Editorial / Lebensgefährlicher Opportunismus: Weshalb Kritiker in der Coronakrise unerwünscht sind

Selbstzensur ist das Letzte, was eine aufgeklärte Gesellschaft während Krisenphasen braucht. (Foto: Editpress/Julien Garroy)
Wer nur leise zweifelt, gilt in Zeiten der Coronakrise als weltfremd. Ein Ausnahmezustand, den es kritisch zu beobachten gilt? Unsolidarisch. Eine atemberaubende Geschwindigkeit, mit der Bürgerrechte (theoretisch) ausgehebelt werden können? Unrealistisch. Die politischen Machtgefüge während einer Krisensituation beschreiben? Geschmacklos. Wer sich von solchen Diskursen beeindrucken lässt, trägt vermutlich bald eine sehr große Schere im Kopf. Dabei ist Selbstzensur das Letzte, was eine aufgeklärte Gesellschaft während Krisenphasen braucht.
Es sollte legitim bleiben, den Führungsstil von Politikern wie Premier Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert zu analysieren. Denn gerade in solchen Momenten verschiebt sich die Machtbalance in einem Staat. Der aktuelle Ausnahmezustand ist der beste Beweis hierfür. Während Politiker in ruhigen Zeiten mit Schein-Events und anderen PR-Gags um Aufmerksamkeit buhlen, verlangt eine sanitäre Krise echte Führungsqualitäten. Wer in solchen Schlüsselphasen Gefahren falsch einschätzt, entwickelt Strategien, die sinnvolles Risikomanagement und die Einleitung lebensrettender Gegenmaßnahmen verhindern.
Besonders gefährlich wird es deshalb während eines Ausnahmezustands: Die Palette an Möglichkeiten wird für Politiker erweitert – wenn auch wie in Luxemburg in einem kontrollierbaren Ausmaß. Am Grundproblem ändert dies jedoch nichts: Eine kritische Gegenöffentlichkeit wird in Ausnahmesituationen schnell in die Außenseiterrolle gedrängt. Jede Kritik an den Krisenmanagern fällt in die Kategorie „et ass elo net de Moment dofir“ – die vermutlich beliebteste Phrase der letzten fünf Pressekonferenzen. Wo kritisches Nachbohren sonst erlaubt und überhaupt möglich ist, gelten fast nur noch deskriptive Fragen zu quantitativen Aspekten als legitim. Was mit Blick auf unsere medizinische Versorgung und das soziale sowie wirtschaftliche Krisenmanagement zielführend ist, verstört hingegen, wenn die Sorge um den demokratischen Rechtsstaat dadurch in den Hintergrund gerät.
Und letztlich sollte eins nicht unterschätzt werden: In Krisenzeiten sind demokratische Prozesse, die vorher von Sachzwängen bestimmt waren, nur noch schwer kontrollierbar. So löblich die Einheit in der Chamber zuletzt war: Effizientes Risikomanagement, das Menschenleben retten soll, braucht verhältnismäßige, kritische und rationale Kontrolle. Dass sich kein Oppositionspolitiker traut, auch nur einen Hauch von Kritik zu üben, hat nichts mit politischer Größe oder Solidarität zu tun. Im Gegenteil: Es ist vielmehr Ausdruck der ewig gleichen opportunistischen Haltung. Sollten sich jedoch die Sorgen vieler Experten in Luxemburg bewahrheiten, ist dieser Opportunismus nicht nur feige – sondern möglicherweise lebensgefährdend.
Laute Zustimmung!!
Wie ich bereits an anderer Stelle schrieb:
“Wenn aber in sehr vielen Ländern die Reaktionen auf die Pandemie soweit hinausgezögert wurden, dass es momentan von Sondererlässen, (Quasi-)Kriegsgesetzen, Grenzsperrungen, Ausgangssperren usw. nur so wimmelt, dann stellt sich die Frage wieviele davon sich in Zukunft defakto auch als ‘Staatsstreich’ erweisen werden.”
Klar
Entièrement d’accord !
Ihre Überlegungen sind nicht von der Hand zuweisen, doch angesichts der kritischen Lage in Luxemburg glaube ich eher solidarisch gegen diese Situation anzugehen, etwaige Bedenken im Hinterkopfe zu wahren und gegebenenfalls nach dieser Durststrecke angemessen zu reagieren. Allerdings verweise ich auf eine viel größere Gefahr, diese Katastrophensituation hat bewiesen, welches Geistes Kind die europäische Solidarität , der Zusammenhalt ist.Eigennutz, Eigeninteressen stehen im Vordergrund.Die EU Kommission , ein Papiertiger hat alle Anzeichen der Krise regelrecht verschlafen, hat Handlungsunfähigkeit bewiesen .Diese Krise hat der Zukunftsvision eines sozialen Europas, eines Europas des Zusammenhaltes den politischen Dolchstoß versetzt, alle bisherigen Sonntagsreden als Lobeshymnen auf das europäische Konstrukt als Lüge, Vorspielen falscher Tatsachen entlarvt. Die EU ist und bleibt ein Modell der Wirtschaft , der Maximierung des Kapitals, der Machtinteressen der großen Länder.Jeder klardenkende Mensch wird mir zustimmen, die Grundfeste der EU wanken und werden in der Zukunft den Nährboden populistischer Strömungen füttern. Trotz der kritischen Gesundheitssituation in unserem Land bin ich froh über den Zusammenhalt der Menschen, egal welcher politischer, konfessioneller Ansicht, egal welcher Hautfarbe, Nationalität.
Quod erat demonstandum.
Bravo et merci!
pardon : demonstrandum
Wenn wir eine Union sein wollen,dann wäre jetzt die Zeit das zu beweisen.Das Problem ist ein europäisches Problem und sollte auch auf diesem Niveau angepackt werden. Hysterie als schlechter Ratgeber,Einigeln im eigenen Land,Grenzen schliessen, Ausgangssperren ( 3 Monate Hausarrest in Italien für alte,gefährdete Menschen!) sind sicher Stoff für Panik. Dabei sind die ersten drei Regeln leicht zu beachten,aber leider hält sich niemand daran. Ob ein Virus nun auf einer Hand klebt oder an einem Handschuh ist sicher egal. Wer damit ins Gesicht greift ohne Hände zu waschen ist im Geschäft.Dasselbe gilt für Versammlungen wo Mindestabstände von 2 Metern nicht eingehalten werden. DAS hätte von einer Komissionspräsidentin und von den jeweiligen Landesführern schon sehr viel früher gesagt werden müssen und zwar in gemeinsamen Einvernehmen.Nicht jeder für sich und wenn es zu spät ist. Das Virus ist in jedem Land da helfen Grenzschliessungen nichts mehr.
ergo
@Gaucho: Zum Nachdenken: Deutschland war treibende Kraft des EU Konstruktes Wirtschaftliche Interessen, Machtinteressen im Fokus und eines der ersten Länder das Grenzschliessungen ( unsere Regierung wurde nicht im Vorfeld informiert)anordnet, wohlweislich im Wissen ,der Warenverkehr leiden wird, hat Ausfuhrbestimmungen von bestimmten Gütern in die EU angeordnet. Die Benelux war ein kleines Konstrukt , das funktioniert hat, EU dagegen ein Interessenclub. Deutschland hat immer auf ein Europa ohne Grenzen gepocht, freier Warenverkehr,Reisefreiheit.Deutschland hat jetzt bewiesen, in den Köpfen bleiben die Grenzen ewig existent, die europäische Solidarität gleich der Trump‘chen Politik eines America‘s first ist.
Grenzschliessungen bremsen die Verbreitung der Viren weil sie die Zahl der Kontakte vermindern und auch Risikogebiete mit hohen infektionsraten (Italien, Iran) abzugrenzen. Die EU grenzt sich jetzt auch nach aussen ab.