Die EU-Kommission hat wie erwartet die Fusion Siemens-Alstom untersagt. Deutschland und Frankreich wollen nun das Wettbewerbsrecht entrümpeln – um China die Stirn zu bieten.
Von Eric Bonse
Zwischen Deutschland, Frankreich und der EU-Kommission bahnt sich massiver Streit um die Industrie- und Wettbewerbspolitik an. Die Brüsseler Behörde hatte gestern wie erwartet die vom deutschen Mischkonzern Siemens angestrebte Übernahme des französischen TGV-Herstellers Alstom untersagt. Nun fordern Deutschlands Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire eine Reform des europäischen Wettbewerbsrechts.
Altmaier und Le Maire hatten sich für die Fusion starkgemacht und vor unfairer Konkurrenz aus China gewarnt. Durch den Zusammenschluss werde ein «europäischer Champion» entstehen, der dem chinesischen Staatsunternehmen CRRC Paroli bieten könne, so Le Maire. Doch Wettbewerbskommissarin Vestager kam bei ihrer Prüfung zu einem ganz anderen Ergebnis. China sei nicht das Problem, sagte sie.
Natürlich habe man sich bei der umstrittenen Entscheidung auch den chinesischen Markt angeschaut, so Vestager. «Und zwar nicht abstrakt, sondern ganz konkret.» Das Ergebnis passt nicht zu den Kassandrarufen aus Paris und Berlin: Der chinesische Hersteller von Schnellzügen mache 90 Prozent seines Geschäfts in China, so die Kommissarin. Nur zehn Prozent entfallen demnach auf andere Märkte.
«Kein Vorstoß von China»
Von einer globalen Strategie der Chinesen könne im Bahnsektor also keine Rede sein, so Vestager. Zudem habe sich noch kein chinesisches Unternehmen an europäischen Ausschreibungen beteiligt. «In der absehbaren Zukunft zeichnet sich auch kein chinesischer Vorstoß auf den europäischen Markt ab», schloss die streitbare Dänin – und gab den Schwarzen Peter an Paris und Berlin zurück.
Statt nun das EU-Wettbewerbsrecht zu reformieren, um die Schaffung von «europäischen Champions» zu ermöglichen, sollten Deutsche und Franzosen endlich für eine vernünftige Forschungs- und Industriepolitik sorgen. Bei ihrer Entscheidung gegen den «Airbus der Schiene» habe sie nicht nur an Deutschland und Frankreich, sondern auch an die übrigen 26 EU-Staaten gedacht – und an die Verbraucher.
Nach Ansicht der Brüsseler Wettbewerbshüter würde die Fusion zu einer marktbeherrschenden Stellung von Siemens-Alstom und zu höheren Preisen im Bahnverkehr führen. Vor allem bei den Hochgeschwindigkeitszügen (TGV und ICE) sowie bei der Signaltechnik seien beide Konzerne schon jetzt sehr stark. Die Fusion hätte «einen dominanten Akteur» geschaffen und den Wettbewerb verzerrt.
«Überholte Regeln»
Paris und Berlin wollen sich mit dem Nein aus Brüssel jedoch nicht abfinden. Das Fusionsverbot schwäche Europa und diene «den wirtschaftlichen und industriellen Interessen Chinas», warnte Le Maire. Wie zuvor schon CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach sich auch Le Maire für eine Reform des EU-Wettbewerbsrechts aus. Die «überholten Regeln» müssten «neu geschrieben werden».
Ähnlich äußerte sich Altmaier. «Es ist wichtig, dass Europa sich so aufstellt, dass wir unsere Interessen mit Aussicht auf Erfolg in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb in anderen Ländern weltweit vertreten können», erklärte er. Der chinesische Staatskonzern sei mit einem Umsatz von 30 Milliarden Euro etwa doppelt so groß wie Siemens und Alstom zusammen, heißt es in Berlin.
Der Streit geht weiter
Altmaier und Le Maire wollen demnächst Reform-Vorschläge vorlegen. Der Streit geht also weiter, er könnte sogar zum Thema im Europa-Wahlkampf werden. Darauf deuten auch die ersten Reaktionen aus dem Europaparlament. Die EU-Kommission habe ein «böses Eigentor» geschossen, sagte der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. Die Verantwortung liege allerdings nicht allein in Brüssel.
Auch die EU-Mitgliedsländer, die jetzt laut klagen, hätten «fest geschlafen, als es darum ging, das Wettbewerbsrecht zu modernisieren», kritisierte Bütikofer. Die EU dürfe nicht länger nur auf den europäischen Markt schauen, sondern müsse global denken und handeln.
Auf die Europawahl im Mai und die nächste EU-Kommission setzt auch Siemens-Chef Joe Kaeser. Die nächsten Monate böten eine «einmalige Chance, ein Europa der Zukunft zu bauen, das es mit einer modernen, gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik mit den Besten in der Welt aufnehmen kann». Zunächst habe Brüssel aber «einen Schlusspunkt hinter ein europäisches Leuchtturmprojekt» gesetzt, klagte Kaeser. Einen zweiten Anlauf werde es wohl nicht geben.
Vun der EU-Komiisioun ass nach nëtt vill Gescheites eraus komm.