorgegangen. Worst Case wäre demnach, wenn Putin mit seiner aggressiven Haltung durchkäme und sein Territorium weiter nach Westen rückte. Das täte der Sicherheitsarchitektur Europas nicht gut. Best-Case-Szenario wäre ein Sieg und die Rückeroberung aller unrechtmäßig eroberten Gebiete.
Sie sprachen eben von der zweiten Welle der Mobilmachung in Russland …
Die wurde von Putin groß angekündigt. Darum muss die ukrainische Gegenoffensive schnellstmöglich erfolgen.
Die Schlagkraft der Ukraine ist begrenzt. Ist die Gefahr nicht sehr groß, dass denen doch bald die Puste ausgeht?
Da sind wir wieder bei dem Punkt, dass man sie dringend unterstützen muss. Wir dürfen keine Zeit verlieren.
Gibt es aus Luxemburg neue Hilfen?
Wir werden unserer Linie von 2022 auch im Jahre 2023 treu bleiben. Luxemburg hat vor diesem Krieg noch nie Waffenlieferungen in irgendein Land getätigt. Aber gerade als kleines Land haben wir verstanden, dass man im Notfall nur überleben kann, wenn es andere gibt, die einen verteidigen – siehe Zweiter Weltkrieg. Die Ukrainer wurden brutal angegriffen. Dieser völkerrechtswidrige Angriff lässt sich durch nichts rechtfertigen.
Können Sie sagen, worin diese neuen Hilfen bestehen?
Nein, wir können und werden erst dann kommunizieren, wenn die „Hilfen“ angekommen sind.
Gab es denn unter dem, was 2022 geliefert wurde, etwas, das Sie besonders herausragend finden oder das sehr Luxemburg-spezifisch war?
Sowohl das Volumen als auch die Tatsache, dass Waffen geliefert wurden, sind ein Novum in
der Luxemburger Geschichte.
Neben diesem Material hat Luxemburg auch Daten geliefert …
Nein, wir haben Satellitenkapazität geliefert, um Datenübertragungen zu ermöglichen.
Würde Sie sagen, Luxemburg hat sogar mehr geliefert, als es seiner Größe entspricht?
Wir haben letztes Jahr fast 75 Millionen Euro in diese Hilfeleistungen investiert, das entspricht ungefähr 16 Prozent unserer Verteidigungsausgaben. Wenn man die 75 Millionen im Verhältnis zu den 650.000 Einwohnern setzt, ist das schon beeindruckend.
Die Zahlen wirken auch so bemerkenswert. So gab es fünfstellige Stückzahlen an Panzerabwehr-Granaten …
Das waren 12.500.
Wird die Ukraine jetzt zügig befähigt, einfliegende Raketen mit noch besserer Quote abzufangen?
Es ist eine Grundvoraussetzung, die Luftverteidigung so robust wie möglich aufzustellen. Unter anderem Deutschland hat ein Patriot-System zugesagt. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann wird es sehr schwer werden, eine Gegenoffensive zu starten.
Gibt es irgendwo Limits? Wie sieht die Auslastung der Luxemburger Armee aus?
Wir sprachen bisher über Finanzielles. Vom Militärpersonal her sind wir auch engagiert, nicht auf dem Territorium der Ukraine, aber im Rahmen der NATO und der Europäischen Union. In diesem Kontext stellen wir Mitte März eine Einheit in Rumänien. Und wir sind in der European Union Military Assistance Mission (EUMAM) engagiert. Zusätzlich sind wir in der eFP in Litauen vertreten. Dort haben wir unser Kontingent sofort nach Ausbruch des Krieges verstärkt und Mitte dieses Jahres werden wir noch weitere Militärs zusätzlich dorthin schicken. Diese Engagements sind für Luxemburger Verhältnisse beträchtlich.
Dass die Amerikaner ihrerseits keine Panzer liefern wollen, aus vor allem technischen Gründen, ist das für Sie nachvollziehbar?
Dazu möchte ich mich nicht äußern.
Sie haben um Einsicht geworben, sich zu engagieren – nicht nur aus Solidarität mit der Ukraine, sondern auch im Eigeninteresse. Haben Sie Sorge, dass die Bevölkerung das nicht so sieht und dass der entsprechende Rückhalt fehlt?
Wir sind ein sehr wohlhabendes Land – und das konnten wir nur dadurch werden, weil wir über Jahrzehnte eine friedliche Umgebung mit guten Nachbarschaftsbeziehungen hatten. Dies ist die Basis, um Wohlstand zu erreichen. Auf dieser Welt ist nichts selbstverständlich und deshalb muss man sich engagieren, den Frieden zu erhalten. Dazu gehören erwiesenerweise Streitkräfte, die einsatzfähig sind. Abschreckung ist die beste Versicherung gegen einen Angriff. Die Verteidigung muss auf soliden Füßen stehen – und dazu braucht sie regelmäßige und konsequente Investitionen. Unsere Sicherheit soll uns das wert sein.
Zum Beispiel in Deutschland hat man offenbar lange Zeit gedacht: Wir haben doch die NATO, wenn wir bedroht werden.
Ganz unabhängig von Deutschland ist dies ganz allgemein ein sehr interessanter Punkt. Im Artikel 3 des Nato-Vertrags steht, dass jedes Mitglied zunächst einmal dafür zu sorgen hat, dass es sich selbst verteidigen kann. Und wenn das nicht genügt, dann springt das Bündnis ein. Noch einmal im Allgemeinen: Wenn ich also egoistisch bin und alles auf die anderen Partnerstaaten auslagere, beweise ich keine Solidarität. Jeder muss nach seiner Stärke und Größe das Notwendige tun, um den Erhalt des Friedens zu gewährleisten.
Wird das nicht gerade gefährdet? Warnende Stimmen sagen, dass so viel in die Ukraine geschickt wird, dass den Geberländern selbst langsam die Fähigkeit zur Selbstverteidigung ausgeht.
Es ist besser, diesen Krieg so schnell wie möglich zu stoppen. Dazu müssen jetzt die nötigen Hilfeleistungen gebracht werden. Die ökonomische Kapazität der hier in Ramstein vertretenen Länder reicht aus, um die Fähigkeit zur Selbstverteidigung nicht zu verlieren.
Wie sehen Sie denn den Zufluss neuer Rekruten in der Luxemburger Armee?
Die Rekrutierung ist kein einfacher Prozess. Wir haben große Aufgaben von der NATO bekommen. Um diese ausführen zu können, brauchen wir motivierte und interessierte Menschen. Der Job des Militärs ist nicht einfach und sehr fordernd. Die Armee macht einem klar, dass es sich immer lohnt, sich für Grundwerte einzusetzen. Und es gibt nichts Schöneres für einen Soldaten, als von einer Auslandsmission zurückzukommen und zu sehen, dass er, weit von zu Hause weg, für ein Stück Frieden und die Erhaltung der Demokratie sorgen konnte.
Zu Demaart
Dieser Krieg wird nicht enden, solange Waffen , Dollars und Euros geliefert werden. Amerika und die Eu treiben diesen Krieg weiter um ihre Macht und Geldgier zu stillen.
Sehr clevere Feststellung und intelligente Aussage.
Zitat: "Und es gibt nichts Schöneres für einen Soldaten, als von einer Auslandsmission zurückzukommen und zu sehen, dass er, weit von zu Hause weg, für ein Stück Frieden und die Erhaltung der Demokratie sorgen konnte" Wieviele sind denn denn in einem Aluminiumsarg nach Hause gekommen? Umsonst ist nur der Tod...