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Whistleblower schützen, nicht die Steuertrickser

Whistleblower schützen, nicht die Steuertrickser
(Tageblatt/Fabrizio Pizzolante)

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Am Dienstag beginnt der umstrittene "LuxLeaks"-Prozess. Lesen Sie im Folgenden einen Standpunkt der grünen Europaabgeordneten. Whistleblower sollten mehr geschützt werden.

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen Antoine Deltour und Raphaël Halet, zwei ehemalige Mitarbeiter von PricewaterhouseCoopers, sowie den französischen Journalisten Edouard Perrin. Sie wurden im Rahmen der „LuxLeaks“-Enthüllungen angeklagt und werden des Diebstahls, des Verstoßes gegen die Schweigepflicht sowie der Veröffentlichung von Geheimunterlagen beschuldigt.

Dabei haben Enthüllungen wie „LuxLeaks“, „SwissLeaks“ oder die kürzlich veröffentlichten Panama-Papiere eine erschreckende Parallelwelt ans Licht gebracht. Sie haben offengelegt, wie einige internationale Konzerne, Superreiche und korrupte Politiker sich dem Rechtsstaat und ihrer Steuerverantwortung entziehen. Dass die Angeklagten von ebenjenem System im Stich gelassen werden, in dessen Interesse sie eigentlich handelten, ist deshalb ein Skandal. Sie gehören aus unserer Sicht nicht auf die Anklagebank!

Öffentliches Interesse

Denn es besteht kein Zweifel daran, dass die vom Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) ans Licht gebrachten Beweise im öffentlichen Interesse waren. Die Dokumente haben die Gesellschaft und die Politik darauf aufmerksam gemacht, dass europäisches Wettbewerbs- und Steuerrecht in vielen EU-Ländern gebrochen wurde. Der steuerliche Rechtsrahmen in Europa muss daher dringend reformiert werden.

Diese unhaltbare Situation ist unter der neuen EU-Gesetzgebung zu Handelsgeheimnissen sogar noch verstärkt worden. Die Richtlinie wird es Whistleblowern und Journalisten weiter erschweren, Missstände, aggressive Steuervermeidung und anderes Fehlverhalten von Konzernen aufzudecken. Sie werden beweisen müssen, dass ihre Enthüllungen von öffentlichem Interesse sind.

Das Geschäftsgeheimnis

Was als Geschäftsgeheimnis gilt, können Unternehmen weitgehend selbst definieren. Sie entscheiden, welche Informationen geheim bleiben sollen und somit unter besonderen Schutz fallen. Weil es in der neuen Gesetzgebung irrelevant ist, zu welchem Zweck geheime Informationen genutzt oder weitergegeben werden, schützt sie Unternehmen nicht nur vor unlauterem Wettbewerb oder Wirtschaftsspionage. Sie schirmt sie auch von zahlreichen legitimen Informationsanfragen ab.

Zwei Beispiele belegen deutlich, zu welchen Absurditäten dies führen kann. Bei den Ermittlungen im Diesel-Abgasskandal konnten Prüforganisationen die Motorensoftware nicht auf Abschalteinrichtungen zur Manipulation von Abgastests untersuchen, weil die Autohersteller sich auf Geschäftsgeheimnisse beriefen. Auch bei der kontroversen Einstufung des Herbizids Glyphosat als „wahrscheinlich nicht krebserregend“ basierte sich die EU-Kommission auf Studien der Industrie, in die unabhängige Wissenschaftler keinen Einblick erhalten, weil die Unternehmen sie als Geschäftsgeheimnis ansehen.

Der Deltour-Prozess

Der Deltour-Prozess und die neue EU-Gesetzgebung über Handelsgeheimnisse illustrieren den dringenden Bedarf umfassender EU-Gesetze zum Schutz von Whistleblowern sehr deutlich. Das Europäische Parlament hat in den vergangenen Jahren mehrmals einen entsprechenden Gesetzesvorschlag von der EU-Kommission gefordert, ist dort jedoch bislang nur auf taube Ohren gestoßen.

Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament wird deshalb am 4. Mai einen Entwurf für eine EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern präsentieren. Nach der Fehlentscheidung zu den Handelsgeheimnissen drängen wir die Juncker-Kommission, unsere Vorschläge aufzugreifen und einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen. Denn eine moderne Demokratie sollte Whistleblower nicht als Gefahr sehen, sondern als willkommenes Korrektiv in der öffentlichen Debatte.

Die obigen Texte wurden von den grünen Europa-Abgeordneten Claude Turmes, Sven Giegold, Pascal Durand, Julia Reda, Ernest Urtasun und Benedek Javor verfasst.