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GroßbritannienAsylbewerber bewohnen einen Lastkahn in einem englischen Hafen

Großbritannien / Asylbewerber bewohnen einen Lastkahn in einem englischen Hafen
Die schwimmende Unterkunft „Bibby Stockholm“ (l.) für Asylbewerber im Hafen von Portland  Foto: AFP/Ben Stansall

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Nach langer Verzögerung haben am Montag die ersten Geflüchteten ihre neue Unterkunft auf einem Lastkahn im Ärmelkanal bezogen.

Am Morgen kamen zunächst rund 50 Männer in den südenglischen Hafen von Portland (Grafschaft Dorset) und gingen an Bord der „Bibby Stockholm“; in den kommenden Tagen sollen weitere folgen. Empfangen wurden die Asylbewerber sowohl von Protesten örtlicher Bevölkerungsgruppen als auch von einer Begrüßungsabordnung britischer Hilfsgruppen.

Der spärlich bevölkerte Kalksteinfelsen Portland ist mit der nahen Stadt Weymouth durch einen Damm verbunden. Das Wohnschiff war im Juli aus dem westenglischen Falmouth in die malerische Hafenbucht geschleppt worden, wo 2012 die olympischen Segelwettbewerbe beheimatet waren. Die 222 Kabinen dienten zuvor bereits als Unterkunft für Arbeiter in der Öl- und Gasförderung. Zu Beginn der 1990er Jahre war die „Bibby Stockholm“ im Hamburger Hafen befestigt, wo ebenfalls Asylbewerber sowie Obdachlose untergebracht wurden.

Den Plänen des Innenministeriums zufolge sollen nun aber bis zu 506 Alleinstehende zwischen 18 und 65 Jahren auf dem Kahn untergebracht werden. Der örtlichen Lokalregierung zahlt London Geld für Sprachkurse, ein Krankenpfleger soll direkt an Bord die grundlegende Gesundheitsversorgung sichern. Neben einem Fitness-Studio gibt es auch einen Gebetsraum.

Die Kabinen wurden mit Doppelstockbetten ausgerüstet, zudem einige Gemeinschaftsräume zu Kabinen umgebaut. Deshalb hatten die örtliche Gesundheitsbehörde und die Gewerkschaft der Feuerwehr FBU Bedenken angemeldet. Letztere erklärte Vizepremier Oliver Dowden schon deshalb für irrelevant, weil die FBU „Geld an die Labour Party“ überweise.

Suche nach weiteren Unterkünften

Ohnehin wischen Sprecher der konservativen Regierung von Premier Rishi Sunak alle Einwände gegen die drakonische Asylpolitik beiseite. „Die Bevölkerung hat die Krise im Ärmelkanal satt, der Regierung geht es ebenso“, teilte Innen-Staatssekretärin Sarah Dines der BBC mit. Von dieser Woche an gelten nun für Vermieter und Arbeitgeber noch strengere Regeln, was die Unterbringung und die Beschäftigung illegaler Einwanderer betrifft. Wer die entsprechenden Papiere nicht gründlich genug prüft, muss mit Geldstrafen von 60.000 Pfund (69.650 Euro) rechnen.

Das notorisch inkompetente Innenministerium sucht seit Monaten händeringend nach angemessener Unterkunft für Asylbewerber. Gut 160.000 Menschen haben teils schon vor Jahren einen Antrag auf Asyl gestellt, das System wird mit der Abwicklung nicht fertig. Die Unterbringung in Pensionen und Hotels kostet die Regierung täglich Millionen, die Immobilienbesitzer verdienen sich auf Staatskosten eine goldene Nase. Frühere Kasernen auf stillgelegten Stützpunkten der Royal Air Force mussten wegen hygienisch katastrophaler Zustände geschlossen werden oder sehen sich, wie RAF Wethersfield (Grafschaft Essex), mit massiven Protesten der Anwohner konfrontiert.

Sollten sich die Wogen rund um die Bibby Stockholm legen, hofft die Regierung auf weitere Anlegemöglichkeiten für vergleichbare Asylschiffe. Allerdings erhielt sie von Hafenbehörden an den Mündungen der Themse, des Mersey-Flusses bei Liverpool sowie in der schottischen Hauptstadt Edinburgh bisher nur Abfuhren.

Noch kein Flüchtling nach Ruanda abgeschoben

Ein drakonisches neues Gesetz sieht vor, dass „illegal“ per Lastwagen oder Schlauchboot auf die Insel Gekommene zukünftig grundsätzlich ihr Asylrecht verwirkt haben. Sie sollen interniert und abgeschoben werden. Als Zielland ist das 7.000 Kilometer entfernte Ruanda im Herzen Afrikas vorgesehen. Dort sollen die überwiegend alleinreisenden jungen Männer Aufnahme und ein Asylverfahren erhalten, die Rückkehr ins Königreich wäre ausgeschlossen. London hat der wegen Menschenrechtsverletzungen umstrittenen Regierung von Präsident Paul Kagame bisher bereits mindestens 140 Millionen Pfund (162,5 Millionen Euro) bezahlt, ohne dass ein einziger Flüchtling in Kigali gelandet wäre.

Das liegt an einer Entscheidung durch das Londoner Appellationsgericht. Mit 2:1-Mehrheit gaben die Richter dem Einwand von Asyl-Organisationen gegen die geplanten Abschiebungen statt. Ruanda verfüge über kein funktionierendes Asyl-System, lautete die Argumentation. Als Beweis wurde die Tatsache ins Feld geführt, dass binnen zwölf Monaten kein einziges Asylbegehren positiv beschieden wurde. Die Regierung hat nun den Supreme Court angerufen, dessen Urteil erst im neuen Jahr erwartet wird.

Britischen Presseberichten zufolge ist nun auch die zu den Resten des britischen Kolonialreiches zählende Ascension Island, auf Deutsch Himmelfahrtsinsel, wieder als Internierungslager im Gespräch. Außer etwa 900 permanenten Bewohnern verfügt die Vulkaninsel im Südatlantik auch über mehrere Hundert Betten in einer Militärunterkunft sowie über einen nach mehrjähriger Reparatur wieder funktionstüchtigen Flugplatz. Allerdings gibt es kein Spital sowie nur begrenzt Strom und Frischwasser. Staatssekretärin Dines mochte das Himmelfahrts-Planspiel nicht bestätigen. Die von London ebenfalls als Auffangstaaten ins Spiel gebrachten Länder Albanien und Ghana haben das britische Anliegen brüsk zurückgewiesen.