Die Wahl des Vorsitzenden der Unionsfraktion hat gezeigt, dass der Bundeskanzlerin die Kontrolle entglitten ist. Es könnte der Anfang vom Ende sein.
Von unserem Korrespondenten Hagen Strauß
Ob sie sich in diesen aufwühlenden Tagen manchmal daran erinnert, wie alles begann? Wie sie als schmächtige Frau mit Kurzhaarschnitt, Jeansrock und Strickjacke in einer alten Hütte auf Rügen inmitten von bärtigen, wortkargen Fischern saß? Als sie früh morgens schon fünf oder sechs Schnäpse trinken musste? Ostweinbrand, versteht sich. Merkels erster Solotanz als Politikerin in einer rauen Männerwelt. Eine Begegnung der seltsamen Art war das, die da am 2. November 1990 stattfand. Sie markiert den Beginn einer steilen Karriere, die sich nun schneller als geplant dem Ende nähern könnte.
Angela Dorothea Merkel, geborene Kasner, ist damals 36 Jahre jung, politisch ein Küken. Der Besuch in der Fischerhütte ist gleichsam die Geburt der Kämpferin Merkel, festgehalten in einem irritierend schönen Foto. Seitdem sind 28 Jahre vergangen. Merkel wurde Ministerin und CDU-Generalsekretärin, sie kippte den Übervater Helmut Kohl vom Sockel. Dann wurde sie CDU-Chefin und 2005 erste Bundeskanzlerin. Die Spuren der Macht sieht man in ihrem Gesicht verewigt. Jeden Morgen lässt Merkel sie im Kanzleramt mit einer Art Schutzpanzer verbergen. Als sie am Dienstagabend den Reichstag verlässt und in ihre Limousine steigt, ist die Maske gefallen.
Müde und blasse Frau
Man sieht eine müde, blasse Frau mit Augenringen, 64 Jahre alt, die soeben eine schwere Niederlage erlitten hat. Die schwerste überhaupt in 13 Jahren Kanzlerschaft. Die Unionsfraktion hat ihr die Gefolgschaft verweigert und «ihren» Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder gestürzt. Merkels Mann fürs Grobe, dem es in der Euro- und Griechenlandkrise noch gelang, der Kanzlerin die Mehrheiten zu sichern, wenn auch manchmal knapp. Aus und vorbei. Kauder ist von den Abgeordneten vom Hof gejagt worden – und die Kanzlerin symbolartig mit.
Sie hockt auf dem Rücksitz ihres Wagens, schaut in ihr Handy. So zu tun, als ob nichts gewesen wäre, kann sie wie keine andere. Auch am Morgen nach dem Desaster, als das Bundeskabinett zusammenkommt, lässt sie sich nichts anmerken. Weiter, immer weiter. Aber Merkel kennt die Presselage, weiß, was in den Zeitungen und Online-Medien steht: «Kann Merkel noch Kanzlerin?» wird ketzerisch gefragt. «Die Unionsfraktion stellt die Machtfrage». Sie hat gelesen, wie die Schmach unisono kommentiert wird: «Merkels Macht erodiert» oder «Das Ende der Ära ist in Sicht». Angela Merkel, hat einmal eine Vertraute gesagt, «mag Macht. Und sie mag es auch, unterschätzt zu werden, weil das der beste Weg ist, Macht zu festigen.» Nun scheint sie ihr zu entgleiten.
Wie konnte es nur so weit kommen? Ein politisch katastrophales Jahr liegt hinter ihr, in dem viel Autorität zerbröselt ist. Die Bundestagswahl vor zwölf Monaten war für die Union ein Debakel, wirklich aufgearbeitet wurde das Ergebnis nicht. Sie wüsste nicht, was sie hätte anders machen sollen, sagt Merkel am Tag danach. Auch nicht in ihrer Flüchtlingspolitik. Bis heute herrscht darüber Kopfschütteln in den eigenen Reihen. Merkel verspricht der Union einen personellen Neuanfang, sie macht Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin. Die «Mini-Merkel», wie in Berlin gespottet wird. Und sie holt, nachdem sie «Jamaika» nicht hinbekommen und sich in die Große Koalition geflüchtet hat, ihren internen Widersacher Jens Spahn als Gesundheitsminister ins Kabinett. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Die Unruhe wächst, aber sie wird in der Regierungszentrale ignoriert.
Großes Misstrauen
CSU-Chef Horst Seehofer wird auch noch Innenminister. Was sich zunächst wie ein Coup anmutet, weil der schärfste Merkel-Kritiker damit eingebunden werden soll in die Kabinettsdisziplin, entpuppt sich rasch als fatal. Seehofer betreibt auch im neuen Amt Politik, die sich gegen die Kanzlerin richtet. Es folgen zwei Regierungskrisen um die Flüchtlingspolitik und den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, in der Merkel kraftlos agiert. Sie entschuldigt sich. Das hat es noch nie gegeben. Merkels Schwäche macht die Aufmüpfigen in der Fraktion stark. «Da hat sich viel aufgestaut», sagt einer aus ihrem Umfeld. Kauder wird abgewählt.
«Führung» ist die Eigenschaft, die mit Angela Merkel so gar nicht verbunden wird. Von ihrem Lehrmeister Helmut Kohl hat sie zwar die auch nervende Detailversessenheit übernommen, genauso das große Misstrauen, das sie hegt. Aber eben nicht seine Führungsqualitäten. Merkel hat sich durch ihre drei Kanzlerschaften moderiert, sie wartet lange, bis sie sich entscheidet. In Zeiten, in denen die Krisen Schlag auf Schlag kommen, «ist das zu wenig», so einer aus der Union.
Entsprechend lange hat sie auch mit sich gerungen, noch einmal als Spitzenkandidatin der CDU in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Sie hat viel darüber nachgedacht. Vielleicht bereut sie es heute sogar. «Vier volle Jahre» werde sie machen, so ihr Versprechen. Beim CDU-Parteitag im Dezember wird sich zeigen, ob sie es tatsächlich noch einhalten kann.
Merkel ist am Ende und sieht es nicht ein. Kein Wunder, wenn man so lange an der Macht ist. Da verliert man auf die Dauer den Sinn für die Realität. Keiner ihrer Berater und Mitarbeiter wagt es der Kanzlerin zu widersprechen oder sie auf etwaige Fehler aufmerksam zu machen. Im Gegenteil, von einer Schar von Heuchlern , Schmeichlern und Karrieristen umgeben, bekommt das Regierungs-resp Staatsoberhaupt nur das zu hören, was ihm gefällt oder sein Ego nur noch zusätzlich aufplustert . Viele Spitzenpolitiker verpassen den richtigen Zeitpunkt sich zurückzuziehen und haben ' aus Absicht, keinen Nachfolger aufgebaut, der ihnen eventuell hätte gefährlich werden können. Umso überraschter sind sie, wenn die Stunde geschlagen hat. Das haben sie nicht kommen sehen, darauf waren sie nicht gefasst.