Analyse / Im Epizentrum der Egoismen: Wie die EU-Staaten gegen das Virus und gegen sich selber kämpfen

Bestattungsunternehmer im besonders betroffenen Bergamo: Die Staaten der EU sollten aufpassen, machen sie so weiter, könnten sie bald ihr Bündnis zu Grabe tragen müssen (Foto: AFP/Piero Cruciatti)
Mit der Coronaviruskrise verfallen die Staaten der Europäischen Union in nationale Egoismen. Keiner hilft dem anderen, jeder versucht, jeden auszustechen im Gerangel um medizinisches Material. Italien musste das bereits am eigenen Leib erfahren. Für Luxemburg lässt sich das Schlimmste nicht ausschließen.
Luxemburg kann sich in der Coronakrise der Hilfe seiner Nachbarstaaten nicht sicher sein. Alleine das schon – was für ein Satz. Deutschland kontrolliert seine Grenzen zum Großherzogtum, während der Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Belgien sowie den Niederlanden normal weiterläuft. Von Regierungsseite wird in Luxemburg gehofft und appelliert. Es ist ernst, es geht tatsächlich um Leben und Tod. Xavier Bettel sprach zwar von Garantien aus Paris und einem erklärten Verständnis für die spezielle Situation Luxemburgs mit seinem Bedarf an Berufspendlern im Gesundheitswesen und in der Logistik. Doch nicht einmal die Einberufung des hier arbeitenden französischen Pflegepersonals durch Paris wird mehr vollends ausgeschlossen. Noch an Garantien zu glauben, fällt zusehends schwer. Dafür wurden die letzten Tage in Europa bereits zu viele von ihnen hinweggefegt.
Das ist eine der bitteren Lektionen, die uns diese Krise mit auf den Weg gibt: In guten wie in schlechten Zeiten, dieses Gelübde gilt in der Europäischen Union nicht, Robert Schumans „solidarité de fait“ hat der Coronakrise nicht standgehalten. Es ist eine Lektion, die die Italiener (und die Griechen) mit den Flüchtlingen bereits am eigenen Leib erfahren mussten.
Die Italiener bekamen jetzt eine besonders bittere Neuauflage serviert: Das unter den Europäern weiterhin am schlimmsten vom Coronavirus gebeutelte Land hat Anfang März nicht nur erfolglos um die Auslösung des EU-Katastrophenschutz-Mechanismus und so um mehr Schutzmasken gefleht. Auch auf zwischenstaatlicher Ebene wurde Hilfe untersagt. Das zu Zeiten, als die meisten anderen EU-Staaten, Frankreich und Spanien einmal ausgenommen, noch nicht so stark von der Pandemie, die sich in Europa von Süden nach Norden frisst, betroffen waren. Und trotz aller Appelle der Weltgesundheitsorganisation WHO und insbesondere der EU-Kommission, sich solidarisch zu zeigen und gemeinsam gegen die zu schnelle Ausbreitung des Virus vorzugehen.
Zwölf Europäer mit geschlossenen Grenzen
Die Italiener bekamen ihre Hilfe dann aus der Luft. Am 12. März, kurz vor Mitternacht, landete in Rom ein Flugzeug aus China. An Bord neun Mediziner mit Coronavirus-Erfahrung und 31 Tonnen medizinisches Material. Fast zeitgleich kam auch ein Lkw aus China an mit noch mehr Material. Zwischen dem Telefonat von Italiens Premier Giuseppe Conte mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und der Landung in Rom sollen nur zwei Tage vergangen sein.
Jetzt, eine Woche später, wartet halb Europa auf aus China kommende Flugzeuge. Tschechien holte am Mittwoch 150.000 Schnelltests aus dem Reich der Mitte, in Frankreich landete am Mittwoch das erste Flugzeug, ein weiteres wurde für den Donnerstag erwartet. Insgesamt soll Peking Paris mit einer Million Mundschutzmasken und klinischen Handschuhen versorgen. Die Deutschen schauen am Freitag gen Himmel und hoffen auf die Ankunft einer Lieferung. Auch Belgien und Spanien wurden bereits mit Atemschutzmasken aus Peking beliefert.
Luxemburg wartet noch. „De Fësch ass nach net un der Aangel“, sagte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) am Donnerstag vor der Presse, zeigte sich aber zuversichtlich, dass das benötigte medizinische Material bald ankommen werde. Auch in anderen EU-Staaten wurde nach Masken, Tests und all dem anderen gefahndet. Doch auch das gestaltet sich schwierig. Einige Staaten haben Exportstopps auf medizinisches Material verhängt. Frankreich tat dies zuerst, Deutschland zog rasch nach. Unter anderem mit der Folge, dass Lastwagen mit in Österreich dringend benötigtem Material tagelang an der Grenze festhingen und nicht ins mittlerweile unter Quarantäne stehende Tirol gelangten. Im Hamburger Hafen wurden sogar für die Schweiz bestimmte Container aus China festgehalten. Mittlerweile hat Berlin sich dem Druck gebeugt und zumindest die Lkw nach Österreich passieren lassen; vielleicht auch wegen der Gewissheit der aus China angekündigten Lieferungen.
Zwölf Staaten, so viele, wie die Europaflagge Sterne hat, kontrollieren zurzeit ihre Grenzen, halten sie zum Teil fast geschlossen. „Das ist etwas, das wir in Europa zuvor so nicht gekannt haben“, sagte Paulette Lenert am Donnerstag. Weite Teile Europas scheinen sich in der Tat dazu entschieden zu haben, sich mit Grenzschließungen selber auszubremsen im Kampf gegen ein Virus, das keine Grenzen kennt.
Erschwerend hinzu kommt, dass es in der EU bisher keine gemeinsame Beschaffungspolitik für medizinische Kernressourcen gab. Zurzeit versucht sich Brüssel an einer Sammelbestellung. Doch die Vergaberichtlinien sind kompliziert. Anfang April gilt als möglicher Zeitpunkt einer Lieferung. Es geht dabei um intensivmedizinisches Material wie Beatmungsgeräte, Schutzmasken und Impfstoffe, sobald diese verfügbar seien, sagte der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, am Donnerstag in Brüssel. Diese Dinge sollten dann dort in der EU eingesetzt werden, wo sie am nötigsten gebraucht würden.
Social Distancing unter Nachbarstaaten
Brüssel bemüht sich, aber die Nationalstaaten machen genau das, wovon sie ihren Bürgern abraten: Sie verfallen in Panik und in die falschen Reflexe. Der Grenzfetischismus, in den sich viele EU-Staaten seit dem Flüchtlingssommer mehr und mehr hineinsteigerten, wird jetzt zum Bumerang. Wer jahrelang bei fast jeder europapolitischen Frage als Antwort nur Grenzen!, Nationalstaat!, Kontrolle! schrie, tappt jetzt bei der Bekämpfung einer ansteckenden Krankheit in die eigene Denkfalle und es fallen ihm auch jetzt keine anderen Antworten ein, als sein Heil bei sich selber und alles Unheil bei den anderen zu suchen. Die Coronaviruskrise wird in die Geschichte eingehen, die Reaktionen vieler europäischer Staats- und Regierungschefs ebenso.
Keine Frage, Europa hat sich international blamiert. Nicht nur, dass von koordinierten Aktionen gegen die Verbreitung des Virus jede Spur fehlt. Vielmehr macht jedes Land mehr oder weniger dieselben Fehler und reagiert, jedes für sich, erst zögerlich, dann mit massiven Einschränkungen für alle. Auch wurde man nicht nur zum Epizentrum der Pandemie, sondern auch zum Epizentrum der Egoismen. Dass die Solidarität jetzt wieder etwas anzieht – Deutschland belieferte am Donnerstag Italien mit dringend benötigtem Material –, liegt wohl nicht zuletzt an China, das mit seinen Lieferungen die Engpässe etwas behebt.
In der Tat hatten die Chinesen, als das Virus erst in der Stadt Wuhan, dann in der Provinz Hubei im Januar und Februar um sich griff, weite Teile des Weltmarktes an medizinischem Material zur Bekämpfung der neuen Lungenkrankheit Covid-19 leergekauft. Davor hatte Chinas Führung, das sollte nicht unerwähnt bleiben, das Virus erst einmal einen Monat lang vertuscht und den Arzt, der es entdeckte, mundtot gemacht.
Mitte, Ende Januar ging es mit den Bestellungen los. In Europa sahen Großapotheken und Händler ihre Lagerbestände rasch sinken. Die Bestellungen aus China für Atemschutzmasken stiegen und stiegen. Das Coronavirus hatte das Reich der Mitte da bereits voll im Griff, Dutzende Millionen Menschen standen unter Quarantäne.
Aus europäischer Perspektive wurde der Kampf der Chinesen gegen die neue Lungenkrankheit Covid-19 noch mit großem Erstaunen beobachtet – wären diese strengen Maßnahmen auch in einer westlichen Demokratie möglich? Jetzt wissen wir es besser: Es ging nie um die Möglichkeit, sondern um die Notwendigkeit. Europa kann zwar offenbar keine Solidarität, dafür kann es Quarantäne. Doch den Chinesen mag Quarantäne reichen. Anders als das Riesenreich brauchen sich die Europäer gegenseitig beim Kampf gegen die Pandemie. Als hätte dies eines Nachweises bedurft, kamen am Donnerstag wieder die aktuellen Zahlen aus Italien. Dort ist die Zahl der Toten auf insgesamt 3.405 gestiegen. Italien verzeichnet jetzt mehr Corona-Tote als China.
Gut dass wir jetzt eine starke,überragende Komissionschefin haben.
Als wäre das Problem kein europäisches hält man sich dezent zurück und schaut erstmal was die anderen so machen. Wenn die Idee Europa so eine Krise nicht übersteht,dann ist es wohl nicht weit her.
Was genau ist überragend an Von der Leyen? In Deutschland wurde sie nach höchst umstrittenenen Beraterkontraktvergaben und dramatischen Versagen als Verteitigungsministerin in die EU entsorgt. Zudem hat sie in der Coranokrise nicht besonders vorausschauend obwohl sie Artztin ist. Auch die EU Spitzenbeamten hatten keinen Plan bereit, obwohl man anscheindend dort seit Jahren an solchen Szenarien arbeitet. Mehr EU hätte hier wenig gebracht!