Headlines

Judenverfolgung in LuxemburgAm 84. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ wird ein Shoah-Gedenkweg eröffnet

Judenverfolgung in Luxemburg / Am 84. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ wird ein Shoah-Gedenkweg eröffnet
Der Bildhauer Shelomo Selinger erklärt die Symbolik seines Werkes am Tag der Einweihung des Kaddisch im Juni 2018 Foto: Bob Goerens

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zum 84. Jahrestag des Beginns der flächendeckenden gewaltvollen Judenverfolgung im Deutschen Reich, auch bekannt als Novemberpogrome oder „Reichskristallnacht“, wird in der Stadt Luxemburg ein Shoah-Gedenkweg in acht Stationen eröffnet.

Die Initiative geht von der hauptstädtischen Vereinigung MemoShoah Luxembourg Asbl. aus. Der Gedenkweg ist ab heute, dem 9. November 2022, auf der Plattform izi.TRAVEL in den Sprachen Luxemburgisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Portugiesisch verfügbar. Ein Audioguide begleitet den Besucher wahlweise in einer dieser Sprachen. Text und Klang werden mit authentischen Fotos und in einigen Fällen mit kurzen Videos illustriert. MemoShoah möchte mit dieser Initiative einen bleibenden Beitrag zur Wissensvermittlung über die Shoah in Luxemburg leisten. Die Vereinigung wurde bei ihrem Vorhaben durch das Luxembourg City Tourist Office, das Kulturzentrum neimënster und das „Consistoire israélite du Luxembourg“ unterstützt.

In den kommenden Monaten wird eine pädagogische Unterrichtsmappe für Sekundarschulklassen ausgearbeitet und den Schulen zur Verfügung gestellt. Damit soll Lehrkräften die Möglichkeit gegeben werden, den Gedenkweg autonom mit ihrer jeweiligen Klasse zu beschreiten.

Nachfolgend werden die acht Stationen des Gedenkwegs beschrieben. Die Tour startet in der Glashalle des Hauptbahnhofs vor der Gedenktafel, die an die 658 jüdischen Personen erinnert, die direkt von Luxemburg aus in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Der Weg führt an bekannten und weniger bekannten Orten vorbei, die eine Schlüsselrolle in Bezug auf die Shoah in Luxemburg einnahmen und endet vor dem Kaddisch-Denkmal, das sich auf dem Platz vor dem früheren Kloster Sainte-Sophie am Boulevard Roosevelt befindet.

1. Hauptbahnhof – Deportationen

Von den fast 4.000 jüdischen Einwohnern Luxemburgs zu Kriegsbeginn lebten in Luxemburg zu Kriegsende nur noch etwa 60 in sogenannten „Mischehen“. Am 10. Mai 1940, dem Tag des deutschen Einmarschs, flohen bereits einige hundert jüdische Familien nach Frankreich und Belgien. Als im September 1940 die Rassengesetze eingeführt sowie andere antijüdischen Maßnahmen erlassen wurden, lebten noch etwa 1.800 jüdische Personen in Luxemburg. Nun begannen die Abschiebungen, Auswanderungen und ab dem 16. Oktober 1941 die Deportationen nach Osten in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Insgesamt wurden 658 Personen jüdischer Herkunft direkt von Luxemburg in den Osten deportiert. 44 von ihnen überlebten die Shoah, was einer Überlebensquote von 7 Prozent entspricht.

Die erste Deportation fand am 16. und 17. Oktober 1941 statt. Insgesamt 323 jüdische Personen wurden im Zuge dieser ersten Deportation in das Ghetto Litzmannstadt deportiert. Die Deportierten mussten die Fahrkarte nach Litzmannstadt (von Hitler umbenannte polnische Stadt Lodz) aus eigener Tasche bezahlen. Für das pünktliche Erscheinen am Hauptbahnhof machte die Gestapo das jüdische Konsistorium verantwortlich. Dieses bezahlte Busse, die die Deportierten zum Hauptbahnhof brachten. Am Hauptbahnhof selbst war alles abgesperrt. Nach dem letzten Erkenntnisstand wurden noch 190 jüdische Personen aus dem Raum Trier-Bernkastel nach Luxemburg gebracht und der Luxemburger Gruppe angeschlossen. Nach 14 Stunden verließ der Sondertransport dritter Klasse gegen 1.00 Uhr nachts am 17. Oktober den Hauptbahnhof. Der Zug erreichte Litzmannstadt am darauffolgenden Tag mit 513 Personen. Von den 323 Luxemburger Jüdinnen und Juden überlebten nur 11 die Shoah.

Die zweite Deportation nach Izbica bei Lublin im besetzen Polen fand am 23. April 1942 statt. Die Deportierten wurden zunächst nach Trier und dann nach Stuttgart gebracht, wo sie Teil eines größeren Transports wurden. Die Luxemburger Deportierten erreichten Izbica am 29. April 1942. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden sie Mitte Mai 1942 in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt. Keiner dieser 24 Deportierten überlebte die Shoah.

Die dritte Deportation folgte am 12. Juli 1942. Die 24 jüdischen Deportierten wurden wahrscheinlich über Chemnitz ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert. Keiner dieser 24 Deportierten überlebte die Shoah.

Hauptbahnhof der Stadt Luxemburg im Jahr 1940
Hauptbahnhof der Stadt Luxemburg im Jahr 1940 Foto: R. Glaesener/Photothèque VdL

Die vierte Deportation erfolgte zwei Wochen später am 26. Juli 1942. Die 24 jüdischen Deportierten wurden zunächst nach Trier, dann nach Köln und schlussendlich nach Theresienstadt gebracht. Von den 24 Deportierten überlebten zwei Frauen.

Die fünfte und zweitgrößte der insgesamt sieben Deportationen nach Osten fand am 28. Juli 1942 statt, nur zwei Tage nach der vierten Deportation. Der Zug startete im sogenannten „jüdischen Altersheim“ in Fünfbrunnen im Norden Luxemburgs mit insgesamt 77 älteren Personen. In Luxemburg-Stadt stiegen die übrigen Deportierten hinzu. Unter ihnen befanden sich 27 schwerkranke Personen aus verschiedenen Krankenhäusern sowie fünf Heiminsassen aus der Heilanstalt in Ettelbrück. Der Zug bestand aus Viehwagen, die mit Matratzen, Stroh und Decken ausgestattet waren. Unter den Deportierten befand sich auch der damals 80-jährige Kunstmaler Guido Oppenheim. Der Zug erreichte das Ghetto Theresienstadt am 30. Juli 1942. Von den 156 deportierten Personen überlebten nur neun die Shoah. Von den 147 Opfern starben 73 Personen in Theresienstadt, die übrigen wurden in Vernichtungslager deportiert.

Die sechste Deportation erfolgte am 6. und 7. April 1943 von Luxemburg nach Theresienstadt. Die Deportierten wurden im Sammellager Fünfbrunnen in fünf Güterwagen gepfercht. Alte und Kranke mussten in die Güterwagen hineingetragen werden. Der Transport erreichte nach einer regelrechten Irrfahrt von drei Tagen und vier Nächten das Ghetto Theresienstadt. Bei der Ankunft sollen bereits mehrere Personen tot gewesen sein. Mit diesem Transport wurde Fünfbrunnen de facto aufgelöst. Von den 97 Deportierten überlebten insgesamt 20 Personen.

Die siebte und letzte Deportation erfolgte am 17. Juni 1943 von Luxemburg nach Theresienstadt und teilweise nach Auschwitz-Birkenau. Von den zehn Deportierten überlebten nur zwei Personen.

Insgesamt geht man von mehr als 1.300 jüdischen Opfern aus, die beim deutschen Einmarsch in Luxemburg lebten und durch das Nazi-Regime ermordet wurden. Diejenigen, die nicht aus Luxemburg deportiert wurden, wurden in vielen Fällen auf ihrer Flucht nach Frankreich und Belgien von der deutschen Besatzungsmacht oder den örtlichen Polizeibehörden aufgegriffen und in die Vernichtungslager deportiert.

Gedenktafel in der Glashalle des Hauptbahnhofs
Gedenktafel in der Glashalle des Hauptbahnhofs  Foto: Bob Goerens

2. ARBED-Gebäude: ehemaliger Sitz der NS-Zivilverwaltung

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 wurde Luxemburg zunächst unter deutsche Militärverwaltung gestellt. Diese wurde im August 1940 durch eine deutsche Zivilverwaltung abgelöst. Gustav Simon, Gauleiter des Gaus Koblenz-Trier – welcher ab 1941 in Gau Moselland umbenannt wurde und Luxemburg umfasste –, wurde am 21. Juli 1940 zum Chef der Zivilverwaltung (CdZ) in Luxemburg ernannt. Es war Simons Aufgabe, die Luxemburger in die deutsche Volksgemeinschaft zu integrieren, Luxemburg vollständig zu germanisieren und alles Französische auszulöschen. Die Institutionen des souveränen Staates Luxemburg wurden aufgelöst. Als überzeugter Antisemit und Nationalsozialist wollte Simon Luxemburg so schnell wie möglich „judenfrei“ machen.

Der Sitz der Zivilverwaltung befand sich bis zur Befreiung Luxemburgs durch die Alliierten am 10. September 1944 im Nordflügel des Verwaltungsgebäudes des Stahlkonzerns Arbed. Bereits mit Wirkung zum 6. September 1940 führte Simon in Luxemburg die Nürnberger Rassengesetze ein und verordnete die ersten Maßnahmen in Bezug auf das jüdische Vermögen („Arisierung“). Konform zu den in Deutschland bereits seit 1935 geltenden Nürnberger Gesetzen wurden Eheschließungen zwischen jüdischen Personen und Staatsangehörigen „deutschen oder artverwandten Blutes“ strengstens verboten.

Es kamen immer neue antijüdische Maßnahmen hinzu. So wurden jüdische Personen aus allen öffentlichen Ämtern sowie aus allen liberalen Berufen ausgeschlossen. Betriebe mussten jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fristlos entlassen. Am 4. September 1941 wurden 97 jüdische Personen zur Zwangsarbeit verpflichtet (Steinbruch von Nennig, Firma Paul Wurth, Bau der Eifeler Autobahn).  Das Vermögen jüdischer Personen wurde eingefroren, Geschäfte und Unternehmen in jüdischem Besitz wurden beschlagnahmt. Von den insgesamt 423 beschlagnahmten Unternehmen befanden sich allein rund 250 in Luxemburg-Stadt, viele davon in der heutigen Grand-Rue und der Rue Philippe II.

Arbed-Gebäude: Hauptsitz des Chefs der deutschen Zivilverwaltung
Arbed-Gebäude: Hauptsitz des Chefs der deutschen Zivilverwaltung Foto: Photothèque de la Ville de Luxembourg

Mit Wirkung zum 1. November 1940 war es jüdischen Kindern untersagt, eine öffentliche Schule zu besuchen. Ab dem 1. August 1941 war es jüdischen Personen verboten, die Straße in der Zeit zwischen 19.00 und 7.00 Uhr zu betreten. Ihnen wurde der Besuch von Gaststätten, Kinos, Theatern, öffentlichen Veranstaltungen, Sportplätzen und Schwimmbädern verboten. Sie mussten sich in der Öffentlichkeit durch eine gelbe Armbinde am linken Arm kennzeichnen. Im Oktober 1941 folgte das Verbot, einen nicht-jüdischen Friseursalon zu besuchen und Straßenbahn zu fahren. Zudem durften jüdische Personen nur zwischen 14.00 und 16.00 Uhr ihre Einkäufe erledigen oder erledigen lassen.

Im Herbst 1941 wurde eine weitere antijüdische Verordnung erlassen: Jüdische Personen durften ab diesem Zeitpunkt ihre Wohngemeinde nicht mehr ohne schriftliche polizeiliche Erlaubnis verlassen. Mit Wirkung zum 17. Oktober 1941 mussten jüdische Personen ab sechs Jahren einen angenähten Judenstern in der Öffentlichkeit tragen. Zusätzlich zu den formalen Verordnungen wurden dem jüdischen Konsistorium – ab 15. April 1942 „Ältestenrat der Juden“ genannt – willkürlich immer neue Zwangsmaßnahmen mitgeteilt. Im Frühjahr 1941 wurde der Abriss der Synagogen in Luxemburg-Stadt und Esch-Alzette angeordnet. Im November 1941 gab das Konsistorium auf Anordnung der Gestapo bekannt, dass es jüdischen Personen verboten sei, freundschaftliche Verhältnisse zu nicht-jüdischen Personen zu pflegen oder sich auf der Straße mit ihnen zu unterhalten. Verstöße gegen diese Bestimmungen führten zur Einweisung in ein KZ für alle Beteiligten. Außerdem mussten Jüdinnen und Juden den zusätzlichen Vornamen „Sara“ beziehungsweise „Israel“ annehmen.

Im Winter 1941/42 mussten jüdische Personen u.a. folgende Gegenstände abgeben: Fotoapparate, Filme, Ferngläser, Schreibmaschinen, Fahrräder, Grammophone, alle elektrischen Geräte, Essbesteck aus echtem Silber, alle Wertgegenstände, warme Kleidungsstücke wie Pelzwaren, Wollschals, wollene Unterwäsche, Handschuhe, Ohrenschützer sowie alte Textilartikel und Altkleider. Diese Maßnahme führte dazu, dass viele jüdische Personen nicht mehr über genügend warme Kleidung verfügten, um sich vor Kälte zu schützen. Im Frühjahr 1942 durften jüdische Personen keine öffentliche Telefonkabine benutzen sowie Zeitungen beziehen oder Haustiere besitzen. Jüdische Wohnungen mussten mit einem Judenstern sichtbar gekennzeichnet werden.

3. Ehemalige jüdische Schule

Zu Beginn des Schuljahres 1940/41 wurden sämtliche Schulen des Landes dazu aufgefordert, Listen mit Namen jüdischer Schülerinnen und Schüler zu erstellen. Ab dem 1. November 1940 wurden jüdische Schülerinnen und Schüler vom Unterricht an den öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Allerdings ordnete der Chef der Zivilverwaltung eine Schulpflicht für jüdische Kinder im Alter von 6-16 Jahren an einer jüdischen Volksschule an.

Infolge eines Mangels an Lehrpersonal konnte das Konsistorium der israelitischen Kultusgemeinde Luxemburg nur eine solche Schule gründen und betreiben. Diese befand sich im Hause Petrusring 74 (heute 72, boulevard de la Pétrusse), ein Gebäude, das von der Kultusgemeinde vor dem Krieg als kulturelles Zentrum und Bethaus für Emigranten aus dem Osten benutzt wurde und den Namen „Beth Am Ivri“ trug – was „Haus des Volkes Israel“ bedeutet. Hier wurden drei Klassenräume eingerichtet. Anfangs besuchten zwischen 80 und 100 Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 14 Jahren die jüdische Schule. Unterrichtet wurde in gemischten Zweijahrgangsklassen.

Der Alltag der Kinder war durch eine hohe Fluktuation in der Schulpopulation, durch Ausweisungen, Emigration und Flucht geprägt.  Die Mittel der Schule waren knapp: Lehrermangel, Materialmangel und bürokratische Hürden erschwerten die Lernbedingungen. Da die antijüdischen Maßnahmen es Jüdinnen und Juden verboten, zwischen 19.00 und 7.00 Uhr öffentliche Plätze, Straßen und Wege zu betreten, mussten zum Beispiel Sondergenehmigungen beantragt werden, damit sich sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte zu Unterrichtsbeginn in der Schule einfinden konnten. Bemerkenswert ist der Lehrplan der Schule: Im Gegensatz zu den öffentlichen Schulen in Luxemburg, an denen Französischunterricht verboten war, wurde hier Französisch ab der 3. Klasse und Englisch ab der 6. Klasse unterrichtet. Diese Entscheidung wurde vor allem in Hinblick auf die drohende Emigration gerechtfertigt.

Die jüdische Schule wurde am Petrusring untergebracht
Die jüdische Schule wurde am Petrusring untergebracht Foto: Tony Krier/Photothèque de la Ville de Luxembourg

Die Leitung der Schule übernahm der Physiker, Mathematiker und Lehrer Dr. Ernst Ising. Ising war nach den Ereignissen der Reichspogromnacht am 9. November 1938 von Caputh bei Potsdam, wo er das jüdische Kinder- und Landschulheim geleitet hatte, nach Luxemburg geflohen. Als Mischehepartner überlebte er die Shoah.

Am 6. Oktober 1941 wurde die jüdische Schule nach knapp 10 Monaten geschlossen. Auslöser dieser Schließung waren die beginnenden Deportationen nach Osten: Am 16. Oktober 1941 fand der größte Transport luxemburgischer Jüdinnen und Juden ins Ghetto Litzmannstadt statt. Unter den insgesamt 323 Deportierten befanden sich auch die an der jüdischen Schule lehrenden Hugo Friedmann, Bernard Herrmann und Lily Gelber. Nur elf dieser 323 Deportierten überlebten die Shoah. Nach der ersten Deportation verblieben nur etwa zwölf ehemalige Schülerinnen und Schüler der jüdischen Schule in Luxemburg, die vom Lehrer und Schulleiter Dr. Ernst Ising weiterhin im Haus Petrusring 74 unterrichtet wurden. Ab August 1942 unterrichtete er die letzten drei Kinder in dem sogenannten jüdischen Altersheim in Fünfbrunnen im Norden Luxemburgs.

4. Villa Pauly: ehemaliger Sitz der Gestapo

Die Villa Pauly wurde 1923 vom Luxemburger Chirurgen Norbert Pauly erbaut und diente ihm ursprünglich als Wohnhaus und Praxis. Als die deutschen Truppen am 10. Mai 1940 Luxemburg besetzten, befand sich Dr. Pauly gerade im Urlaub in Südfrankreich. Bei seiner Rückkehr im Spätsommer erfuhr er, dass sein Haus von der Gestapo – der „Geheimen Staatspolizei“ – beschlagnahmt wurde. Widerwillig musste er mit dieser einen Mietvertrag unterzeichnen. Neben dem Hauptsitz in der Villa Pauly gab es zur Zeit der Besatzung noch zwei Außenstellen der Gestapo in Esch-Alzette und Diekirch.

Die Villa Pauly wurde zum Symbol des Naziterrors in Luxemburg: Von hier aus wurden jene Personen verhört und oft auch gefoltert, die des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus verdächtigt wurden. Die Kellergewölbe der Villa wurden für Verhöre und Folter genutzt. Hier befanden sich zur Zeit der nationalsozialistischen Okkupation auch einige Gefängniszellen, die nach dem Krieg jedoch nicht erhalten wurden. Überlebende berichteten, dass sie kopfüber an Heizungsrohren aufgehängt oder mit einem Ochsenziemer geschlagen wurden. Nach einem ersten gewaltsamen Verhör hatten viele Gefangene Schwierigkeiten, die Stufen aus dem Keller in die oberen Etagen der Villa zu bewältigen, was ihnen Fußtritte und weitere Misshandlungen einbrachte. Rund 1.500 Personen, die man des Widerstands gegen den Nationalsozialismus verdächtigte, wurden von der Gestapo in das SS Sonderlager Hinzert bei Trier verschleppt.

In der Villa Pauly wurden auch die Erfassung und Deportation der in Luxemburg lebenden Jüdinnen und Juden organisiert. Am 12. September 1940 wurde dem Oberrabbiner Dr. Serebrenik mitgeteilt, dass alle jüdischen Personen Luxemburg bis zum 26. September verlassen sollten. Dieser Befehl löste eine Panikreaktion innerhalb der jüdischen Bevölkerung aus. Das jüdische Konsistorium bat daraufhin um mehr Zeit und bot im Gegenzug seine Mitarbeit an.

Die Deutschen Besatzer Luxemburgs beim Verlassen der Villa Pauly
Die Deutschen Besatzer Luxemburgs beim Verlassen der Villa Pauly Foto: Tony Krier/Photothèque de la Ville de Luxembourg

Bei der Gestapo war der Kriminalsekretär Otto Schmalz für die Deportation der Juden verantwortlich, gleichzeitig war er auch der Kontaktmann zum jüdischen Konsistorium. Mitglieder des jüdischen Konsistoriums mussten regelmäßig in der Villa Pauly vorstellig werden, um Befehle bezüglich der Organisation der jüdischen Deportationen zu erhalten. Nach der ersten Deportation am 16. und 17. Oktober 1941 ließ Gauleiter Gustav Simon in der Presse verkünden, Luxemburg sei nun „judenrein“ – tatsächlich verließen aber noch sechs weitere Deportationszüge Luxemburg.

Die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Luxemburger mit der jüdischen Bevölkerung war gering, beziehungsweise kaum vorhanden: Eine Handvoll jüdische Personen waren zeitweilig bei Luxemburger Familien versteckt. Einer der Gründe hierfür war sicherlich auch ein vor allem religiös motivierter Antisemitismus, der damals in Luxemburg herrschte, sowie der Mangel an Kontakt zwischen der luxemburgischen und jüdischen Bevölkerung. 

In der Villa Pauly wurden ebenfalls repressive Maßnahmen gegen andere Minderheiten ergriffen – wie Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Fahrende und sogenannte „Asoziale“.

Nach dem Krieg wurden insgesamt 16 Mitglieder der Gestapo in Luxemburg als Kriegsverbrecher angeklagt und vor dem Gerichtshof in Luxemburg-Stadt verurteilt.

Die Villa Pauly wurde nach dem Krieg zunächst vom Luxemburger Staat gemietet und als Dienststelle für verschiedene Ministerien (Gesundheit, Arbeit und Soziales) genutzt. Im März 1960 wird der Luxemburger Staat schließlich Eigentümer der Villa Pauly und stellt das Gebäude ab 1989 unter Denkmalschutz.

Heute befindet sich in der Villa Pauly, 57, boulevard de la Pétrusse, der Sitz des im Jahre 2016 per Gesetz gegründeten „Comité pour la mémoire de la Deuxième Guerre mondiale“, ein paritätisches beratendes Gremium, in dem zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die jüdischen Holocaust-Opfer neben den zwei anderen großen Opfergruppen Luxemburgs – den Opfern des Widerstands (Resistenz) und der Zwangsrekrutierung – gleichwertig vertreten sind. In der Villa Pauly befindet sich heute ebenfalls der Sitz der „Fondation nationale de la résistance“ (FONARES) und der „Fondation luxembourgeoise pour la mémoire de la Shoah“.

5. Zerstörte Synagoge

Die erste, nach den Vertreibungen der vergangenen Jahrhunderte erbaute Synagoge Luxemburgs wurde 1823 eingeweiht und befand sich in der Nähe des 2018 eingeweihten Shoah-Denkmals „Kaddisch“. Sie wurde von der im Jahr 1894 eröffneten, viel größeren Synagoge in der Nähe des Aldringerplatzes gegenüber des Casinogebäudes in der Rue Notre-Dame abgelöst.

Die im Jahr 1894 eröffnete Synagoge wurde auf Anordnung der nationalsozialistischen Besatzungsmacht von August bis Oktober 1941 abgerissen. Zuvor war sie mehrmals das Ziel antisemitischer Übergriffe. Bereits vor dem Einmarsch der deutschen Truppen im Mai 1940 war das Gebäude im September 1938 mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert worden. Zu Anfang der Besatzungszeit wurden die Scheiben der Synagoge mehrfach zerstört. Dies führte dazu, dass sogar Wehrmachtssoldaten die Synagoge während einiger Wochen bewachen mussten.

Nachdem am 28. Februar 1941 eine versuchte Brandstiftung durch Unbekannte misslang, wurde die Synagoge während eines Gottesdienstes am 9. Mai 1941 von Mitgliedern des Stoßtrupps der Volksdeutschen Bewegung – eine luxemburgische nationalsozialistische Vereinigung – gestürmt. Ein Angriff eine Woche später auf offener Straße auf den Rabbiner Dr. Serebrenik durch lokale Nationalsozialisten wurde von den Deutschen zum Anlass genommen, die Synagoge endgültig abreißen zu lassen.

November 2018: Einweihung der Gedenktafel am Standort der großen Synagoge, die auf Anordnung des Nazi-Okkupanten zwischen Ende August und Ende Oktober 1941 abgerissen wurde 
November 2018: Einweihung der Gedenktafel am Standort der großen Synagoge, die auf Anordnung des Nazi-Okkupanten zwischen Ende August und Ende Oktober 1941 abgerissen wurde  Foto: Bob Goerens

Die Suche nach einem Unternehmen, das mit den Abrissarbeiten beauftragt werden konnte, erwies sich zunächst etwas schwieriger als gedacht. Schließlich kam es zu einem Angebot der Fa. Lucius, das mit 21.000 Reichsmark das günstigste von zwei Angeboten war. Im Herbst 1941 waren die Abrissarbeiten weitgehend beendet. Die übriggebliebenen Steine sollen noch mehrere Jahre auf dem Grundstück gelegen haben, was zur falschen Annahme führte, der Abriss habe sich von 1941 bis 1943 gezogen.

Die neue Synagoge von Luxemburg-Stadt befindet sich in der Avenue Monterey (Nummer 45) und wurde 1953 eingeweiht.

6. Der Luxemburger Emigrationshelfer

Albert Nussbaum wurde am 4. Februar 1898 in Monneren in der Nähe von Thionville geboren. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie nach Differdingen, eine Kleinstadt im Süden Luxemburgs, wo sein Vater Gustave Nussbaum ein Textilgeschäft eröffnete. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1929 zog die Familie nach Luxemburg-Stadt, wo Albert Nussbaum das zweite Bekleidungsgeschäft seines Vaters namens „Palais de l’habillement“ übernahm. Das Geschäft befand sich in der Krautmarkt-Straße 13 (rue du Marché-aux-Herbes). Im Jahr 1935 nahm Nussbaum die luxemburgische Staatsangehörigkeit an. Außerdem engagierte er sich im jüdischen Konsistorium.

Als Präsident des Konsistoriums und in seiner Rolle als Schatzmeister der ESRA, des jüdischen Hilfskomitees des Konsistoriums, stand Nussbaum in regem Austausch mit der luxemburgischen Verwaltungskommission. Die Verwaltungskommission war nach dem deutschen Einmarsch ins Leben gerufen worden und bestand aus hohen luxemburgischen Beamten. Sie diente der Besatzungsmacht während der ersten sechs Monate unter anderem als Ansprechpartner. Die Verwaltungskommission hat sich insbesondere darum bemüht, den Jüdinnen und Juden zu helfen, das Land zu verlassen. In diesem Zusammenhang war Nussbaum ein wichtiger Vermittler. Er entwickelte sich zu einem regelrechten Organisator der Auswanderung. Dabei entstand ab Juli 1940 der Plan, die jüdische Auswanderung derjenigen, die im Besitz eines Visums waren, nach Nord- oder Südamerika über Portugal zu organisieren. Ab August 1940 begleitete Nussbaum mehrere Auswanderungsgruppen von Luxemburg nach Portugal.

In Lissabon nahm Nussbaum Kontakt zur Luxemburger Exilregierung sowie dem American Jewish Joint Distribution Committee auf – einer Hilfsorganisation US-amerikanischer Jüdinnen und Juden – und der HICEM, einer jüdischen Hilfsorganisation, die ab Mitte 1940 ein Büro in Lissabon hatte und europäischen Jüdinnen und Juden bei der Auswanderung half. Er nahm außerdem Kontakt zu verschiedenen Botschaften auf, um Auskunft über die Auswanderungsmöglichkeiten nach Südamerika, in die Dominikanische Republik, nach Afrika und Palästina zu erhalten. Nussbaum war anfänglich in der Lage, die jüdischen Auswanderungszüge von Luxemburg nach Lissabon zu begleiten.

Ab Ende 1940 verschärfte sich die Lage für Nussbaum und er konnte aus Sicherheitsgründen nicht mehr nach Luxemburg zurückkehren. Er setzte daraufhin seine Arbeit von Lissabon aus fort, bis er schließlich selbst nach Übersee auswandern musste, zunächst nach Santo Domingo und im Mai 1942 in die USA. Insgesamt konnten vor allem dank seines Einsatzes und seines effizienten Netzwerks sowie seiner Beziehungen zur Luxemburger Exilregierung über tausend Jüdinnen und Juden aus Luxemburg gerettet werden.

Innenausstattung der ersten Synagoge Luxemburgs, gemalt vom späteren Shoah-Opfer Guido Oppenheim
Innenausstattung der ersten Synagoge Luxemburgs, gemalt vom späteren Shoah-Opfer Guido Oppenheim Bild: Guido Oppenheim

7. Die Synagoge von 1823

Im Jahre 1821 erwarb die jüdische Gemeinschaft in Luxemburg-Stadt ein Haus in der Rue du Séminaire, in dem die erste Synagoge des Großherzogtums Luxemburg entstand. 1823 fand die Einweihung der Synagoge statt, die unter der Leitung Pinhas Godchaux’ stand und etwa 100 Sitzplätze zählte.

Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 führte zu einer starken jüdischen Einwanderungswelle und die Synagoge erwies sich bald als zu klein. Bereits 1876 wurden erste Schritte zum Bau einer neuen Synagoge unternommen, aber es dauerte bis 1893, bis der Grundstein der neuen Synagoge in der Rue Notre-Dame gelegt wurde. Die Synagoge von 1823 war bis 1894 in Betrieb. Von ihr erhalten geblieben ist nur ein Gemälde des Kunstmalers und späteren Shoah-Opfers Guido Oppenheim, welches die Innenausstattung der ersten Synagoge darstellt und Anfang der 1890er Jahre entstand. Das Gebäude verschwand im Zuge des Ausbaus der Schule und des Mädchenpensionats „Sainte-Sophie“.

Eine Gedenktafel in unmittelbarer Nähe des in der Rue de la Congrégation gelegenen „Hôtel de Bourgogne“ – langjähriger Sitz des luxemburgischen Premierministers – erinnert an diese Synagoge und damit an das Wiederbeleben jüdischen Lebens in Luxemburg. Das einige Meter entfernt im Jahre 2018 errichtete Kaddisch-Denkmal erinnert an die Auslöschung jüdischen Lebens in Luxemburg durch NS-Deutschland. 

8. Kaddisch-Denkmal

Das Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Shoah wurde am 17. Juni 2018 eingeweiht, 75 Jahre nach der letzten Deportation Luxemburger Jüdinnen und Juden nach Osten. Es erinnert an die Verfolgung, Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden, die in Luxemburg lebten oder in den späten 1930er Jahren vor der nationalsozialistischen Diktatur nach Luxemburg flüchteten. Außerdem erinnert es an die aus Frankreich und Belgien nach Auschwitz deportierten Jüdinnen und Juden und diejenigen, die im französischen und belgischen Widerstand gegen NS-Deutschland gefallen sind. Der Standort des Denkmals befindet sich in der Nähe des Standortes der Synagoge von 1823.

Die Skulptur aus grau-rosa Granit wurde vom franko-israelischen Künstler Shelomo Selinger entworfen und hergestellt. Der 1928 in Polen geborene Selinger hat neun Konzentrationslager und zwei Todesmärsche überlebt. Über seine Skulptur äußert sich der Künstler folgendermaßen: „Kaddisch ist ein jüdisches Gebet für die Toten, in dem aber kein einziges Wort über den Tod fällt. Ich bin ein laizistischer Mensch, ein ehemaliger Deportierter, Sohn eines Vaters und einer Mutter, die von den Nazis ermordet wurden, genau wie meine kleine Schwester, meine ganze Familie und mein ganzes Volk. Ich habe zuvor noch nie ein Kaddisch-Gebet gesprochen und anhand dieser mir anvertrauten Steine konnte ich mein Kaddisch-Gebet mit Meißel und Hammer in den Granit schlagen. Zwei Jahre lang betete ich, obwohl ich Laizist bin und nicht an die Existenz Gottes glaube.“ (Woxx, 21. Juni 2018)

Das Kaddisch-Denkmal zur Erinnerung an alle jüdischen Shoah-Opfer Luxemburgs am Tag der Einweihung am 17. Juni 2018
Das Kaddisch-Denkmal zur Erinnerung an alle jüdischen Shoah-Opfer Luxemburgs am Tag der Einweihung am 17. Juni 2018 Foto: Bob Goerens

Praktische Hinweise

Personen, die den Gedenkweg beschreiten möchten, sollten sich die kostenlose izi.TRAVEL-App auf ihr Smartphone herunterladen und die mit der Suchfunktion der App den Titel des Gedenkwegs „Shoah-Gedenkweg in der Stadt Luxemburg“ eingeben. Rechts oben unter den drei Punkten der App kann die für die Tour gewünschte Sprache eingestellt werden. Das anschließende Aktivieren der Standortbestimmung erleichtert das Erreichen der verschiedenen Gedenkstationen, ist aber nicht zwingend notwendig für Ortskundige.

Quellen: Beiträge von Paul Dostert, Germaine Goetzinger, Mil Lorang, Claude Marx und Renée Wagener.

Robert Hottua
9. November 2022 - 19.28

Die luxemburgische Geschichtsforschung
"Nichts gegen die Juden als solche ... "
Von Tanja Muller, 2011, forum
Das "Judenproblem" im Luxemburger Wort und in der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert
Tanja MULLER arbeitet zurzeit an ihrer Doktorarbeit an der Universität Trier über den katholischen Antisemitismus in Luxemburg im 19. und 20. Jahrhundert.
In der luxemburgischen Geschichtsforschung liegt der Schwerpunkt der Erforschung des Antisemitismus in Luxemburg fast ausschliesslich auf der Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges. Der Antisemitismus, wie er beispielsweise im 'Luxemburger Wort' und damit in der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert zutage trat, blieb bislang fast weitgehend unbeachtet.
In seiner Dissertation von 1998 hatte Lucien BLAU zwar auf den bereits im 19. Jahrhundert im 'Luxemburger Wort' vorhandenen Antisemitismus hingewiesen, berücksichtigte bei seiner Analyse aber bloß zwei Artikel, "Die Gefährlichkeit der Juden" vom 4. Januar 1888 und "Die Juden, die Könige unserer Zeit" vom 5. Januar 1888. (...)
Die von BLAU vorgenommene Einschränkung auf diese aus dem 19. Jahrhundert stammenden Artikel, sowie die ebenfalls bescheidene Anzahl von Artikeln aus dem 20. Jahrhundert wurde von André GROSBUSCH kritisiert. Diese Kritik ist insofern berechtigt, da bei BLAU durchaus der Eindruck entstehen konnte, als sei der Antisemitismus im 'Luxemburger Wort' nur eine Randerscheinung gewesen.
Dass dies keineswegs der Fall war, belegen die weit über tausend Zeitungsartikel, die in dem Zeitraum von 1848 bis 1900 das Thema Juden aufgriffen und behandelten. (...)
Die aus zeitlichen Gründen noch nicht abgeschlossene Ausforstung des 'Luxemburger Wort' ergab bisher, dass in dem Zeitraum von 1849 bis 1880 zumindest zweimal pro Woche ein antisemitischer Artikel veröffentlicht wurde, wobei der ab 1873 stockende wirtschaftliche Aufschwung in Europa eine willkommene Gelegenheit bot, den Juden die Schuld an dieser Krise zuzuschreiben und einen populistischen Antisemitismus zu verbreiten, der dann im Jahre 1888 in den von BLAU erwähnten zwei Artikeln seinen Höhepunkt erreichte.
Daß der katholische Antisemitismus in der einheimischen Historiografie bisher fast völlig unberücksichtigt blieb, ist zum einen zu einem gewissen Teil einer Einstellung geschuldet, die Vergangenes vergangen sein lässt, um nicht einen öffentlichen Diskurs zu provozieren. Zum anderen entlastet es die nationalen Geschichtskonsruktionen, wenn der Antisemitismus als nationalsozialistischer Import gedeutet wird, der angeblich an keine vorgängigen antisemitischen Traditionen in Luxemburg anknüpfen konnte. (...)
Die Aufforderung von Andreas NIEDERMAYER beherzigend, "der Klerus" sollte "die Presse als einen Alles in Bewegung setzenden Hebel mit Meisterschaft handhaben", nutzte die katholische Kirche durch das 'Luxemburger Wort' die Gelegenheit, eine ebenso unerbittliche Hetzkampagne gegen alles zu starten, was auch nur im Entferntesten mit der Bezeichnung 'Jude' zu tun hatte. (...)
Die permanenten Hasstiraden des 'Luxemburger Wort' veranlassten die jüdische Zeitung 'Der Israelit' aus Mainz zu der Bemerkung, die "klerikale und ultramontane" Zeitung sei "im Allgemeinen als nicht sehr wählerisch in seinen Kampfmitteln bekannt", weshalb man "dieses Blatt nicht sehr ernst nehmen kann." Obwohl die judenfeindlichen Artikel des 'Luxemburger Wort' nach Auffassung der 'Allgemeinen Zeitung des Judenthums' allerhöchstens "sehr beschränkte Leser" beeindruckt haben dürfte, war die von diesen antisemitischen Artikeln ausgehende Gefahr dennoch nicht zu unterschätzen. Da dem 'Luxemburger Wort' "das Wohl des Bürgers und Bauern am Herzen" lag, bediente es mit einem bewusst naiv gehaltenen Schreibstil die Denkweise des von ihm anvisierten Publikums. (...)
Auffallend ist die stets sarkastische, oft zutiefst diffamierende Darstellung der Juden, wobei nicht einmal davor zurückgeschreckt wurde, die Juden mit Tieren zu vergleichen. (...)
Diese Beispiele zeigen deutlich einen von der katholischen Kirche und ihrem publizistischen Sprachrohr getragenen Antisemitismus. Dieser kann somit nicht erst als Erscheinung des 20. Jahrhunderts gelten. (...)
Unverständlich bleibt, dass sich von Seiten jüdischer Autoren wie Charles und Graziella LEHRMANN, oder neuerdings Laurent MOYSE niemand ernsthaft mit der Judenfeindlichkeit des 'Luxemburger Wort' auseinandergesetzt hat.
▪ Literatur:
1) Olaf Blaschke: "Die Anatomie des katholischen Antisemitismus - Eine Einladung zum internationalen Vergleich", in: Olaf Blaschke/Aram Mattioli (Hg): "Katholischer Antisemitismus im 19. Jahrhundert – Ursachen und Traditionen im internationalen Vergleich", Zürich 2000.
2) Lucien Blau: "Histoire de l'extrême-droite au Grand-Duché de Luxembourg au XX siècle, Luxemburg 1998.
(Tanja Muller, Forum Nr. 312, September 2011)
MfG
Robert Hottua