Impfpflicht ade – oder doch nicht? Luxemburgs fünfköpfige Expertengruppe hat am Regierungsrat am Freitag teilgenommen und hat dort mit den Politikern über ihren Bericht gesprochen und letzte ungeklärte Fragen beantwortet. Der Regierungsrat sieht zu diesem Zeitpunkt von einer Impfpflicht ab, denn die Proportionalität der Maßnahme sei ihrer Ansicht nach nicht gegeben. Das heißt jedoch nicht, dass die Impfpflicht komplett vom Tisch ist – sie soll vielmehr zur Seite gelegt worden und kann bei Bedarf wieder hervorgekramt werden. Darum soll auch, als Präventivmaßnahme für den Herbst, ein Gesetzestext so weit vorbereitet werden, dass im Ernstfall auf diesen zurückgegriffen und er schnellstmöglich gestimmt werden kann. Das Tageblatt hat bei Martine Hansen (CSV), Sven Clement (Piraten), Fernand Kartheiser (ADR), Gilles Baum (DP), Yves Cruchten (LSAP), Josée Lorsché („déi gréng“) und Gilbert Pregno, dem Präsidenten der Menschenrechtskommission, nachgefragt, wie sie zur Impfpflicht stehen und was sie von der Schlussfolgerung des Regierungsrats halten.
Martine Hansen (CSV)
Martine Hansen, Fraktionsvorsitzende der CSV, befürwortet die Einschätzung des Regierungsrates grundsätzlich. Die CSV halte die Einführung einer Impfpflicht zu diesem Zeitpunkt, mit den momentan verfügbaren Impfstoffen und der derzeit in Luxemburg zirkulierenden Virus-Variante für nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig, da die Impfstoffe derzeit keinen ausreichenden Schutz vor der Übertragung des Virus bieten würden. Als die CSV im Dezember die Impfpflicht gefordert hatte, sei die Lage noch eine ganz andere gewesen.
Allerdings: „Wir brauchen einen Gesetzestext, damit wir bereit sind, wenn die Lage sich ändert“, meint Hansen. Über dessen genauen Inhalt müsse allerdings noch debattiert werden. Die CSV warte zudem immer noch auf „das Pandemie-Gesetz, das wir seit 2019 fordern, damit schnell Maßnahmen ergriffen werden können – wie zum Beispiel die Wiedereinführung der Maskenpflicht“, sagt Hansen. Die Chamber arbeite zwar relativ schnell, sei aber dennoch nicht reaktiv genug.
Die CSV bemängele auch, dass weder das Expertengremium noch die Regierung Vorschläge für jene Menschen gemacht hätten, die sich nicht impfen lassen können. „Auch wenn es nicht viele sind, brauchen wir auch für sie eine Lösung“, sagt Hansen. Es wäre ein großer Fehler, diese Menschen zu ignorieren.
Sven Clement (Piraten)
Der Piratenabgeordnete Sven Clement sieht die Entscheidung des Regierungsrats allerdings etwas kritischer und bezeichnet die neusten Entwicklungen als „Weltmeisterschaft im Zurückrudern“. Noch im Januar hätten sich mehrere Parteien für eine Impfpflicht (oder eine eingeschränkte) ausgesprochen, hätten sich dann aber hinter der Forderung nach einem wissenschaftlichen Gutachten versteckt – um dieses dann schlussendlich doch zu ignorieren.
Nun befinde sich das Parlament laut Clement wieder am Ausgangspunkt, nämlich, dass es sich bei der Einführung der Impfpflicht um eine politische Entscheidung handelt. Die Piraten hätten sich von Anfang an gegen eine Impfpflicht ausgesprochen, auf Freiwilligkeit gesetzt und eine bessere Informationskampagne gefordert.
Clement kritisiert auch die Grundidee des vorgefertigten Gesetzestextes, der schon zum Teil durchgewunken werden soll, ohne überhaupt über eine Begründungsschrift oder eine eingetragene Nummer zu verfügen. Der Piratenabgeordnete ist der Ansicht, dass diese Vorgehensweise der Regierung gegen die Verfassung verstößt. Korrekter wäre es hingegen, wenn ein solches Gesetz die üblichen legislativen Prozeduren in der vorhergesehenen Reihenfolge durchliefe und stattdessen eine Trigger-Klausel enthalte. Soll heißen, dass ein Impfpflicht-Gesetz gestimmt wird, das aber nur dann in Kraft tritt, nachdem es einen Beschluss der Präsidentenkonferenz gegeben hat. Es sei zudem viel einfacher, ad hoc die Präsidentenkonferenz zusammenzurufen als die gesamte Chamber.
Auch die Einführung eines Impfregisters hält Clement für kritisch. Über die Sichtbarkeit des Impfstatus von Angestellten des Gesundheitssektors gegenüber ihrem Arbeitgeber ließe sich noch diskutieren, die Einführung eines Zentralregisters hielten die Piraten jedoch für grundrechtswidrig.
Fernand Kartheiser (ADR)
Der Fraktionsvorsitzende der ADR, Fernand Kartheiser, zeigt sich erfreut darüber, dass sich der Regierungsrat gegen eine Impfpflicht entschieden hat. Wie auch die Piraten hält die ADR das Impfen auf freiwilliger Basis für den richtigen Weg. Dennoch käme die Entscheidung der Regierung etwas überraschend, wo sie sich doch zuvor noch für eine Impfpflicht ausgesprochen habe. „Das ist eine Angstreaktion – sie [die Regierung; Anm. der Redaktion] würden schon gerne [die Impfpflicht einführen; Anm. der Redaktion], fürchte sich aber vor der Reaktion der Menschen“, meint Kartheiser.
Nun stelle er sich die Frage, wie die Lage im Herbst aussehen wird. „Das Positive ist, dass wir im Augenblick noch keine Impfpflicht haben. Der negative Punkt ist allerdings, dass wir uns in einer Lage befinden, in der wir nicht einschätzen können, wo wir hinsteuern“, sagt Kartheiser.
In seiner gesamten politischen Karriere habe er noch nie miterlebt, dass auf diese Art ein provisorischer Gesetzestext hinterlegt werden soll. Demnach wirft dieser Gesetzestext so einige Fragen auf – etwa nach dem eigentlichen Statut des Dokuments und wie künftig damit verfahren wird. „Für mich ist das keine ehrliche Politik“, meint der ADR-Abgeordnete und weiter: „Wir wissen nicht, womit wir da konfrontiert werden.“
Gilles Baum (DP)
„Als DP-Fraktion sind wir davon überzeugt, dass hier nun richtig gehandelt wird. Die Erklärungen der Experten machen Sinn, aber wir sind nicht in einer Situation, in der eine Impfpflicht absolut notwendig ist“, sagt der DP-Fraktionsvorsitzende Gilles Baum. Er glaube zudem nicht, dass die rund 30.000 ungeimpften Menschen über 50 Jahren sich durch eine Impfpflicht vom Vakzin überzeugen lassen. Da sei eine neue Impfkampagne sinnvoller. Er hält es für vorteilhaft, einen bereits vorbereiteten Text für den Notfall in den Startlöchern zu haben.
Yves Cruchten (LSAP)
„Ich denke, dass das der einzig richtige Weg ist und ich glaube, die Regierung hat das [ihre Entscheidung, Anm. der Redaktion] auch gut argumentiert“, sagt der LSAP-Fraktionsvorsitzende Yves Cruchten gegenüber dem Tageblatt. Man müsse aber stets im Hinterkopf behalten, dass wir immer noch im Herbst oder im Winter von neuen Varianten überrascht werden können – und darauf müsse man vorbereitet sein. Er lese jedoch nicht aus dem Experten-Bericht heraus, dass es zu diesem Zeitpunkt unbedingt notwendig ist, eine Impfpflicht einzuführen.
Josée Lorsché („déi gréng“)
„Es ist momentan schwierig, die Notwendigkeit einer Impfpflicht zu beweisen. Von daher überrascht es mich nicht, dass dieser Weg nun eingeschlagen wird“, meint die Fraktionspräsidentin der Grünen, Josée Lorsché.
Sie habe sich schon vor Wochen mit Justizministerin Sam Tanson darüber ausgetauscht, dass man, wenn man die Grundrechte einschneidet, immer die Notwendigkeit und die Proportionalität beweisen muss. Für die Impfpflicht sei das momentan nicht der Fall, denn die Empfehlung der Experten beruht einzig auf dem Worst Case – der aber nicht unbedingt eintreten muss. Aber dennoch dürfe man die Situation nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Es ist gut, im Notfall einen Gesetzesentwurf in Reserve zu haben. So können wir, falls nötig, schneller handeln“, sagt Lorsché.
Gilbert Pregno (Präsident der Menschenrechtskommission)
Psychotherapeut und Präsident der Luxemburger Menschenrechtskommission (CCDH) Gilbert Pregno zeigte sich im Tageblatt-Gespräch am Donnerstag erfreut darüber, dass die Regierung die Meinung von Experten eingeholt und nach einem wissenschaftlichen Gutachten zum Nutzen einer Impfpflicht gefragt hat. Hätte sich das Parlament für die Impfpflicht entschieden, so hätten die Einwohner Luxemburgs zumindest nachvollziehen können, dass diese Entscheidung auf wissenschaftlichen Fakten basiert.
„Die Impfpflicht ist ein möglicher Weg, wo man aber ganz genau schauen muss, wie er aussieht“, meint Pregno. Allerdings käme diese Diskussion recht spät. Man hätte schon viel früher die Einführung der Impfpflicht mit der Überlastung der Krankenhäuser sowie dem Tod von Menschen rechtfertigen können und diesbezüglich die Experten zurate ziehen sollen.
Er geht allerdings stark davon aus, dass sich die Fronten im Falle einer Einführung der Impfpflicht wieder verhärten würden. Dabei müsse man aber zwischen strikten Impfgegnern und Menschen, die einfach Angst haben, unterscheiden. Insofern dürften nicht alle Ungeimpften zusammen in einen Topf geworfen werden. „Angst haben, ist legitim“, sagt der Psychologe. Es sei wichtig, diesen Menschen zuzuhören und auf ihre Ängste und Bedenken einzugehen.
„Wenn eine Impfpflicht eingeführt wird, dann kommen wir wieder in eine Phase rein von gesellschaftlichen Spaltungen, die dann natürlich auch wieder von den einen oder den anderen ausgenutzt werden können“, meint Pregno. Demnach könnte eine Impfpflicht dem Aufkommen des Populismus wieder einen Schub geben. Es müsse demnach deutlich zwischen einer Impfpflicht und einem Impfzwang unterschieden werden. „Die Politik trägt eine große Verantwortung“, sagt Pregno.
Er sprach zudem einen weiteren zentralen Punkt an: die Konsequenzen bei der Nichteinhaltung der Impfpflicht. Wie könnten diese aussehen? Würde man einfach einen Strafzettel verpasst bekommen oder würde man sogar in Quarantäne gesetzt werden? „Ich habe riesige Schwierigkeiten, um nachvollziehen zu können, wie man das durchsetzen könnte“, meint Pregno.
„Ich verspüre Bitterkeit, was die Frage rund um die sektorielle Impfpflicht betrifft“, sagt der Präsident der Menschenrechtskommission. Viele Menschen seien gestorben, weil ein Teil des Gesundheitspersonals nicht geimpft ist. Das Argument, dass es sich bei einer solchen Impfpflicht um eine Form der Diskriminierung halten würde, hätte die Menschenrechtskommission als problematisch empfunden. „Es ist eine Frage des Lebens, des Überlebens.“ Wenn eine Einrichtung sich für das gesundheitliche Wohl seiner Bewohner verpflichtet, dann sei eine sektorielle Impfpflicht berechtigt gewesen.
Wenn die Gesundheit von Vielen auf dem Spiel steht, dann sei die Einschränkung der Freiheit eines Einzelnen eine proportionale und angemessene Maßnahme, um das Wohl der Gemeinschaft zu bewahren, argumentiert die Menschenrechtskommission. Diese Überlegung gelte für die Impfpflicht im Allgemeinen, besonders aber auch für Alters- und Pflegeeinrichtungen sowie Krankenhäuser. Pregno glaubt, dass man in der Vergangenheit gerade in diesen Einrichtungen viel konsequenter hätte sein müssen.
Wie geschrieben. Die Abgeordneten machen das Gegenteil von dem was Experten sagen. Mutig muss man sagen. Warum hört man dann Experten überhaupt an? Aber die haben ja keine Stimmen zu verlieren.Experten werden nicht gewählt ( unter anderem von Lachnummern wie Freitag,Jacoby oder Ochs ),sie kommen von der Uni und wissen was los ist.Im Gegensatz zu Abgeordneten die alles sein können ,ausser Experten. Nur Vorsicht! Hier geht es um ein paar Tote mehr oder weniger.Die Zahlen steigen drastisch an ( nur zwei Tote !!),aber die "Experten" aus der Chamber lockern weiter die Maßnahmen. Jetzt ist Party.Trauern können wir im November,wenn die Tage kürzer werden. Nur wir haben es mit einem Virus zu tun,nicht mit Verkehrssündern oder Umweltverschmutzern.