Am 10. Oktober 1941 ließ Gauleiter Gustav Simon, „Chef der Zivilverwaltung“ im von NS-Deutschland besetzten Großherzogtum Luxemburg, eine Personenstands- und Betriebsaufnahme durchführen. Unter den auszufüllenden Formularen befanden sich „Zählkarten“, auf welchen die Bewohner und Bewohnerinnen ihre Muttersprache, Volkszugehörigkeit sowie Personaldaten der Eltern und Großeltern – mit Angabe, ob „Juden“ oder nicht – eintragen mussten. Ziel war die Erstellung einer Volkstumskartei als Basis einer ethnischen Homogenisierung Luxemburgs, durch Aussiedlung von Bewohnern und Bewohnerinnen, welche der nationalsozialistische Besetzer nicht als deutsch ansah – im Gegensatz zum „Luxemburger“, welcher er als „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Geschichte, nach Abstammung als „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gescals „Deutscher nach seiner ganzen Wesensart, nach Gesc, Sprache und dem Raum, in den er hineingeboren ist“ betrachtete.1)
Die Anleitungen des Besetzers
Das Propagandaorgan Nationalblatt brachte eine Reihe Anleitungen des Besetzers, die zeigen, wie er die Personenstandsaufnahme präsentieren wollte und welche Antworten er sich erwartete. Am 4./5. Oktober 1941 wurde hier das Ziel der Zählkarten als rein statistisch dargestellt: „Die beiden Fragen über Muttersprache und Volkszugehörigkeit sind seit langem in andern Ländern gebräuchlich und den statistischen Fragebogen dieser Länder entnommen.“2) Erst am 6. Oktober wurde „die Bevölkerung ersucht, sich die Unterlagen [zur Beantwortung der Fragen zu den Eltern und Großeltern] sofort zu beschaffen“. Für viele Befragte sollte diese Frist zu kurz sein. Vielleicht bereits in Bezug auf die Aufforderung der Resistenz, keine Muttersprache und Volkszugehörigkeit anzugeben, wurde im gleichen Kommuniqué mit Geldstrafe oder Haft bei „unvollständiger Ausfüllung“ gedroht und hinzugefügt, die Behörden könnten eine Antwort erzwingen.3)
Bereits am 6. Oktober 1941 hatte Damian Kratzenberg als Landesleiter der Volksdeutschen Bewegung (VdB) ein Rundschreiben erlassen, in dem es hieß: „Der Luxemburger ist nach seiner Volkszugehörigkeit (mit wenigen Ausnahmen, Italiener, Wallone, usw.) Deutscher; seine Muttersprache ist deutsch; seiner Staatszugehörigkeit nach ist er aber auch heute noch Luxemburger.“4) Am 8. Oktober publizierte das Nationalblatt ein Modell, laut dem ein Mann mit einem Luxemburger Vater und einer elsässisch-lothringischen Mutter, beide Luxemburger Staatsbürgerschaft, sich als Luxemburger Staatsangehörigkeit, deutscher Muttersprache und deutscher Volkszugehörigkeit ausgab.5)
„Dreimal deutsch“ und „dräimol lëtzebuergesch“?
Dies war also die Vorstellung des Besetzers und seiner Kollaborateure, wie Luxemburger und Luxemburgerinnen zu antworten hatten: „einmal luxemburgisch und zweimal deutsch“ und nicht „dreimal deutsch“, wie das heute verbreitete Schlagwort „dräimol lëtzebuergesch“ als Ausdruck des Widerstands zu verstehen gibt. Wie der Gerichtshof für Kriegsverbrechen in Luxemburg 1949 hervorheben sollte, gingen bei der Personenstandsaufnahme „die Deutschen zugegebenermassen von der Annahme einer luxemburgischen Staatsangehörigkeit [aus und mussten] folgerichtig also auch die Existenz eines Luxemburger Staatsverbandes anerkennen“.6)
Am 9. Oktober 1941 kam dann eindeutig als Replik auf die Aufforderung der Resistenz (vom Nationalblatt als „kleine Clique“ bezeichnet), auf die Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit „Letzeburger“ zu antworten, die „Erklärung“ des Besetzers: „Das Luxemburgische ist eine moselfränkische Mundart und daher keine eigene Muttersprache. Es ist nur ein Dialekt des Hochdeutschen, so daß man von der luxemburgischen Mundart nur sagen kann, daß sie deutsch ist.“ Ebenso bestimmte der Besetzer: „Wer stammesmäßig Luxemburger ist, kann bei der Frage ‚Volkszugehörigkeit‘ nur ‚deutsch‘ eintragen.“ Diesmal war ein Modell beigefügt, gemäß dem sich ein Mann mit einem italienischen Vater und einer Luxemburger Mutter, welche die italienische Staatsbürgerschaft des Ehepartners angenommen hatte, als Luxemburger Staatsangehörigkeit, italienischer Muttersprache und italienischer Volkszugehörigkeit erklärte.7) Dies könnte andeuten, dass der Besetzer die Kinder mit einem „deutschen“ und einem italienischen Elternteil der italienischen Volkszugehörigkeit, die er als minderwertig betrachtete, zurechnete.
Diese Anleitungen erschienen neben Mitteilungen über zunehmend schärfere repressive Maßnahmen gegen „deutschfeindliche“ Luxemburger und Luxemburgerinnen: Am 7. Oktober 1941 erklärte das Nationalblatt, es gäbe „keine Milde mehr für Straftaten politischer Art“ und berichtete über Haftstrafen für Mitglieder einer Eischener Familie wegen „Abhören nicht zugelassener Rundfunksender [und] Herstellung und Verbreitung deutschfeindlicher Flugschriften“.8) Am 8. Oktober meldete das Propagandaorgan, zwei Kayler seien wegen der „Verletzung der Ehre der deutschen Fahne im Zusammenhang mit dem Heldengedenktag des deutschen Volkes“ nicht nur zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, sondern der Gauleiter habe veranlasst, sie anschließend in ein Konzentrationslager zu bringen.9) Schließlich wurde am 9. Oktober mitgeteilt, ein Schlepper aus Bettemburg, der Sprengstoff vor das Haus eines Zellenleiters der Volksdeutschen Bewegung (VdB) geworfen habe, sei zum Tode verurteilt worden.10)
Die Reaktion der Luxemburger Resistenz
Für den 26. September 1941 wurden die mit der Personenstands- und Betriebsaufnahme beauftragten Sachbearbeiter der einzelnen Gemeinden in die nun als Propagandaamt genutzte Abgeordnetenkammer einberufen.11) Am 29. September vermerkte Regierungsdirektor Friedrich Münzel: „Bei der Besprechung am 26.9. mit den Bürgermeistern usw. ergab sich, dass bei der Ausfüllung der Spalte 8 (Volkszugehörigkeit) mit Schwierigkeiten zu rechnen ist“.12) Auch gemäß einem Zeugen 1948 war während der Sitzung „luxemburgischerseits Bedenken betr. die Fragen Muttersprache u. Volkszugehörigkeit geäussert worden“.13) Die beiden Fragen waren demnach den Luxemburger Teilnehmern aufgefallen und es ist gut möglich, dass die Resistenz über sie von diesen Fragen Kenntnis bekam.14) Zudem lieferte der Verlag des gleichgeschalteten Escher Tageblatts am 24. September die erste Ladung Zählkarten.15) Es ist somit ebenfalls plausibel, dass die Resistenz Zugang zu den Zählkarten über den Verlag erhielt.16)
Die Luxemburger Widerstandsbewegungen durchschauten die Absicht hinter den Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit nur teilweise. Ihrer Auffassung nach verfolgte das nationalsozialistische Regime geopolitische und militärische Ziele: Luxemburg an das Deutsche Reich anzuschließen, die Luxemburger zu Reichsbürgern zu machen und sie in die Wehrmacht einzuziehen. Als Beleg dafür und als Anreiz zum Widerstand verbreitete die LPL (Lëtzeburger Patriote Liga) sowie andere Resistenzgruppen ein erfundenes Schreiben des – für Volkstumspolitik nicht zuständigen – Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels an Gauleiter Gustav Simon. Die Aufforderungen, welche die offensichtlich nicht koordinierten Widerstandsbewegungen aus diesem Verständnis der Zählkarten heraus an das Luxemburger Volk richteten, waren diametral entgegengesetzt und hoben sich gegenseitig auf: auf die besagten beiden Fragen mit „Letzeburger“ oder gar nicht zu antworten.17) Die Geschichtsschreibung hat sich bislang nur auf die erste Form des Widerstands fokussiert – wahrscheinlich, weil eine Antwort einfacher zu interpretieren ist als keine. Dabei vereitelten auch die unausgefüllten Zählkarten logischerweise die Anlegung einer Volkstumskartei.
Die Aktionen der Widerstandsbewegungen brachten die Pläne des Gauleiters zum Scheitern. Am 11./12. Oktober 1941 publizierte das Nationalblatt eine Anordnung des Gauleiters, durch welche „die Ausfüllung der Zählkarte zu unterbleiben“ hatte.18)
Die Rache des Besetzers
Begründet wurde die Anordnung des Gauleiters dadurch, dass die Frage zur Staatsangehörigkeit zu Unklarheiten geführt hatte, „da einerseits ein luxemburgischer Staat nicht mehr besteht, während andererseits den Volksdeutschen im Gebiet von Luxemburg die Reichsangehörigkeit noch nicht verliehen ist“. Diese Begründung war absurd, da das Modell vom 8. Oktober die Antwort „Luxemburger“ auf die Frage zur Staatsangehörigkeit vorgab. Sichtlich ging es darum, von der Reaktion auf die Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit abzulenken. Darüber hinaus wurden die völkerrechtlich Luxemburger Staatsangehörigen, die auch bislang als solche vom deutschen Machthaber angesehen worden waren, der Luxemburg besetzt, jedoch nicht annektiert hatte, als „Volksdeutsche“ dargestellt, die nunmehr auf die deutsche Reichsbürgerschaft warteten.19) Am 13. Oktober 1941 erschien in diesem Sinne eine „Verordnung über die Anlegung einer Volkstumskartei in Luxemburg“, datiert auf den 10. Oktober 1941. Der Begleittext erklärte, es würde nun „durch besonders geschulte Kräfte aus dem Reich und aus dem Gebiete von Lützelburg […] an Hand der Personalakten amtlich festgestellt, welchem Volkstum die Bewohner Luxemburgs angehören“. So gab der Besetzer das eigentliche Ziel der Zählkarten, das Anlegen einer Volkstumskartei, im Nachhinein preis. Gleichzeitig verlautbarte er, dass es seit dem 10. Mai 1940 keine Luxemburger Staatsangehörigkeit mehr gäbe.20) Dies hatte keine rechtliche Basis noch Wirkung, sondern drückte den Missmut des deutschen Besetzers gegen die Luxemburger Resistenz aus. Er erließ gleich mehrere Verordnungen zur Einschüchterung und Bekämpfung der Resistenz und äußerte seine Wut in einem Artikel vom 20. Oktober 1941: „Mehr als ein Jahr ließ der Gauleiter Luxemburg Zeit, sich zu besinnen, sich zu seinem Volkstum zu bekennen und den Weg in seine größere geschichtliche Heimat – Großdeutschland – anzutreten. […] Und die politischen Verbrecher, die sich in der letzten Zeit bemerkbar zu machen versuchten, werden als Volksfeinde und Separatisten behandelt werden. Denn wer vergißt, daß der Herrgott ihn als Deutschen geschaffen hat und sich gegen den Willen des Schöpfers in den Dienst der Feinde seines Volkes stellt, hat gleich den Juden seine Heimstätte unter Deutschen verwirkt.“21)
Anfang November 1941 setzte dann die systematische Verfolgung der als Widerständler Verdächtigten ein. Wenigstens 134 Männer aus Luxemburg wurden ins SS-Sonderlager Hinzert im Hunsrück abgeführt, wegen tatsächlichen oder vermeintlichen Beziehungen zur Resistenzgruppe LPL, „deutschfeindlichem Verhalten“, „separatistischer Einstellung“ …22)
Die Resistenz hatte somit einen bedeutenden Erfolg erlangt – mit bitteren Folgen.
Kursierende hohe Prozentsätze
Als Gründungsmoment der Resistenz und der Luxemburger Nation lebt der Erfolg der Resistenz nicht ganz unberechtigt nach dem Krieg unter dem – wie wir gesehen haben, nicht ganz passenden – Schlagwort „dräimol lëtzebuergesch“ (Staatsangehörigkeit, Muttersprache, Volkszugehörigkeit) weiter. Dabei kommt es in der Regel zur undokumentierten und unnötigen Behauptung, mehr als 90% der Befragten hätten mit „dräimol lëtzebuergesch“ geantwortet, ein Prozentsatz, der sogar von Historikern vertreten wurde.23)
Ein solcher Prozentsatz tauchte bereits am 31. Oktober 1941 in der klandestinen Zeitung De „Freie“ Lötzeburger auf, die behauptete, dass „3 bis 5% deitsch, de’ âner all lötzeburgesch gestömmt“ hatten.24)
Im Juli 1942 wurde der Höchstprozentsatz von 97% im ersten Luxembourg Bulletin der Luxemburger Regierung im Exil übernommen – und noch gesteigert. Nun hieß es: „Some 97 per cent. of the town population and 98 per cent. of the country population loyally indicated Luxembourg as their nationality and mother tongue.“25) Zusätzlich erschienen in der britischen Presse im September 1942 Berichte über einen Luxemburger Geflüchteten, der unter anderem erklärt hätte: „A census taken by the Germans resulted in 97 per cent. of Luxembourgers voting against Germany.“26) Gleich nach dem Krieg wurden diese Prozentsätze auch von der wieder freien Luxemburger Presse aufgegriffen. So schrieb die Obermosel-Zeitung am 12. Oktober 1946: „Statt dreimal ‚deutsch‘ prangte auf 98 Prozent aller Stimmzettel dreimal ‚luxemburgisch‘.“27)
Eine erste fundierte Berechnung: nicht über 90%, sondern 62% im Kreis Esch
Am 13. Oktober 1941 verfügte der Chef der Zivilverwaltung, die Gemeinden hätten „die Zählkarten, die […] so weit bei der Einsammlung noch vorhanden, mit abzuliefern waren“, separat zusammenzupacken und an das statistische Amt zu senden.28) Am 17. November vermerkte Oberregierungsrat Rolf Günther: „Nach Anordnung des Gauleiters sollen die Zählkarten bei den politischen Kommissaren verbleiben. Nach der Mitteilung des statistischen Amts […] sind dort nur etwa 15.000 Zählkarten eingegangen, die zu einem wesentlichen Teil auch noch unvollständig ausgefüllt sind. Eine statistische Auswertung ist nicht möglich.“29) Diese Zählkarten, eine Art Stichprobe, sind seit Beginn 2017 im Luxemburger Nationalarchiv allgemein zugänglich und seit dem 25. April 2024 über die Onlinesuchmaschine „Query“ bestellbar und im Lesesaal einsehbar.30) Anscheinend waren wir mit unserer Assistentin Sophia Guarda jedoch die ersten, die den bezüglichen Bestand überhaupt einsahen.
Der anschließend erstmals berechnete Prozentsatz der „dräimol lëtzebuergesch“ zeugt noch immer vom großen Erfolg der Resistenz, ist jedoch nüchterner als die überlieferten mehr als 90%. Unsere Kollegin Nora Chelaru ermittelte ihn für den Kreis Esch/Alzig (4.451 erhaltene Zählkarten): 62% (45% in der Stadt und 76% auf dem Land). (Ortschaften: Contern, Düdelingen, Esch, Fischbach, Hesperingen, Kayl, Kehlen, Kopstal, Leudelingen, Niederanven, Nommern, Rümelingen, Schüttringen.) Zusätzlich sind eine Anzahl Zählkarten, in denen keine Muttersprache und Volkszugehörigkeit eingetragen sind, wohl ebenfalls als Ausdruck des Widerstands zu bewerten.
Die Frage der „Volkszugehörigkeit“
Die Formel „dräimol lëtzebuergesch“ setzt eine Übereinstimmung zwischen erklärter Staatsangehörigkeit, Muttersprache und Volkszugehörigkeit voraus. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass sich auch Menschen anderer Staatsangehörigkeit und Muttersprache in der Personenstandsaufnahme durch ihre Antwort auf die Frage der Volkszugehörigkeit zur Luxemburger Nation bekannten.
Der nationalsozialistische Besetzer hatte es nämlich den Befragten ausdrücklich freigestellt, ihre nationale Selbstidentifikation bekannt zu geben, indem er auf der Zählkarte die „Volkszugehörigkeit“ als „Volk, dem der einzelne sich innerlich verbunden fühlt und zu dem er sich bekennt“ definierte. Dieser Vorgang stand im Gegensatz zur pseudowissenschaftlichen NS-Idee, Völker würden auf Blutsverwandtschaft beruhen, war jedoch nicht der einzige solche Rückgriff auf eine demokratische Nationsdefinition zur (provisorischen) Umgrenzung derselben.31) Als Vorlage diente wohl ein Runderlass des Reichsministeriums des Innern vom 29. März 1939, laut dem „Deutscher Volkszugehöriger ist wer sich selbst als Angehöriger des deutschen Volkes bekennt, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen, wie Sprache, Erziehung, Kultur usw. bestätigt wird“. Dieses Rundschreiben schloss „Personen artfremden Blutes, insbesondere Juden“ ausdrücklich aus.32)
Das Regime untersagte jedoch gleichzeitig das Bekenntnis zur Luxemburger Nation: „Es soll auch nicht die Stammeszugehörigkeit (wie z.B. luxemburgisch, bayrisch, sächsisch) eingetragen werden.“ In den gegebenen Umständen führte dies zu einer (Auto-)Zensur durch die Befragten selbst, ihre Familienmitglieder oder gegebenenfalls die Zähler. Diese Zensur ist nicht mess-, aber belegbar. Von anderer Hand wurde auf Zählkarten „luxemburgisch“ und „Luxemburger“ durchgestrichen, „verweigert“ daneben geschrieben oder gar „deutsch“ hinzugefügt. Gleichzeitig sind wohl einige Bekenntnisse zur Luxemburger Nation unter dem Einfluss von Familienmitgliedern entstanden. Jedenfalls wurden in einigen Fällen die Zählkarten der gesamten Familie von der gleichen Person ausgefüllt.
Nicht über 90%, sondern knapp 50% in Düdelingen
Abgesehen von der (Auto-)Zensur und anderen Einflüssen tritt eine Luxemburger Nation hervor, die über die eigene Herkunft und jene der Vorfahren sowie teils über die Muttersprache und die Staatsangehörigkeit hinaus reicht, eine Nation, die nicht ethnolinguistisch oder gar ethnisch-religiös, sondern von Migration geprägt und vielfältig ist.
In der Stadt Düdelingen (1.945 erhaltene Zählkarten bei einer Gesamteinwohnerzahl von 12.998 Menschen33)) sind 1.074 Personen als Luxemburger, 416 als italienische, 205 als deutsche und 25 als belgische Staatsangehörige verzeichnet. Bei 557 (52%) der 1.074 erklärten Luxemburger Staatsangehörigen ist als Volkszugehörigkeit die luxemburgische angegeben, bei 416 (39%) die deutsche, bei 1 die belgische, bei 16 (1%) wurde die Antwort meistens zugunsten der deutschen Volkszugehörigkeit geändert, bei 14 (1%) steht eine Variante von „Luxemburger Deutsch“, bei 66 (6%) nichts, bei 1 „keine“ und in 3 Fällen wurde der Teil des Blattes mit den Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit einfach abgetrennt. Lediglich bei 523 Befragten, also 49% der 1.074 erklärten Luxemburger Staatsangehörigen, lautet die Antwort „dräimol lëtzebuergesch“.
Die Luxemburger Nation über die Staatsangehörigkeit, Muttersprache und Herkunft hinaus
Es sind jedoch 578 Personen, ohne Unterschied der Staatsbürgerschaft, als Luxemburger Volkszugehörige in die Düdelinger Zählkarten eingetragen, davon 510, die wenigstens 16 Jahre alt und somit berechtigt waren, ihre Volkszugehörigkeit selbst zu bestimmen. Demnach überstieg laut den eigenen Angaben die Zahl der Menschen, die sich dem Luxemburger Volk „innerlich verbunden fühlten“ jene der 557 als Luxemburger Staatsangehörige und Volkszugehörige zugleich registrierten Personen. Darüber hinaus gaben nicht alle dieser 557 (nur) luxemburgisch als ihre Muttersprache an: bei 1 Person steht deutsch, französisch und luxemburgisch, bei 5 das zweideutige „Luxemburger Deutsch“, bei 1 österreichisch, bei 2 französisch, bei 4 italienisch sowie bei 1 italienisch und luxemburgisch, bei 14 deutsch und bei 6 nichts. Von den 21, die nicht als Luxemburger Staatsangehörige figurieren, sind 3 belgisch und 9 italienisch, 1 staatenlos und bei 8 fehlt eine Angabe.
Unter den 578 Personen Luxemburger Volkszugehörigkeit sind lediglich bei 293 (51%) ausschließlich in Luxemburg gebürtige Eltern- und Großelternteile verzeichnet. Bei 218 (38%) kommt wenigstens ein Eltern- und/oder Großelternteil hinzu, der im Ausland geboren ist: in Belgien, Deutschland, Elsass-Lothringen, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich und/oder der Schweiz. Dazu Menschen mit Eltern- und Großelternteilen, die alle außerhalb Luxemburg zur Welt kamen: in Österreich (1), Polen (1), Belgien (3), Elsass-Lothringen (3), Deutschland (13), Italien (19) oder in mehreren Ländern (10). In 17 Fällen gibt es diesbezüglich keine Angaben. Auch vom religiösen Standpunkt war die plebiszitäre Luxemburger Nation gemischt: die absolute Mehrheit bildeten Katholiken (560), jedoch gefolgt von 11 neuapostolischen Christen, 2 Atheisten und einer evangelischen Christin. In 4 Fällen ist nichts verzeichnet. Es war also nicht die gesamte Gemeinschaft der Luxemburger Staatsangehörigen, sondern eine Luxemburger Nation mit diversen Herkünften, Sprachen und religiösen Bekenntnissen, die dem nationalsozialistischen Besetzer die Stirn bot.
Die scheinbaren Bekenntnisse zum deutschen Volk
Das deutsche Volk, so wie es aufgrund echter Bekenntnisse, aber auch der (Auto-)Zensur und des NS-Terrors aus der Personenstandsaufnahme hervorging, war nicht weniger vielfältig, was wohl kaum der Weltanschauung des Gauleiters entsprach. Unter den 708 Personen, die als deutsche Volkszugehörige eingetragen sind, besaßen laut eigenen Angaben lediglich 197 (28%) die deutsche Staatsangehörigkeit, wobei sich einige Luxemburger und (offiziell französische) Elsass-Lothringer Staatsbürger wahrscheinlich fälschlicherweise als deutsche Staatsangehörige oder als Volksdeutsche – was keiner Staatsbürgerschaft entsprach! – ausgaben. Bei 16 der 26 staatenlosen Personen, die als deutsche Volkszugehörige verzeichnet sind, ist zudem vermerkt, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten. Von den 708 waren 414 (58%) als luxemburgische Staatsangehörige registriert. Von diesen wiederum hatten laut eigenen Angaben 45 ausschließlich deutsche und 5 deutsche sowie andere Eltern- und Großelternteile (elsässisch-lothringische, italienische, österreichische und/oder polnische). 176 hatten nur luxemburgische, 83 luxemburgische und deutsche und 29 luxemburgische, deutsche und drittstaatliche Eltern- und Großelternteile (belgische, elsässisch-lothringische, französische, österreichische und/oder niederländische). 57 waren luxemburgischer und nicht-deutscher Herkunft (belgisch, elsässisch-lothringisch, französisch, italienisch, niederländisch und/oder österreichisch). 14 Menschen waren belgischer, elsässisch-lothringischer, französischer, italienischer, niederländischer, österreichischer und/oder tschechischer Herkunft. In 5 Fällen gibt es keine Angabe. Deutsche Staatsangehörige, welche die Luxemburger Staatsbürgerschaft erhalten hatten, waren auf beiden Seiten wiederzufinden: wenigstens 6 sind als Luxemburger und wenigstens 36 als deutsche Volkszugehörige eingetragen.
Andere Formen des Widerstands in der Personenstandsaufnahme
Der populäre und historiografische Fokus auf die Antwort „dräimol lëtzebuergesch“ führte auch dazu, dass weitere Formen des Widerstands in der Personenstandsaufnahme völlig außer Acht gelassen wurden. Diese gab nämlich anscheinend auch Menschen aus weiteren Ländern und Gegenden, insbesondere derjenigen, welche sich NS-Deutschland einverleibt hatte (Österreich, Polen, Elsass-Lothringen …), die Möglichkeit, ihren Widerstand zu bezeugen.
So erklärte ein in Metz geborener Mann, dessen Vater im französischen Épinal und Mutter im schweizerischen Basel geboren war, seine Staatsangehörigkeit sei französisch, seine Muttersprache „Schweizer“ und seine Volkszugehörigkeit „Lothringesch“. Ähnlich gab eine gebürtige Wienerin an, ihre Staatsangehörigkeit sei luxemburgisch, ihre Muttersprache „österreichisch“ und ihre Volkszugehörigkeit „Letzeburger“. Vielleicht war es auch ein doppelter Anlass für Antifaschisten wie den 1913 in Düdelingen von italienischen Eltern geborenen, ehemaligen Spanienkämpfer34) Guido Tomasini, der mit 18 Jahren für die Luxemburger Staatsangehörigkeit optiert hatte, mit „dräimol lëtzebuergesch“ zu antworten. Tomasini befand sich unter den Menschen aus Luxemburg, die der Besetzer infolge der Personenstandsaufnahme verhaften ließ: vom 1. November bis zum 20. Dezember 1941 war er Häftling im Gefängnis in Stadtgrund, zwei weitere Haftaufenthalte folgten 1942 und 1944.35)
(Fortsetzung folgt am 22. Juni 2024)
1) „Männer und Frauen Luxemburgs!“ Luxemburger Wort, 31. August 1940, 1.
2) „Personenstands- und Betriebsaufnahme am 10. Oktober 1941“, Nationalblatt, 4./5. Oktober 1941.
3) „Richtige Ausfüllung der Zählkarte“, Nationalblatt, 6. Oktober 1941.
4) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: Damian Kratzenberg an die Ortsgruppenleiter der Volksdeutschen Bewegung, 6. Oktober 1941.
5) „Die richtige Ausfüllung der Listen“, Nationalblatt, 8. Oktober 1941.
6) ANLux, Mikrofilm C.G. 146: Urteil des Gerichtshofes für Kriegsverbrechen in Luxemburg, S. 87.
7) „Zur Aufklärung!“ Nationalblatt, 9. Oktober 1941.
8) „Die Zeit der Langmut ist endgültig vorbei!“ Nationalblatt, 7. Oktober 1941.
9) „Konzentrationslager für Unbelehrbare!“ Nationalblatt, 8. Oktober 1941.
10) „Ein politischer Verbrecher zum Tode verurteilt“, Nationalblatt, 9. Oktober 1941.
11) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: der Chef der Zivilverwaltung, Verwaltung der höheren Kommunalverbandsangelegenheiten in Luxemburg an die Bürgermeister, 19. September 1941.
12) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: Friedrich Münzel, Vermerk, 29. September 1941. Auch zitiert in Paul Dostert, „Die Personenstandsaufnahme vom 10. Oktober 1941 und ihre Folgen für die deutsche Zivilverwaltung“, Luxemburger Wort, 10. Oktober 1991, 13.
13) ANLux, Mikrofilm C.G. 97: Zeugenverhör vom 9. November 1948.
14) Rappel (LPPD), Nr. 9-10 (1991): 25.
15) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: Rolf Günther, Dringlichkeitsbescheinigung, 30. Oktober 1941.
16) Rappel (LPPD), Nr. 9-10 (1991): 27.
17) Siehe Olivier Worrés Analyse und Abschrift der Flugblätter der Resistenz in Olivier Worré, „Le Recensement du 10 octobre 1941“ (Masterarbeit, Université Catholique de Louvain, 2011), 33; 116; 123; 187-198. Vergleiche Rappel (LPPD), Nr. 9-10 (1991): 25-45; ANLux, Mikrofilm C.G. 97: Großherzogliche Gendarmerie an Generalstaatsanwaltschaft, 15. März 1949 (S. 191 a-e).
18) „Anordnung zur Personenstandsaufnahme“, Nationalblatt, 11./12. Oktober 1941.
19) Ebenda.
20) „Volkstumskartei in Luxemburg“, Nationalblatt, 13. Oktober 1941.
21) Eduard Gerlach, „Deutschtum verpflichtet“, Nationalblatt, 20. Oktober 1941.
22) ANLux, FD-094-160: Auszug aus den Personalbögen des SS-Sonderlagers Hinzert, nicht datiert. Siehe auch Marcel Engel und André Hohengarten, Hinzert. Das SS-Sonderlager im Hunsrück 1939-1945 (Luxemburg: Sankt-Paulus-Druckerei, 1983), 86-96.
23) Siehe Worré, „Le Recensement du 10 octobre 1941“, 47-48.
24) „Lötzeburg klappt Deitschland mat 95 op 5,“ De „Freie“ Lötzeburger, 31. Oktober 1941, 2. Auch zitiert in Worré, „Le Recensement du 10 octobre 1941“, 202.
25) „Terror Increases“, Luxembourg Bulletin, no. 1 (July 1942): 8.
26) „Little State v. Big Bully. Ready for Nazi Defeat“, Yorkshire Evening Post, 22. September 1942, 1.
27) Mimo, „Skizzen und Bilder“, Obermosel-Zeitung, 12. Oktober 1946, 5.
28) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: der Chef der Zivilverwaltung, Verwaltung der höheren Kommunalverbandsangelegenheiten in Luxemburg an die Bürgermeister, 13. Oktober 1941.
29) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: Rolf Günther, Vermerk, 17. November 1941.
30) ANLux, CdZ-PST.
31) Volkszugehörigkeit durch Bekenntnis gab es theoretisch auch in Rumänien, wo der nationalsozialistischen, die gesamte deutsche Minderheit umfassenden Deutschen Volksgruppe in Rumänien gesetzlich „alle rumänischen Staatsbürger an[gehörten], deren deutsche Volkszugehörigkeit auf Grund ihres Bekenntnisses zum deutschen Volke von seiten der Volksgruppenführung anerkannt [wurde] u. auf Grund dessen sie in den Nationalkatastern der deutschen Volksgruppe in Rumänien eingetragen [waren]“. Zitiert nach: „Die Deutsche Volksgruppe juridische Person öffentlichen Rechtes“, Extrapost. Unabhängige deutsche Volkszeitung, 22. November 1940, 2.
32) ANLux, Mikrofilm C.G. 99: Runderlass des Reichsministeriums des Innern, 29. März 1939.
33) ANLux, CdZ-A-2610: Landkreis Esch, Wohnbevölkerung nach dem Stande vom 10.10.1941.
34) Henri Wehenkel, D’Spueniekämpfer. Volontaires de la guerre d’Espagne partis du Luxembourg (Dudelange: CDMH, 1997), 121.
35) Wir danken Georges Buchler für diese Auskunft.
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