ItalienGesundheitsbehörden können manche Fragen zur hohen Sterberate nicht beantworten

Italien / Gesundheitsbehörden können manche Fragen zur hohen Sterberate nicht beantworten
Arbeiter in Schutzkleidung desinfizieren Gehwege in einem Wohnviertel in Rom Foto: dpa/LaPresse/Mauro Scrobogna

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Die weltweit grassierende Covid-19-Pandemie fordert viele Todesopfer. Besonders hoch aber sind die Zahlen in Italien und Spanien. Folgt man den Statistiken des italienischen Zivilschutzes, so liegt die Sterblichkeitsrate bei den Coronainfizierten über zehn Prozent. Doch wie real sind diese Angaben, starben die Patienten an oder mit dem Virus? Die Gesundheitsbehörden sind in der Beantwortung dieser Frage oft überfordert.

Nach den aktuellen, von der Protezione civile, dem italienischen Zivilschutz, herausgegebenen Daten sind derzeit etwa 71.000 Menschen vom Coronavirus infiziert. Von den insgesamt rund 93.000 Personen, bei denen das neue Virus SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde, sind mehr als 10.000 gestorben. 12.500 überlebten die Lungenkrankheit Covid-19 und können als zunächst geheilt angesehen werden. Noch ist unklar, ob die Genesenen nun einen längerfristigen Immunschutz aufgebaut haben und gegen weitere Infektionen gefeit sind. Ärzte und Virologen gehen jedoch von dieser Annahme aus.

Obwohl die Genesenenzahl täglich die der Versterbenden übertrifft und weiter im deutlichen Anstieg begriffen ist, ist die Zahl der Toten doch sehr hoch und die Mortalitätsrate deutlich höher als die bei einer „normalen“ Grippeepidemie. Vor allem jedoch ist sie auch deutlich höher als in anderen, wirtschaftlich und sozial vergleichbaren Staaten. Das wirft Fragen auf: Sind die Italiener stärker anfällig, lassen sie sich von dem neuen Virus schneller anstecken? Ist das hiesige Gesundheitswesen so deutlich schlechter? Oder werden die Statistiken in Italien anders berechnet als beispielsweise in Deutschland, Österreich oder Luxemburg? Sterben die Menschen wirklich „an“ dem Coronavirus oder „mit“ dem Virus?

Aufschluss hierzu geben regierungsamtliche Daten, die vom Obersten Gesundheitsinstitut (ISS) zweiwöchentlich in Bulletins herausgegeben werden.

Gesundheitsforscher betrachten Sterbefälle differenzierter

Das Istituto superiore di sanità ist das wissenschaftliche Zentrum, das politische und technische Strategien für das italienische Gesundheitsministerium erarbeitet. 2.300 Mitarbeiter in einem Zentralinstitut und 16 angeschlossenen Einrichtungen überwachen und beurteilen den Gesundheitszustand der italienischen Bevölkerung. Das Oberste Gesundheitsinstitut gibt Hygieneempfehlungen heraus, schätzt gesundheitlich besonders gefährdete Regionen ein – so die Krebsbelastung durch die Metallurgie in Taranto, die Atemwegsgefährdung nahe den „Feuerland“ genannten brennenden Müllbergen südlich von Neapel – und gibt arbeitsmedizinische Vorschläge für die unterschiedlichen Industriezweige heraus. Insbesondere befasst sich das ISS mit der epidemiologischen Lage des Landes zu Zeiten von Influenzawellen oder – wie eben jetzt – während der Infektionswelle des neuen Coronavirus.

In seiner täglichen Pressekonferenz gibt der Chef des Zivilschutzes, Angelo Borrelli, die von den Gesundheitszentren gesammelten Daten zur Covid-19-Infektion bekannt. Die Mediziner und Virologen des ISS analysieren in längerfristigen Studien diese Daten genauer und erstellen sowohl demografische als auch epidemiologische Studien. Aus diesen ergeben sich differenziertere Daten zur Mortalitätsrate, die deutlich niedriger liegt als die 10,8 Prozent, die sich aus den Angaben der Protezione civile errechnen.

In einer jüngsten Studie, herausgegeben am 26. März, untersuchten die Wissenschaftler des ISS 710 Sterbefälle von Patienten, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Nur 15 dieser Verstorbenen wiesen kein weiteres Krankheitsmerkmal auf. 151 Patienten waren von einer weiteren Krankheit betroffen, 184 Menschen hatten zwei weitere und 360 Patienten drei weitere Erkrankungen, die zum Tode führten.

An der Spitze dieser Todesursachen lagen Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Schlaganfälle, gefolgt von Diabetes mellitus, chronischen Lungen- (COPD) und Krebserkrankungen. Des Weiteren war das Versagen von Organen wie der Leber oder der Nieren Ursache für das Ableben der meist älteren Patienten.

Länger gelebt ohne Corona?

In der demografischen Analyse zeigte sich, dass das mittlere Sterbealter der Betroffenen bei 78 Lebensjahren lag. Weniger als ein Drittel (29,6 Prozent) der Verstorbenen waren Frauen.

Allen Patienten war gemein, dass sie mit dem SARS-CoV2-Virus infiziert waren. Eine direkte kausale Verbindung mit der Covid-19-Erkrankung sah das ISS jedoch nur bei 2,1 Prozent der Fälle – eine Sterblichkeitsrate, die jedoch immer noch deutlich über der einer „gewöhnlichen Grippeepidemie“ (hier schwanken die italienischen Daten zwischen 0,1 bis 0,4 Prozent) liegt.

Die Frage, die Angelo Borrelli stellt, ist: Würden Infarktpatienten oder Diabetiker überleben und noch eine längere Lebenserwartung vor sich sehen, wären sie nicht vom Coronavirus infiziert worden? Bekannt ist, dass Risikopatienten, also solche mit deutlich einschränkenden Vorerkrankungen, anfälliger für schwere bis letale Verläufe von Covid-19 sind. Dies ist der Grund, weswegen die Protezione civile solche Patienten auch unter der Rubrik „Gestorben wegen Coronainfektion“ registriert. Eine ähnliche Vorgehensweise im Übrigen, wie sie auch das deutsche Robert-Koch-Institut verwendet.

Demografischer Unterschied

Die statistischen Auswertungen des ISS bringen noch eine weitere Komponente ans Tageslicht. Infolge der seit mehr als 20 Jahren anhaltenden Stagnation der italienischen Wirtschaft haben viele jüngere Menschen das Land verlassen. Berechnungen zufolge verlassen Jahr für Jahr etwa 100.000 qualifizierte junge Arbeitskräfte das Land, um außerhalb der italienischen Grenzen Glück und Karriere auf dem Arbeitsmarkt zu suchen. Zurück bleibt eine überalterte Gesellschaft, die auch von Migranten statistisch nicht aufgefangen wird.

So beträgt das Durchschnittsalter der erfassten an Covid-19 Erkrankten in Italien 69 Jahre. Im Vergleich dazu beträgt das Durchschnittsalter in Deutschland 47 Jahre. Die deutlich jüngeren Erkrankten nördlich der Alpen weisen so aber auch leichtere Verläufe der Infektion und mithin weniger Todesfälle auf. Ähnlich, so Beobachter der Weltgesundheitsorganisation, verhält sich die Lage in Spanien. Hinzu kommt natürlich auch noch die desolate Lage des Gesundheitswesens, vor allem der kontinuierliche Mangel, der in italienischen Krankenhäusern vorherrscht.

Ungeachtet dieser Tatsachen bleibt jedoch, dass Italien gegenüber den nordalpinen Nachbarn einen zeitlichen Vorlauf von etwa zwei Wochen hat. Noch kann niemand also voraussagen, ob die Letalität auch in diesen Ländern in den kommenden Wochen dramatisch ansteigen kann. Strenge Sicherheits- und Kontaktsperrebestimmungen sind also dringend angeraten.

Dr. Alfred Scheld
30. März 2020 - 22.01

Wo entnehmen Sie aus der Original-Pressmitteilung der ISS "Eine direkte kausale Verbindung mit der Covid-19-Erkrankung sah das ISS jedoch nur bei 2,1 Prozent der Fälle" - das wäre ja revolutionär!! Ich finde diese Passage nicht! Dr. Alfred Scheld

Graucho
30. März 2020 - 10.17

Steht die Sterberate nicht mit Faktoren wie: Durchschnittsalter,Bevölkerungsdichte,Hygienezustände,Wohnungen,Gesundheitszustand...in Relation?

J.C.Kemp
29. März 2020 - 19.47

Wird bei 'normalen' (d.h. alters-, krankheitsbedingten) Todesfällen die Todesursache auch jedesmal genau bestimmt? Und: welches ist die Sterberate pro 100.000 einer Landesbevölkerung? Welches ist die Abweichung von der normalen Rate? Absolute Zahlen sind statistisch bedeutungslos wenn keine Standardwerte bekannt sind.

Zuzi
29. März 2020 - 17.35

Wenn 300 Leute in verschiedenen Altersheimen sterben, dann wird sicher nicht jedesmal eine Truppe mit Hochsicherheitsausrüstung hingeschickt um Tests an der Leiche vorzunehmen, nur damit die Statistiker zufrieden sind.