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Interview„Auch faule Äpfel im Korb“: Neuer FGFC-Präsident nimmt kein Blatt vor den Mund

Interview / „Auch faule Äpfel im Korb“: Neuer FGFC-Präsident nimmt kein Blatt vor den Mund
Claude Reuter ist Präsident der Gewerkschaft für Gemeindepersonal FGFC Foto: Editpress/Alain Rischard

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Der Beruf des Gemeindebediensteten ist mit vielen Vorurteilen behaftet. Zu Unrecht, meint der Präsident der Gewerkschaft FGFC, Claude Reuter. Trotzdem sei es wahr, dass es ein paar „faule Äpfel im Korb“ gibt. Im Tageblatt-Interview erzählt er, wie seine Gewerkschaft gegen die Vorurteile und die problematischen Mitarbeiter vorgehen will.

Tageblatt: Herr Reuter, Sie sind seit Oktober Präsident der FGFC. Was macht Ihre Gewerkschaft?

Claude Reuter: Wir kümmern uns um das Gemeindepersonal – ganz egal, welches Statut oder Regime. Wir wollen den Berufsstand fördern, weil es eine noble Sache ist. Verschiedene Sachen könnten natürlich besser laufen – und darum wollen wir uns kümmern.

Die FGFC

Die Gewerkschaft „Fédération générale de la fonction communale“ (FGFC) wurde 1912 gegründet und vertritt das Personal von Gemeinden und interkommunalen Syndikaten. Mittlerweile zählt die FGFC rund 5.000 Mitglieder und 55 Delegationen.

Was genau könnte besser laufen?

Zum einen setzen wir uns für einen einheitlichen, sektoriellen kommunalen Kollektivvertrag ein. Zum anderen ist da die Hierarchie. Alle sechs oder fünf Jahre wird ein neuer Politiker gewählt und dann bekommen wir Verantwortliche, die sich in vielen Dossiers nicht auskennen. Das ist kein Vorwurf, aber dann ist es schwierig, mit dem Personal auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wir müssen anfangen, mehr miteinander zu reden, den Sozialdialog sauberer führen. Was kannst du für das Gemeindepersonal machen, wenn du das Problem des Politikers nicht kennst?

Wie hat sich der Sektor in den vergangenen Jahren verändert?

Die Gemeinden müssen immer mehr Aufgaben übernehmen. „Maisons relais“, Umweltthemen, Studien, Urbanismus, Flüchtlinge – das kommt alles bei den Kommunen an. Die Arbeit wird immer komplexer. Das allein zu meistern – vor allem für kleine Gemeinden –, ist ein großes Problem. Ein Projekt, das vor vier Jahren noch 40 Millionen Euro gekostet hat, kann heute 80 kosten. Die infrastrukturellen Projekte bringen die Gemeinden teilweise an ihr Limit – vor allem, wenn du keine Industriezone hast. Hinzu kommen dann noch die gestiegenen Personalkosten.

Alle paar Jahre wird ein neuer Politiker gewählt und dann bekommen wir Verantwortliche, die sich in vielen Dossiers nicht auskennen

Claude Reuter, Präsident der FGFC

Viele Sektoren haben Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Wie ist es für die Gemeinden?

Es wird auch in unserem Sektor immer schwieriger, also kann es nicht nur am Gehalt liegen. Das, was wir benötigen, lernt man nicht in der Schule. Dann muss man selbst ausbilden, und dafür haben wir momentan keine Struktur. Es gibt Formationen, aber keine Ausbildung. Das „Institut national d’administration publique“ (INAP) müsste eigentlich zur Berufsschule werden.

Und wie ist es bei den Handwerkern?

Handwerker selbst auszubilden, ist schwierig. Anstatt dass sie bei einem Privatbetrieb ausgebildet werden und dann weglaufen, müssten wir sie vorher einstellen und selbst ausbilden. Ich denke, das müsste machbar sein. Wir benötigen einen gesunden Mix aus Handwerkern mit Meisterschein und Lehrlingen.

Aus anderen Sektoren wird deswegen öfter der Vorwurf laut, dass Staat und Gemeinden dem Privatsektor Personal wegnehmen.

Ich habe die ledige Diskussion satt, dass ein Sektor dem anderen Personal wegnimmt. Ja, je nach Kollektivvertrag ist es wesentlich interessanter, im Gemeindesektor zu arbeiten. Es gibt aber auch Verträge, da ist das nicht der Fall. Auch im Privatsektor gibt es mittlerweile gute Gehälter.

Da wir momentan von Vorwürfen reden: „Gemeindearbeiter sind faul“. Wie bewerten Sie dieses Vorurteil?

Sektoren gegeneinander ausspielen, ist nicht gesund. In jedem Bereich kommt es vor, dass jemand versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Aber unsere Leute verdienen auch Anerkennung. Ich kenne beispielsweise kein Land, in dem man den Personalausweis so schnell bekommt wie in Luxemburg. Ja, sie sitzen zum Teil in einem goldenen Käfig, aber es kann nicht sein, dass nur auf unseren Sektor draufgehauen wird. Das muss aufhören.

Das heißt, das Vorurteil ist unbegründet?

Es ist wahr, dass wir faule Äpfel im Korb haben. Ich finde es beispielsweise sehr schlimm, dass wir in verschiedenen Diensten viele Fehlstunden und Krankenscheine haben. Für Leute, die das ausnutzen, habe ich überhaupt kein Verständnis – und die FGFC auch nicht. Wenn jemand, der wirklich krank ist, durch dieses Verhalten schief angeschaut oder unter Druck gesetzt wird, gibt es dafür keine Entschuldigung. Auch bei der FGFC nicht – diese Leute müssen sich eine andere Vertretung suchen. Beim Disziplinarrecht müssen Anpassungen kommen. Darüber muss gesprochen werden, um unseren Sektor noch fitter machen. Wir haben viele Leute, die eine gute Arbeit leisten, aber die gehen wegen der permanenten Klischees unter. „Im privaten Sektor verdienst du nichts und im öffentlichen alles.“ Das ist so klischeehaft und falsch, wie es nur geht. Das muss aufhören, und wir wollen ein Teil der Lösung sein. Dass das Dellen gibt, ist klar, und dass es nicht immer klappen wird, auch. Das wird auch bei uns intern zu Diskussionen führen. Trotzdem werden wir uns dem stellen, weil wir der Überzeugung sind, dass es der richtige Weg ist.

Was kann man denn dagegen tun?

Es wäre an der Zeit, Klartext zu reden. Man sollte einmal mit den Personaldelegationen saubere Regeln aufstellen und danach anständig miteinander umgehen. Das ist das, was die FGFC fördern will. Ich bin ein Freund der Nullstellung. Man sagt also: Heute ist Freitag, jeder fängt ab Montag bei Null an. Und dann muss jeder die Spielregeln einhalten. Es bringt nichts, darüber zu diskutieren, wer in der Vergangenheit was gemacht hat.

Wie könnten diese Spielregeln aussehen?

Wir sollten uns eigentlich einen Verhaltenskodex geben. Wir haben zwar Grundregeln, aber die täglichen, anwendbaren Regeln, die definieren, wie wir damit umgehen, fehlen noch. Das muss jede Gemeinde mit ihrer Personaldelegation entwickeln. Wenn es diese Regeln gibt, dann kann man überprüfen, ob sie eingehalten werden.

Welche Rolle spielt die FGFC dabei?

Wir arbeiten sehr eng mit den Personaldelegationen zusammen und bilden sie auch fort. Wenn eine Gemeinde keine Delegation hat, müssen wir individuell mit den Leuten arbeiten. Wir wären froh, wenn wir in jeder Gemeinde einen Delegierten hätten. Ab 15 Mitarbeiter musst du eine Delegation haben, unter 15 ist sie fakultativ. Wenn eine Kommune beispielsweise nur acht Angestellte hat, dann könnte der – bereits obligatorische – „délégué à l’égalité“ auch automatisch die Funktion des Personaldelegierten übernehmen. Wir benötigen einen Ansprechpartner, der uns wirklich sagen kann, wie die Situation ist.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der FGFC vor?

Seit Oktober gibt es jetzt die neue Mannschaft. Wenn du Änderungen haben willst, musst du zuerst bei dir selbst anfangen. Deswegen hat die FGFC sich jetzt reformiert. Wir haben die Struktur verschlankt und noch transparenter gemacht. Das verkürzt Prozesse und schafft Vertrauen. Wir wollen mehr kommunizieren, öfter für unsere Leute da sein und auch mehr mit der Politik reden. Das ist vielleicht manchmal nicht einfach, aber es funktioniert nur miteinander. Wir müssen beiden Seiten zuhören und dann mit der Personaldelegation schauen, wie wir das zusammenführen. Der ewige Streit und das Sich-in-der-Presse-Zerfleischen bringt nichts. Wir bleiben selbstverständlich eine Gewerkschaft. Wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind, dann kann man noch immer auf die Straße gehen. Aber das soll die letzte Lösung sein.

Wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind, dann kann man noch immer auf die Straße gehen

Claude Reuter, Präsident der FGFC